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Glückspiel und Spielsucht in der Schweiz. Empirische Untersuchung von Spielpraxis, Entwicklung, Sucht und Konsequenzen

Ref. 8188

Description générale

Période concernée

1998 bis 2003

Région géographique

-

Informations géographiques additionnelles

Schweiz

Résumé

In Zusammenhang mit der Umsetzung des neuen Spielbankengesetzes und den Revisionsarbeiten am Lotteriegesetz haben das Bundesamt für Justiz (BJ) und die Eidgenössische Spielbankenkommission (ESBK) gemeinsam eine Studie in Auftrag gegeben, die fünf Ansprüche erfüllen soll: - Einblick geben ins Spielverhalten, in die Entstehung von Glücksspielsucht und in Möglichkeiten der Prävention und "Heilung", - Auskunft geben über Umfang und Entwicklung der Glücksspielsucht in der Schweiz, - einen globalen Ansatz verfolgen und sämtliche Glücksspielangebote (Spielbanken, Geldspielautomaten, Lotterien, Wetten, Internet, etc.) umfassen, - es erlauben, die Anteile derjenigen Spieler/innen zu ermitteln, die an Glücksspielsucht leiden, und Angaben zur Verteilung auf die Bereiche Spielbanken und Lotterien/Wetten machen, - Auskunft geben über die sozialen, ökonomischen und volkswirtschaftlichen Folgen von Glücksspielsucht. Der Fragekatalog umfasst drei Bereiche: - Glücksspielpraxis: Profil der Spieler/innen, Karrieren, Spielverhalten, - Glücksspielproblematik resp. -sucht, - Konsequenzen der Glücksspielsucht.

