Um die visuellen Selbstdarstellungsformen Jugendlicher und junger Erwachsener im Web 2.0 einschätzen zu können, wurden einerseits die divergierenden Rahmenbedingungen des Online-Handelns systematisch erfasst (deskriptive Analysen der auf dem Schweizer Markt präsenten Portale), andererseits ein Bildkorpus erstellt, der auf der Mikro-Ebene (Einzelbild) Erkenntnisse über die virulenten Themen, Motive und Ästhetiken erbrachte sowie auf der Meso-Ebene (Darbietungskontext) Rückschlüsse auf die adressierten (Teil-)Öffentlichkeiten ermöglichte.
Ausgehend von den Portalanalysen zeichnete sich eine technisch vorangetriebene Unterteilung des Marktes in ‚special-interest'-Portale (z.B. Party-Portale) und Freundschaftsportale (Social Network Sites) ab. Diese Einschätzung lag auf einer Linie mit den Ergebnissen quantitativer Untersuchungen aus Deutschland (Hans-Bredow-Institut für Medienforschung) und Österreich (Österreichisches Institut für Jugendforschung). Sie konnte zudem auch für die Schweiz bestätigt werden, wie aus im Rahmen des Projekts durchgeführten quantitativen, repräsentativen Rezeptionsstudien hervorging. Insgesamt haben sich in der Schweiz Facebook (bei den älteren Usern >16 Jahre) und Netlog (bei den jüngeren Usern <16 Jahre) als die marktbeherrschenden Freundschaftsportale etabliert; lokal und in bestimmten Alters- und Interessengruppen geniessen jedoch auch andere Portale grosse Beliebtheit: z.B. Tilllate.com bei den Partygängern oder die Basler Plattform Festzeit.ch bei Basler Schülern.
Wie aus den systematischen Portalanalysen hervorging, stellen die Partyportale eine Software-Struktur bereit, die die von Wettbewerb geprägten Dynamiken des Partylebens ("sehen und gesehen werden") und des Medienmarktes (Stichworte: Ökonomie der Aufmerksamkeit, Wettbewerb im Stile von Casting-/Talent-Shows) vermengen und in den Online-Bereich verlängern (z.B. mittels User-Rankings, Online-Flirt-Tools, Partykalendern). Demgegenüber weisen die Freundschaftsportale eine unspezifischere Architektur auf, durch die allenfalls die Pflege präexistenter Offline-Beziehungen in den Vordergrund gerückt wird (z.B. mittels automatischer, system-generierter Vorschläge zur Erweiterung der Freundeslisten).
Ab Mitte des Jahres 2008 hatten die Partyportale im Fokus vertiefter Forschungsarbeiten gestanden, insbesondere das zum Tamedia-Konzern gehörende Portal Tilllate.com. Es konnte gezeigt werden, dass mit der technisch installierten Rahmung auch Unterschiede bei der Art der eingestellten Bilder einhergehen. Die treibende Kraft hinter den Partyportalen ist das fotografierte Nachtleben. Dieses wird nicht nur von den Usern selbst, sondern insbesondere von (semi-)professionellen Partyfotografen festgehalten, die im Auftrag der Portale unterwegs sind. Im Zuge medienethnografischer Untersuchungen in Discos verdeutlichte sich, wie routinehaft die Entstehung der meist (semi-)professionellen Partybilder vonstattengeht: Angefangen bei der Kontaktaufnahme über das einstudierte, theatrale Posieren der User bis hin zur Bildbewertung/-auswahl ist der Produktionsprozess von ritual-ähnlichen Handlungen geprägt, wobei immer klare Vorstellungen vom gewünschten (Bild-)Resultat präsent sind.
Auf Basis dieser Erkenntnisse und des Bildkorpus, in den auch Bilder aus der (frühen und aktuellen) Starfotografie sowie aus Jugend- und Modezeitschriften eingegangen waren, wurde eine diachrone Kontrastierung der Partybilder vorgenommen, die deutliche Parallelen zu öffentlichen, fremdproduzierten und massenmedialen Darstellungsformen zutage förderte (zur Typisierung siehe den Projektband Doku-Glamour im Web 2.0 (2010)). Demnach werden von den Usern insbesondere Posen von Medien-Stars imitiert.
Aus den Untersuchungen ging weiter hervor, dass die dergestalt entstandenen Bilder massgeblicher Bestandteil der Online-Karrieren der User sind. Die (teil-)öffentliche Offline-Party wird im Hinblick auf das weltweit vernetzte Online-Portal als Plattform für Rollenspiele in eigener Sache genutzt, wobei die Möglichkeit, online vom ‚realen' Markt entdeckt zu werden (im Stile von Casting-TV-Shows), ein entscheidender Anreiz darstellt - vorangetrieben nicht zuletzt durch die Portale mit ihrer konkurrenzaffinen Software-Struktur und den entsprechenden Kooperationspartnern (z.B. Mister und Miss Schweiz-Wahl).
