Jugendbilder im Netz. Visuelle Darstellung von Jugendlichen im Spannungsfeld konkurrierender fotografischer Rahmen

Ref. 10343

Description générale

Période concernée

2008 bis 2010

Région géographique

-

Informations géographiques additionnelles

Nordwestschweiz / deutschsprachige Schweiz

Résumé

Interaktion und Kommunikation findet im Internet gegenwärtig vor allem in Online Netzwerken (Social Network Sites) statt - wie etwa Facebook, Netlog, Studi- und SchülerVZ, MySpace oder Festzeit -, die von einer überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen im deutschsprachigen Raum genutzt werden. Neben der Sprache kommt den visuellen Selbstdarstellungspraktiken ein hoher Stellenwert bei der Identitäts- und Beziehungsarbeit in diesen Portalen zu. Das laufende Forschungsprojekt ‚Jugendbilder im Netz' (Kurztitel) beschäftigt sich mit visuellen Selbstdarstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Online Netzwerken. Fotografien Jugendlicher werden dabei als Beitrag medial vermittelter Identitäts- und Beziehungsarbeit untersucht, die heute ohne den Einfluss der Medienkommunikation nicht mehr denkbar ist. Während die traditionellen Massenmedien landläufig vor allem hinsichtlich ihrer Vorbildfunktion im Rahmen einer unidirektionalen Kommunikation von Produzent zu Konsument als sozialisatorisch relevant erachtet werden, drängen sich im Falle neuerer Internetanwendungen ungeklärte Fragen zu Formen und sozialisatorischen Funktionen wechselseitiger Identitätsaushandlungen unter adoleszenten Gleichaltrigen im Rahmen öffentlicher Kommunikation in den Vordergrund medien- und sozialwissenschaftlicher Forschungsbemühungen. Eine herausragende Bedeutung innerhalb sozialer Austauschprozesse kommt den privaten Selbstdarstellungen in Form von Fotografien auf Social Network Sites zu. Die Überlagerung privater, an einen informellen Kreis adressierter Kommunikation durch öffentliche, an ein disperses Massenpublikum gerichtete Kommunikation schafft einen hybriden Raum der Selbstinszenierung, in dem sich Strategien öffentlicher und privater, formeller und informeller sowie globaler und lokaler Kommunikation verschränken. Vor diesem Hintergrund wird auf der methodischen Grundlage einer systematisch umfassenden Netzethnografie untersucht, wie Jugendliche diese unterschiedlichen Elemente in ihren Bildproduktionen vermitteln sowie ob und inwiefern dabei auf traditionelle Muster fotografischer Gestaltung zurückgegriffen wird. Es gilt auf der Basis extensiver exemplarischer Fallanalysen einzuschätzen, wie autonom die ‚Selbstbilder' Jugendlicher tatsächlich gestaltet sind resp. wie stark sowohl Zugzwänge des neuen Mediums (Internet) als auch Einflüsse der alten Medien (Fotografie, TV) auf die Bildproduktion einwirken. Ziel des laufenden Forschungsprojekts ist es, verschiedene fotografische Selbstinszenierungsstrategien Jugendlicher in Web-Angeboten zu analysieren und diese mit traditionellen Darstellungs- und Gestaltungsmustern der klassischen Privatfotografie einerseits und der öffentlichen (Werbe-)Fotografie in den Printmedien andererseits zu kontrastieren. Erwartet werden Rückschlüsse auf die Bedeutung unterschiedlicher Formen konkurrierender ‚Bilderwelten' für die Struktur(ierung) der Deutungsmuster (‚Weltbilder') von Jugendlichen und Erwachsenen über Adoleszenzalter und Jugendkulturen sowie Aufschlüsse über die Frage, ob und wie sich Jugenddiskurse in konkurrierender bildgebundener Kommunikation medienspezifisch niederschlagen.

