Protestantische Ethik in der pluralistischen Gesellschaft. Untersuchungen zum Verhältnis von Staat, Politik und Kirchen in der Schweiz

Ref. 6061

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Région géographique

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Schweiz

Résumé

Which role could and which role may christian ethics be allowed to play in public deliberation about politics within a pluralistic society? This question is part of the controversial discussion about the relationship of state and churches in Switzerland. While some are of the opinion that the values, virtues and norms represented by the churches are indispensable for society and state, others refer to the principle of state neutrality and argue for a strict separation of state and churches. They think that religion is a matter of the private sphere. The public discussion in Switzerland about this topic suffers from the lack of new and profound inquiries into the self-understanding of protestant political ethics, especially concerning its relevance for political integration and legitimation. To help filling this gap is one of the main purposes of this research project. In addition, I want to investigate the practical consequences of this fundamental inquiry about the state-churches-relationship. The project is divided in four parts. In the first, I want to ascertain in which way christian values, virtues and norms are actually influencing the political opinions and decisions of Swiss people. For this purpose, I shall interprete the already existing sociological studies about religion in Switzerland. In a second part, selected protestant-theological theories about political ethics will be analysed. I have chosen six theories, three from the german-speaking world (probably E. Herms, W. Huber, F. Wagner) and three from the United States (probably St. Hauerwas, R.F. Thieman and F.I. Gamwell) which represent different types of political ethics from a theological point of view. The analysis will concentrate on how these theories answer to the questions: "Who maintains protestants ethics?", "Which is its subject?" and "What is its service to public deliberation?". The aim of the third part is to draw own considerations about the self-understanding and relevance of protestant political ethics in a pluralistic society. For this purpose, a careful examination of the discussion focused on this topic especially in the United States is necessary. At this point, it seems to be useful to discern in an analytical way matters of political integration and legitimation. In the last part of the project, I shall try to draw conclusions concerning the relationship of state and churches in Switzerland. I intend to state three case-studies (probably about the new employment law, the Swiss day of repentance and church-asylum) and then end with general considerations.