Résultats

Die Studie gewährt einen umfassenden Einblick in die Glücksspiellandschaft sowie die Ausprägung und Ausbreitung der Spielsucht in der Schweiz. - Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2002 sind 1.21 Mio. oder 21.2 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung ab 18 Jahren "Häufigspieler/innen" (= regelmässige, d.h. mehr oder weniger wöchentliche Glücksspielnutzung). Gemessen an der jeweiligen Bevölkerung werden mehr Glücksspiele in der französischen und der italienischen Schweiz als in der deutschen Schweiz genutzt. Der weitaus grösste Teil der regelmässigen Glücksspielnutzer/innen (1.18 Mio. Personen, 20.6% der Bevölkerung) spielt Zah-lenlotto, Toto-X, Sporttoto oder ein ähnliches Spiel. - Aus der Befragung von Beratungs- und Behandlungsstellen geht hervor, dass die Anzahl der Beratungen von Personen mit Glücksspielproblemen seit 1998 von 146 auf 751 im Jahr 2003 stark angestiegen ist. Die Anzahl der verhängten Spielsperren für Casinospieler/innen hat seit der Öffnung der Spielbanken nach dem neuen Spielbankengesetz in den Jahren 2002 (ca. 700) und 2003 (2'301) stark zugenommen. Ende 2003 waren 6'923 Spieler/innen gesperrt. Für ende 2004 rechnet die Eidgenössische Spielbankenkommission mit 10'000 gesperrten Personen. - Aus den Auswertungen der verschiedenen Quellen wurde ein Modell zur Schätzung der Prävalenz entwickelt. Aufgrund des Modells kann für die Schweiz im Jahre 2003 eine Prävalenzrate von 0.62 bis 0.84 Prozent der Bevölkerung ab 18 Jahren geschätzt werden, dies entspricht in absoluten Zahlen 35'500 bis 48'000 Personen mit einem Glücksspielsuchtproblem. - Bei den beratenen Glücksspieler/innen sind: 79 Prozent männlich, 21 Prozent weiblich. Das Durchschnittsalter liegt bei 40 Jahren. Der jüngste ist 15, der älteste 81 Jahre alt. Mit 44 Prozent ist die Alterskategorie der 35- bis 49-Jährigen am stärksten vertreten. Der grösste Teil (40%) ist ledig, 34 Prozent sind verheiratet, 24 Prozent geschieden/getrennt. 70 Prozent sind schweizerischer Nationalität; mit 30 Prozent ist der Anteil an Ausländer/innen vergleichsweise hoch. Die meisten (63%) der beratenen Spieler/innen arbeiten als Angestellte. Wenig verbreitet sind Personen im Altersruhestand (3%). Personen mit Glücksspielproblemen finden sich in allen Bildungsschichten. 62 Prozent der beratenen Glücksspieler/innen verfügen über eine mittlere Qualifikation, was in etwa der Gesamtbevölkerung entspricht. Hingegen sind Personen mit tieferem Ausbildungsniveau im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eher übervertreten und Personen mit einem höheren Ausbildungsniveau eher untervertreten. Eine ähnliche Verteilung ergibt sich auch hinsichtlich der Einkommen. - Ein wichtiges Thema in der Diskussion um die Glücksspielsucht bildet die Frage nach den problemverursachenden Glücksspielen. Unsere Auswertungen machen deutlich, dass es sich hauptsächlich um Geldspielautomaten handelt, was sich mit Ergebnissen aus der bestehenden Forschung deckt. Aus den Auswertungen wird auch deutlich, dass es sich pro Person oft um mehrere problemverursachende Glücksspiele handelt - im Schnitt 1.75. Bei 81 Prozent der beratenen Personen wurden Slot Maschines oder andere Geldspielautomaten als problemverursachendes Glücksspiel (mit)erwähnt. Gemessen an ihrer geringen regionalen Verbreitung erreichen die elektronischen Lotterien bzw. Lotterieautomaten (Tactilo etc.) mit 12 Prozent im Gesamtdurchschnitt eine beachtliche Bedeutung. - Ein im Verhältnis zum Einkommen grosser Gewinn ("Big Win") kann zum Auslöser des Suchtverhaltens werden, allerdings kann auch ein wichtiges externes Ereignis im Leben der/des Spielenden (mit-)auslösend wirken. Wichtig sei ebenfalls die örtliche Nähe des Glücksspielangebots. Auf der individuellen Ebene wird als biologischer Risikofaktor das ADS-Syndrom ("Hyperaktivität") genannt, sowie diverse psychische Veranlagungen: Impulsivität, Depressionen und der Hang zu "magischen Gedanken" (irrationale Überzeugungen, Aberglaube). Als spezifisch suchtfördernde Charakteristiken der Glücksspiele konnten bei Geldspielautomaten insbesondere die hohe Geschwindigkeit des Spiels, die Fast-Gewinne sowie in den Casinos die Jackpot-Systeme festgestellt