Résultats

Um die visuellen Selbstdarstellungsformen Jugendlicher und junger Erwachsener im Web 2.0 einschätzen zu können, wurden einerseits die divergierenden Rahmenbedingungen des Online-Handelns systematisch erfasst (deskriptive Analysen der auf dem Schweizer Markt präsenten Portale), andererseits ein Bildkorpus erstellt, der auf der Mikro-Ebene (Einzelbild) Erkenntnisse über die virulenten Themen, Motive und Ästhetiken erbrachte sowie auf der Meso-Ebene (Darbietungskontext) Rückschlüsse auf die adressierten (Teil-)Öffentlichkeiten ermöglichte. Ausgehend von den Portalanalysen zeichnete sich eine technisch vorangetriebene Unterteilung des Marktes in ‚special-interest'-Portale (z.B. Party-Portale) und Freundschaftsportale (Social Network Sites) ab. Diese Einschätzung lag auf einer Linie mit den Ergebnissen quantitativer Untersuchungen aus Deutschland (Hans-Bredow-Institut für Medienforschung) und Österreich (Österreichisches Institut für Jugendforschung). Sie konnte zudem auch für die Schweiz bestätigt werden, wie aus im Rahmen des Projekts durchgeführten quantitativen, repräsentativen Rezeptionsstudien hervorging. Insgesamt haben sich in der Schweiz Facebook (bei den älteren Usern >16 Jahre) und Netlog (bei den jüngeren Usern <16 Jahre) als die marktbeherrschenden Freundschaftsportale etabliert; lokal und in bestimmten Alters- und Interessengruppen geniessen jedoch auch andere Portale grosse Beliebtheit: z.B. Tilllate.com bei den Partygängern oder die Basler Plattform Festzeit.ch bei Basler Schülern. Wie aus den systematischen Portalanalysen hervorging, stellen die Partyportale eine Software-Struktur bereit, die die von Wettbewerb geprägten Dynamiken des Partylebens ("sehen und gesehen werden") und des Medienmarktes (Stichworte: Ökonomie der Aufmerksamkeit, Wettbewerb im Stile von Casting-/Talent-Shows) vermengen und in den Online-Bereich verlängern (z.B. mittels User-Rankings, Online-Flirt-Tools, Partykalendern). Demgegenüber weisen die Freundschaftsportale eine unspezifischere Architektur auf, durch die allenfalls die Pflege präexistenter Offline-Beziehungen in den Vordergrund gerückt wird (z.B. mittels automatischer, system-generierter Vorschläge zur Erweiterung der Freundeslisten). Ab Mitte des Jahres 2008 hatten die Partyportale im Fokus vertiefter Forschungsarbeiten gestanden, insbesondere das zum Tamedia-Konzern gehörende Portal Tilllate.com. Es konnte gezeigt werden, dass mit der technisch installierten Rahmung auch Unterschiede bei der Art der eingestellten Bilder einhergehen. Die treibende Kraft hinter den Partyportalen ist das fotografierte Nachtleben. Dieses wird nicht nur von den Usern selbst, sondern insbesondere von (semi-)professionellen Partyfotografen festgehalten, die im Auftrag der Portale unterwegs sind. Im Zuge medienethnografischer Untersuchungen in Discos verdeutlichte sich, wie routinehaft die Entstehung der meist (semi-)professionellen Partybilder vonstattengeht: Angefangen bei der Kontaktaufnahme über das einstudierte, theatrale Posieren der User bis hin zur Bildbewertung/-auswahl ist der Produktionsprozess von ritual-ähnlichen Handlungen geprägt, wobei immer klare Vorstellungen vom gewünschten (Bild-)Resultat präsent sind. Auf Basis dieser Erkenntnisse und des Bildkorpus, in den auch Bilder aus der (frühen und aktuellen) Starfotografie sowie aus Jugend- und Modezeitschriften eingegangen waren, wurde eine diachrone Kontrastierung der Partybilder vorgenommen, die deutliche Parallelen zu öffentlichen, fremdproduzierten und massenmedialen Darstellungsformen zutage förderte (zur Typisierung siehe den Projektband Doku-Glamour im Web 2.0 (2010)). Demnach werden von den Usern insbesondere Posen von Medien-Stars imitiert. Aus den Untersuchungen ging weiter hervor, dass die dergestalt entstandenen Bilder massgeblicher Bestandteil der Online-Karrieren der User sind. Die (teil-)öffentliche Offline-Party wird im Hinblick auf das weltweit vernetzte Online-Portal als Plattform für Rollenspiele in eigener Sache genutzt, wobei die Möglichkeit, online vom ‚realen' Markt entdeckt zu werden (im Stile von Casting-TV-Shows), ein entscheidender Anreiz darstellt - vorangetrieben nicht zuletzt durch die Portale mit ihrer konkurrenzaffinen Software-Struktur und den entsprechenden Kooperationspartnern (z.B. Mister und Miss Schweiz-Wahl). Ein besonderer Typus des Bildes, dem - ob Party- oder Freundschaftsportal - ein herausragender Stellenwert zukommt, ist das Profilbild. Es fungiert online als das Identitäts- und Erkennungsmerkmal schlechthin, dominiert es doch nicht nur die Profilseite (Steckbrief) des einzelnen Users, sondern ist zusammen mit dem Nickname/Namen bei vielen der kommunikativen Akte als (Wieder-)Erkennungsmerkmal präsent (z.B. als Mouse-over-pop-up oder Thumbnail). Hier greifen das einzelne wiederkehrende Profilbild und die spezifische Portalstruktur in einzigartiger Weise ineinander. Im Fokus der Untersuchungen zu den Profilbildern hatte ab Januar 2010 der Branchenleader Facebook gestanden. Facebook zeichnet sich dadurch aus, dass es die Inhalte der User mit von externer Seite stammenden (auch kommerziellen) Unterhaltungsangeboten verschränkt. Damit diffundiert das Profilbild, das bei vielen Kommentaren und Aktivitäten als Stellvertreter gezeigt wird, in unzählige Rezeptionskontexte. Nicht zuletzt aufgrund dieser weitreichenden Stellvertreterfunktion wählen es die User mit Bedacht, denn schliesslich können elementare Bestandteile der Kommunikation (klassisch im Rahmen der face-to-face-Kommunikation: persönliche Anwesenheit/Erscheinung/Gestik/Sprache, vgl. GESER 1990) oft nicht anders als durch eine dezidierte Wahl/Ausgestaltung des Profilbilds substituiert werden. Dank des geführten Bildkorpus konnte in dieser Hinsicht eine systematische Klassifikation erarbeitet werden, aus der hervorgeht, wie geordnet und strukturiert das augenscheinliche ‚Bilder-Chaos' letztlich ist (vgl. ASTHEIMER/NEUMANN-BRAUN/SCHMIDT 2010). Dem Anspruch, im augenscheinlichen Chaos strukturierende Momente und Ordnungsprinzipien aufzufinden, folgten auch netzwerkanalytische Untersuchungen zum Balser Schülerportal Festzeit.ch. Hierbei hatte die (besonders in der öffentlichen Debatte virulente) Frage im Zentrum gestanden, in wie engem oder weitem Umkreis auf SNS Freunde unter sich bzw. mit Fremden kommunizieren. Das Portal Festzeit hatte sich im Anschluss an die Portaldeskriptionen als besonders viel versprechender Untersuchungsgegenstand erwiesen, da auf Festzeit verhältnismässig wenig Einflüsse der Portalarchitektur das Handeln der User (technisch) vorstrukturieren. Zudem spielen auf diesem Portal in extremis Bilder eine tragende Rolle bei der One-to-Many-Kommunikation. Führt man sich vor Augen, dass Bildergespräche (Bild-Uploads, Kommentare, Verlinkungen) das Rückgrat der Feedback-Bestrebungen unter jugendlichen Peers darstellen, so wird evident, welche Aussagekraft über die online prozessierten (sozialen) Aggregate es hat, wenn die Bild- und Kommunikationsspuren der User umfassend ausgewertet werden. Entsprechend wurden Netzwerkmodelle nicht ausgehend von User-Listen erhoben (klassisch: sog. ego-zentrierte Netzwerke), sondern ausgehend von Bildern. Indem die mit den Bildern aktiven User ermittelt wurden, konnten Netzwerke der effektiven Useraktivitäten modelliert werden. Es zeichnete sich ab, dass im Mittel nur 10,1 User wiederholt miteinander in Kontakt kommen. Diese Zahl erwies sich über den Zeitraum von einem Jahr als auffällig stabil und ist insofern erstaunlich, da die ermittelten User im Schnitt >200 'Freunde' in ihren Freundeslisten führten (vgl. Pfeffer/Neumann-Braun/Wirz 2010, im Druck). Die online (exzessiv) geführten Freundeslisten und das effektive, meist enge Kreise ziehende Online-Bilderhandeln sind also nicht kongruent zueinander. Als strukturierendes Element fungieren, wie eine explorative Studie zeigt (NEUMANN-BRAUN/WIRZ 2010), klassische soziale Institutionen wie die Schule, die Peer Group und Freundescliquen. Offline-Beziehungen treten demnach als ein Ordnungsgefüge in Erscheinung, das es auch online angemessen zu beachten gilt.