Résultats

Im Laufe des ersten Projektjahres haben wir uns mit empririschen Studien zur konfessionellen und religiösen Identität der Schweizerinnen und Schweizer, ausgewählten Ansätzen einer protestantischen Ethiken des Politischen und liberalen Autoren, die für eine Ausschluss religiöser Überzeugungen aus der politischen Deliberation plädieren, befasst. Es zeigte sich, dass die nach wie vor hohe Kirchenmitgliedschaft in der Schweiz nicht mit normativer Identifikation gleichgesetzt werden darf. Christentum und Kirchen geniessen zwar als gesellschaftliche Institutionen hohe Anerkennung, doch die individuelle Religiosität und Praxis werden vom Individuum weitgehend unabhängig davon gestaltet. Bei der Auseinandersetzung mit neueren protestantische Ethiken des Politischen fiel u.a. auf, dass deutschsprachige Autoren sich kaum mit der Legitimationsproblematik auseinandersetzen und statt dessen dazu neigen, die Bedeutung des Christentums für die gesellschaftliche Integration hervorzuheben. Schliesslich wurde deutlich, dass der von vielen Liberalen vorgebrachten Forderung nach einer Selbstbeschränkung religiöser Überzeugungen in politischen Diskursen zumeist ein bestimmtes Verständnis politischer Legitimität zugrunde liegt, das es zu überprüfen gilt. a) Darstellung der Forschungsarbeit Im Laufe des ersten Projektjahres haben wir uns dem Zeitplan des Forschungsgesuches entsprechend mit drei Aspekten des Forschungsprojektes befasst: der Rezeption empirischer Studien zur konfessionellen und religiösen Identität der Schweizerinnen und Schweizer (1), der Analyse ausgewählter Ansätze einer protestantischen Theorie des Politischen (2) sowie eigenen Überlegungen zur Rolle protestantischer Ethik in Prozessen politischer Legitimation (3). ad (1) Ziel der religionssoziologischen "Bestandsaufnahme" (I.) sollte es sein, Aufschluss über die Stabilität der kirchlichen Landschaft in der Schweiz sowie den Zusammenhang von religiösen und politischen Überzeugungen zu gewinnen. Aus den in der Schweiz gesammelten Daten zur Konfessionszugehörigkeit geht hervor, dass die konfessionelle Situation in der Schweiz durch relative Kontinuität gekennzeichnet ist. Auch wenn gemäss der Volkszählung 1990 immer noch 86,2% der Schweizer Wohnbevölkerung einer der beiden grossen Landeskirchen angehören, deuten eine Reihe von Anzeichen auf eine schleichende Veränderung der konfessionellen Landschaft hin. Die "Sonderfall"-Studie (Dubach/Campiche) stellt das klassische Säkularisierungsparadigma infrage und zeigt, dass Kirchenmitgliedschaft nicht mit normativer Identifikation gleichgesetzt werden darf. Sie macht deutlich, dass die religiöse Identität nicht exklusiv und konfessionell, sondern ein Akt autonomer Entscheidung und heterogen strukturiert ist, auch wenn dass das Christentum bei der Ausbildung religiöser Überzeugungen nach wie vor eine privilegierte Rolle spielt. Interessanterweise scheint die Bindung an die formale Organisation Kirche verbreiteter zu sein als diejenige an die Kirche als soziale Gemeinschaft, so dass sich u.E. nur bedingt von einer De-Instituionalisierung sprechen lässt. Im Hinblick auf das politische Verhalten zeigt sich ebenfalls ein Zurücktreten des konfessionellen zugunsten eines allgemein-christlichen Moments (Voll, Geser, Hardmeier), und bemerkenswerterweise billigen viele Schweizerinnen und Schweizer Christentum und Kirchen eine grosse Bedeutung im Hinblick auf Staat und Gesellschaft zu. Sie geniessen als gesellschaftliche Institutionen offenbar nach wie vor hohe Anerkennung, auch wenn sich die individuelle Religiosität und religiöse Praxis davon weitgehend unabhängig gestaltet. Was den Vergleich mit anderen europäischen Ländern angeht, so bestätigt das vorhandene Material die Einschätzung Krüggelers, wonach "die heutige Schweiz noch stärker durch christliche Überzeugungen geprägt (ist) als andere Länder". Im Zuge der weiteren Projektarbeit gilt es zu beachten, dass sich die religiöse Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland (altes Bundesgebiet) nicht grundsätzlich von derjenigen in der Schweiz unterscheidet, während sich dieSituation in den Vereinigten Staaten vollkommen anders darstellt. Das Ergebnis dieser Projektphase spiegelt sich in dem Kapitel "Konfession, religiöse Identität und politisches Verhalten" wider (s. Beilage). Dieser Text eignet sich u.E. zwar nicht für eine separate Publikation, er soll aber einen Teil der Gesamtstudie bilden. ad (2) In der zweiten Phase haben wir uns dem Projektplan entsprechend mit verschiedenen Ansätzen einer protestantischen Ethik des Politischen befasst (II.). Der Auftakt zur Auseinandersetzung mit den sechs im Forschungsgesuch genannten Positionen (Herms, Hauerwas, Gamwell, Wagner, Thiemann, Huber) erfolgte u.a. im Zusammenhang mit einem Seminar, das Ruh/Grotefeld im WS 97/98 unter dem Titel "Theologische Ethik des Politischen. Neuere Ansätze im deutsch- und englischsprachigen Raum" an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich durchgeführt haben. Dabei zeigte sich, dass den Ansätzen nur selten explizite Antworten auf die drei genannten Fragen nach Trägern, Gehalt und Leistungen protestantischer Ethik zu entnehmen und dass sie auch sonst nur schwer vergleichbar sind. Ferner deutete sich an, dass die im Projektantrag entworfene Typologie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen offenbar nur teilweise zu erklären vermag, da die Differenzen innerhalb der drei Typen grösser sind als zunächst angenommen (Gamwell - Wagner, Hauerwas - Herms), während Gemeinsamkeiten über die Typengrenzen hinweg ins Auge fallen (Herms, Gamwell). Offensichtlich kann das den jeweiligen Typen gemeinsame Merkmal sehr unterschiedlich interpretiert werden, und in diesem Zusammenhang scheint die dabei explizit oder implizit vorausgesetzte Deutung des gesellschaftlichen Kontextes