WiSel II (Welle 4-5): Individuelle und kontextuelle Bedingungen der Berufsfindung und des Eintritts in die berufliche Grundbildung

Ref. 12206

Allgemeine Beschreibung

Periode

2015-2020

Geographischer Raum

Zusätzliche geographische Informationen

Aargau, Bern, Basel-Landschaft, Luzern

Kurzbeschreibung

Jugendliche setzen sich im Verlauf der Sekundarstufe I immer mehr mit der anstehenden Berufswahl auseinander. Studien zeigen, dass die Berufsfindung nicht nur von den Jugendlichen selbst vollzogen wird, sondern in Wechselwirkung mit den Bezugspersonen und dem weiteren gesellschaftlichen Umfeld erfolgt. Inwieweit die Wahl eines Lehrberufs passend ist, erweist sich allerdings in der Regel erst nach dem Übergang in eine berufliche Grundbildung. Vor diesem Hintergrund richten sich die zu beantwortenden Leitfragen darauf, (1) In welchem Ausmass Personenmerkmale und kontextuellen Faktoren berufsfindungsbezogene Handlungen und deren Ergebnisse in der Sekundarstufe I sowie die Entscheidung für eine Ausbildung und einen Beruf in der Sekundarstufe II beeinflussen und vorhersagen. (2) In welchem Ausmass Merkmale berufsfindungsrelevanter Handlungen, Merkmale von Bezugspersonen in Schule und Familie und die betriebliche Einführungspraxis nach Eintritt in die duale Berufsausbildung die Bewährung von Ausbildungsentscheidungen am Ende des ersten Jahres der nachobligatorischen Ausbildung beeinflussen. Den primären theoretischen Ausgangspunkt bildet das sozial-kognitive Laufbahnmodell von Lent, Brown und Hackett (1994). Die geplante Studie baut auf dem SNF-Projekt "Institutionelle Bedingungen der Leistungsentwicklung beim Übergang in die Sekundarstufe I" (kurz: Wirkungen der Selektion WiSel) auf und setzt sie längsschnittlich mittels zweier weiterer Messzeitpunkte fort. Die am Projekt WiSel im 9. Schuljahr teilnehmenden Jugendlichen werden ein weiteres Mal befragt und mit einer Zusatzstichprobe ergänzt. Es werden im 9. Schuljahr Aspekte von Handlungen und Einstellungen im Berufsfindungsprozess sowie damit zusammenhängende Kontextfaktoren erfasst. Im ersten Jahr der nachobligatorischen Ausbildung werden die erlebte betriebliche Einführung sowie die Bewährung der Berufswahl erhoben. Zudem werden die Lehrpersonen am Ende des 9. Schuljahres nach den Anschlusslösungen der Jugendlichen befragt, um deren Angaben zu validieren. Mit dieser Studie wird erstmals im Schweizer Bildungskontext längsschnittlich und ausgehend vom Ende der Primarstufe untersucht, wie Bildungs- und Berufsfindungsprozesse miteinander interagieren und wie sich die Ergebnisse dieser Prozesse nach dem Eintritt in die nachobligatorische Ausbildung bewähren. Das Projekt ermöglicht unter theoretischer Perspektive die Weiterentwicklung von Modellen der Berufsfindung und des Übertritts in die nachobligatorische Ausbildung. In praktischer Hinsicht (Valorisierung) liefert das Projekt voraussichtlich für Schulen und Berufsberatung, aber auch für die Steuerung der Berufsorientierung und die Lehreraus- und -weiterbildung hilfreiche Grundlagen zur Unterstützung von Jugendlichen im Berufsbildungsprozess (Optimierung der Nahtstelle I). Schliesslich liefert es Erkenntnisse, wie Betriebe neu eintretende Jugendliche einführen und begleiten können. Das Projekt setzt das Projekt "Institutionelle Bedingungen der Selektion beim Übergang in die Sekundarstufe I" (Wirkungen der Selektion WiSel I, Nr 11063) fort. Die beiden Datensätze können verknüpft werden: https://forsbase.unil.ch/dataset/dataset-detail/16266/1473/

Resultate

In älteren Berufs- und Laufbahntheorien wurde eine relativ starke Gewichtung auf den individuellen Aspekt der Berufswahl gelegt. Zahlreiche empirische Auswertungen mit dem Datensatz verdeutlichen jedoch, dass sich ein modernes Konzept der Berufsfindung als Sozialisationsprozess eher zu bewähren scheint (Neuenschwander, 2018). So zeigten beispielsweise Neuenschwander, Hofmann, Jüttler & Schumann (2018) in ihrer Untersuchung zur Frage, unter welchen Bedingungen das gewünschte Berufsfeld im siebten Schuljahr rund zwei Jahre später in der beruflichen Grundbildung realisiert wird, dass berufliche Vorbilder eine zentrale Rolle einnehmen. Ihr Berufsfeld hat zusammen mit dem Typ des beruflichen Interessens und dem Berufsfeld der ersten Schnupperlehre der Jugendlichen einen Einfluss auf die Umsetzung des gewünschten Berufsfeldes in der nachobligatorischen Berufsausbildung. Die Berufsfelder der Vorbilder hatten den grössten Effekt. Besonders die Eltern scheinen im Berufswahlprozess wichtig zu sein: Mit rund 39% wurden die Eltern als erstes oder zweites Vorbild am häufigsten genannt. Ausserdem zeigte sich in der Auswertung von Neuenschwander, Fräulin, Schumann und Jüttler (2018) zur Frage, ob Leistungserwartungen der Eltern und Lehrpersonen sowie Leistungen der Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch und Mathematik in der Primarstufe die Bildungsverläufe (Berufsbildung vs. Gymnasium) erklären, dass Leistungs- und Ausbildungserwartungen von Bezugspersonen den Berufswahlprozess der Jugendlichen stark beeinflussen. Die stufenweisen logistischen Regressionsanalysen verdeutlichten, dass das Geschlecht, der sozioökonomische Status, die Leistungserwartungen der Eltern gegenüber den Deutschleistungen ihres Kindes im fünften Schuljahr und die schulischen Leistungserwartungen der Lehrpersonen – ebenfalls gemessen im fünften Schuljahr – den (Aus-)Bildungsweg der Jugendlichen vorhersagten: Mädchen, Jugendliche mit hohem sozioökonomischen Status, hohen von den Eltern an sie herangebrachten Leistungserwartungen im Fach Deutsch und hohen von ihrer Lehrperson an sie herangebrachten schulischen Leistungserwartungen hatten eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit für einen Übertritt in eine gymnasiale Ausbildung nach der neunten Klasse. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch und Mathematik hatten über die Leistungserwartungen der Eltern in den entsprechenden Fächern sowie über die schulischen Leistungserwartungen ihrer Lehrpersonen einen signifikanten indirekten Effekt auf die (Aus-)Bildungsentscheidung Berufsbildung versus Gymnasium.