Ein besonderer Typus des Bildes, dem - ob Party- oder Freundschaftsportal - ein herausragender Stellenwert zukommt, ist das Profilbild. Es fungiert online als das Identitäts- und Erkennungsmerkmal schlechthin, dominiert es doch nicht nur die Profilseite (Steckbrief) des einzelnen Users, sondern ist zusammen mit dem Nickname/Namen bei vielen der kommunikativen Akte als (Wieder-)Erkennungsmerkmal präsent (z.B. als Mouse-over-pop-up oder Thumbnail). Hier greifen das einzelne wiederkehrende Profilbild und die spezifische Portalstruktur in einzigartiger Weise ineinander.
Im Fokus der Untersuchungen zu den Profilbildern hatte ab Januar 2010 der Branchenleader Facebook gestanden. Facebook zeichnet sich dadurch aus, dass es die Inhalte der User mit von externer Seite stammenden (auch kommerziellen) Unterhaltungsangeboten verschränkt. Damit diffundiert das Profilbild, das bei vielen Kommentaren und Aktivitäten als Stellvertreter gezeigt wird, in unzählige Rezeptionskontexte. Nicht zuletzt aufgrund dieser weitreichenden Stellvertreterfunktion wählen es die User mit Bedacht, denn schliesslich können elementare Bestandteile der Kommunikation (klassisch im Rahmen der face-to-face-Kommunikation: persönliche Anwesenheit/Erscheinung/Gestik/Sprache, vgl. GESER 1990) oft nicht anders als durch eine dezidierte Wahl/Ausgestaltung des Profilbilds substituiert werden. Dank des geführten Bildkorpus konnte in dieser Hinsicht eine systematische Klassifikation erarbeitet werden, aus der hervorgeht, wie geordnet und strukturiert das augenscheinliche ‚Bilder-Chaos' letztlich ist (vgl. ASTHEIMER/NEUMANN-BRAUN/SCHMIDT 2010).
Dem Anspruch, im augenscheinlichen Chaos strukturierende Momente und Ordnungsprinzipien aufzufinden, folgten auch netzwerkanalytische Untersuchungen zum Balser Schülerportal Festzeit.ch. Hierbei hatte die (besonders in der öffentlichen Debatte virulente) Frage im Zentrum gestanden, in wie engem oder weitem Umkreis auf SNS Freunde unter sich bzw. mit Fremden kommunizieren. Das Portal Festzeit hatte sich im Anschluss an die Portaldeskriptionen als besonders viel versprechender Untersuchungsgegenstand erwiesen, da auf Festzeit verhältnismässig wenig Einflüsse der Portalarchitektur das Handeln der User (technisch) vorstrukturieren. Zudem spielen auf diesem Portal in extremis Bilder eine tragende Rolle bei der One-to-Many-Kommunikation.
Führt man sich vor Augen, dass Bildergespräche (Bild-Uploads, Kommentare, Verlinkungen) das Rückgrat der Feedback-Bestrebungen unter jugendlichen Peers darstellen, so wird evident, welche Aussagekraft über die online prozessierten (sozialen) Aggregate es hat, wenn die Bild- und Kommunikationsspuren der User umfassend ausgewertet werden.
Entsprechend wurden Netzwerkmodelle nicht ausgehend von User-Listen erhoben (klassisch: sog. ego-zentrierte Netzwerke), sondern ausgehend von Bildern. Indem die mit den Bildern aktiven User ermittelt wurden, konnten Netzwerke der effektiven Useraktivitäten modelliert werden. Es zeichnete sich ab, dass im Mittel nur 10,1 User wiederholt miteinander in Kontakt kommen. Diese Zahl erwies sich über den Zeitraum von einem Jahr als auffällig stabil und ist insofern erstaunlich, da die ermittelten User im Schnitt >200 'Freunde' in ihren Freundeslisten führten (vgl. Pfeffer/Neumann-Braun/Wirz 2010, im Druck).
Die online (exzessiv) geführten Freundeslisten und das effektive, meist enge Kreise ziehende Online-Bilderhandeln sind also nicht kongruent zueinander. Als strukturierendes Element fungieren, wie eine explorative Studie zeigt (NEUMANN-BRAUN/WIRZ 2010), klassische soziale Institutionen wie die Schule, die Peer Group und Freundescliquen.
Offline-Beziehungen treten demnach als ein Ordnungsgefüge in Erscheinung, das es auch online angemessen zu beachten gilt.