werden. Bei Tischspielen in Casinos sind es die hohen bis sehr hohen Einsätze und die Ambiance, die Entkoppelung vom natürlichen Tagesrhythmus, welche suchtfördernd wirken. Lotterien und Wetten können durch die Regelmässigkeit der Durchführung Sucht generieren, Rubbellose bergen zudem durch die sofortige Gewinn- oder Verlustbestätigung zusätzliches Suchtpotenzial. Bei Glücksspielen per Internet sind nebst der Charakteristiken der einzelnen Spiele die zeitliche Unlimitiertheit sowie die Anonymität suchtfördernd. - Süchtiges Glücksspielverhalten lässt sich auf die Dauer nur durch massive Verschuldung aufrechterhalten. Finanzielle Probleme und starke Verschuldung sind denn auch eine der Hauptfolgen der Glücksspielsucht. 92 Prozent der beratenen Glücksspieler/innen sind verschuldet, zumeist an mehreren Stellen. Im Durchschnitt ergibt sich eine sehr hohe Glücksspielverschuldung von 257'000 Franken pro Person. Der Median liegt bei 40'000 Franken. Inner- und ausserfamiliäre Beziehungen (Partnerschaft etc.) werden durch die Glücksspielsucht stark beeinträchtigt. Weiter sind im Mittel 18 Prozent der beratenen Glücksspieler/innen von Arbeitslosigkeit betroffen. Ebenfalls eine grosse Bedeutung haben im Suchtbereich Mehrfachstörungen (Tabak, Alkohol, psychische Erkrankungen, Suizidalität). 15 Prozent der beratenen Glücksspieler/innen sind in ein Strafverfahren wegen Veruntreuung, Unterschlagung, Betrug oder Dieb-stahl verwickelt. - Die Spielsperren der Casinos werden als effektives Instrument gegen die Glücksspielsucht angesehen. Insbesondere können dadurch grössere finanzielle Verluste der Glücksspieler/innen verhindert werden. Die Sperren haben jedoch Nachteile (Ausweichen auf Angebote ausserhalb der Spielbanken oder ausländische Angebote möglich) bzw. genügen als Massnahme gegen die Glücksspielsucht nicht. - Durch die verschiedenen Glücksspielangebote in der Schweiz wurde 2002 ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen von gut 700 Mio. Franken generiert. Die Nutzenanteile verteilen sich folgendermassen auf die vier betrachteten Ebenen: Die Gesellschaft als Ganzes profitiert mit 49 Prozent (370 Mio. CHF) über die Lotterieerträge für gemeinnützige Zwecke am meisten vom Glücksspielangebot in der Schweiz. Die Kantone haben einen Anteil von 28 Prozent am sozialen Nutzen des Glücksspielangebotes (213 Mio. CHF). Die Sozialversicherungen haben einen Anteil von 12 Prozent (94 Mio. CHF). Dabei fliesst der Nutzen zu 99 Prozent in den Ausgleichsfonds der AHV (Spielbankenabgabe), 1 Prozent des Nutzens entsteht über verhinderte Arbeitslosigkeit bei der Arbeitslosenversicherung. Dem Bund kommen 10 Prozent des sozialen Nutzens zu (78 Mio. CHF). - Der weitaus grösste Teil (94%) der quantifizierbaren Kosten des Glücksspiels (rund 100 Mio. CHF) ent-steht durch die Glücksspielsucht, welche im Jahr 2002 Kosten in der Höhe von 92.6 Mio. Franken verursachte. Auf der Ebene Bund fallen kaum Kosten an (1%). Der Hauptanteil der sozialen Kosten des Glücksspielangebots fällt über den Ausfall von Glücksspielschulden in der Gesellschaft als Ganzes an (71%). Kantone und Gemeinden tragen 18 Prozent der sozialen Kosten des Glücksspielangebots über Behandlungskosten, Kosten der Arbeitslosigkeit und Gerichtskosten sowie Verwaltungskosten. Die restlichen 10 Prozent der quantifizierbaren sozialen Kosten fallen bei den Krankenkassen und der Arbeitslosenversiche-rung an. - Eine Gegenüberstellung der Kosten und Nutzen des Glückspielangebots ergibt auf den ersten Blick einen klaren Überhang an quantifizierbaren Nutzen. Mit rund 100 Mio. Franken sind die geschätzten Kostenfolgen jedoch beträchtlich. Insbesondere wiegen auch viele intangible Kosten im individuellen Bereich und im sozialen Umfeld der Betroffenen schwer. - Forschungslücken bestehen im Bereich Evaluation der Glücksspielsuchtprävention (z.B. Wirksamkeit der Sozialkonzepte im Spielbankenbereich). Ebenfalls wäre die Durchführung einer breit angelegten Prävalenzstudie zu begrüssen. Die letzte derartige Erhebung fand im Jahr 1998 statt (Osiek et al. 1999). Auch eine Verfeinerung der Kosten-Nutzen-Analyse (Quantifizierung der intangiblen Anteile der sozialen Kosten der Glücksspielsucht) wäre in weiteren Projekten anzustreben.