eine erhebliche Rolle zu spielen. Während us-amerikanische Theologen die im First Amendment festgelegte, klare Trennung von Staat und Kirchen voraussetzen, scheint bei deutschen Autoren die langjährige institutionelle Verbindung von Kirchen und Staat nachzuklingen, wenn sie die Bedeutung protestantischer Ethik für die Gesellschaft hervorheben. Es fällt auf, dass deutschsprachige Autoren eher im Kontext der Integrationsproblematik argumentieren, sich hingegen weniger mit der Legitimationsproblematik befassen und dem religiösen Pluralismus geringeres Gewicht beizumessen als ihre us-amerikanischen Kollegen. Was den zuletzt genannten Punkt betrifft, so bildet Herms eine Ausnahme. Da er ausserdem über eine elaborierte Sozialtheorie verfügt, erschien es sinnvoll, bei der Analyse theologischer Positionen mit ihm zu beginnen. Die Herausarbeitung der Stärken und Schwächen des Ansatzes von Herms hat mehr Zeit und Raum in Anspruch genommen als geplant. Da eine ähnlich intensive Beschäftigung mit den anderen ins Auge gefassten Autoren den Rahmen des Projektes sprengen würde (s. Beilage), haben wir uns entschlossen, statt dessen mit der Arbeit am dritten Projektabschnitt zu beginnen, um auf diese Weise die Ansprüche, die heute an eine protestantische Ethik des Politischen gestellt werden, herauszuarbeiten und klarere Kriterien für die Auseinandersetzung mit den genannten Ansätzen zu gewinnen. Im Zuge der weiteren Arbeit wollen wir prüfen, ob diese Auseinandersetzung auf sinnvolle Weise in die Behandlung der Legitimations- und Integrationsproblematik integriert werden kann. In diesem Fall wäre auch zu überlegen, ob es möglich das Kapitel zu Herms, das sich jedenfallsin dieser Fassung nicht für eine separate Publikation eignet, in die Projektstudie einzubauen. ad (3) In der dritten Phase unserer Projektarbeit haben wir begonnen uns mit der Legitimationsproblematik (III.a) befassen. Dabei geht es um die Frage, ob partikulare, religiöse Überzeugungen berechtigterweise als Argumente bei der Legitimation politischer Macht und politischer Entscheidungen in einer liberalen Demokratie irgendeine Rolle spielen können. Eines der wichtigsten Argumente für die Forderung nach einer (Selbst-) Beschränkung religiöser Überzeugungen lautet nämlich, dass dem liberalen Demokratien zugrundeliegenden Verständnis politischer Legitimität zufolge die Ausübung politischer Macht und insbesondere politischer Zwang moralisch nur dann legitim ist, d.h. mit dem Respekt vereinbar, den Bürgerinnen und Bürgern einander als Freie und Gleiche schulden, wenn sie so begründet werden, dass die davon Betroffenen diese Gründe rationalerweise akzeptieren oder zumindest akzeptieren können. Dieses Legitimitätsprinzp schliesst nach Auffassung vieler Liberaler religiöse Überzeugungen aus, da religiöse Überzeugungen nach ihrer Auffassung für Nicht-Gläubige unzugänglich und nicht auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfbar sind. Die Bedeutung dieser Diskussion, die sich bislang vor allem in den Vereinigten Staaten abspielt, reicht u.E. über den dortigen Kontext hinaus, da dabei das Selbstverständnis liberaler Demokratien überhaupt zur Debatte steht. Deshalb ist sie auch für Europa und die Schweiz von Interesse, auch wenn man sich der unterschiedlichen Rahmenbedingungen bewusst sein und vor vorschnellen Übertragungen hüten muss. Aus der bisherigen Beschäftigung mit diesen Fragen ist ein Papier von Stefan Grotefeld über "Selbstbeschränkung als Bürgerpflicht? Religiöse Überzeugungen, politische Deliberation und Gesetzgebung" hervorgegangen, das er bei der Jahrestagung der Societas Ethica im August 1998 präsentiert hat (s. Beilage; eine überarbeitete Fassung wird als Aufsatz publiziert). Im Verlauf der weiteren Arbeit wollen wir uns zunächst genauer mit der Frage untersuchen, welche Bedeutung das Legitimitätsprinzip für den Liberalismus hat. Wir vermuten, dass sowohl historische als auch systematische Gründe dafür sprechen, in diesem Legitimitätsverständnis einen wichtigen Bestanteil liberaler politischer Theorie zu sehen. Anschliessend wollen wir uns exemplarisch mit zwei oder drei liberalen Philosophen auseinandersetzen, die unter Berufung auf dieses Legitimitätsprinzip die (Selbst-) Beschränkung religiöser Überzeugungen im Hinblick auf die politische Deliberation für geboten halten. Dabei soll die bisher geleistete Arbeit, die sich in den beiden unten genannten Aufsätzen niedergeschlagen, fortgeführt und unsere These geprüft werden, dass wir in der politischen Deliberation auf religiöse Überzeugungen bezug nehmen können, ohne es deshalb an dem Respekt fehlen zu lassen, den wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern als Freie und Gleiche schulden. Liesse sich diese These halten, dann hätte dies eine Revision des gängigen liberalen Legitimitätsverständnisses zur Folge. Deshalb möchten wir schliesslich noch der Frage nachgehen, ob sich ein plurales Ideal öffentlicher Vernunft entwickeln lässt, das den Bezug auf religiöse Überzeugungen nicht per se ausschliesst, sondern an bestimmte Kriterien bindet, bevor wir uns der Integrationsproblematik (III.b) zuwenden. Leider liess sich der Plan von Stefan Grotefeld, von September 1998 bis Juli 1999 an das Institute for the Advanced Study of Religion nach Chicago zu gehen, nicht realisieren, da das dortige Institut zur Zeit neu strukturiert wird. Herr Grotefeld wird deshalb die Arbeiten zum dritten Projektabschnitt weitgehend in Zürich durchführen. Er plant jedoch, im Herbst nächsten Jahres einige Monate in Utrecht zu verbringen, um unsere Überlegungen mit niederländischen Kollegen zu diskutieren und zu überarbeiten. Seine guten Kontakte zu Forschern in Utrecht, Tilburg und Amsterdam, die sich mit ähnlichen Fragen befassen, konnte er bei einem Gastvortrag vertiefen, den er im Oktober 1998 in Utrecht gehalten hat.