Fragestellung: Tragen familienergänzende Einrichtungen vorschulischer Kinderbetreuung wie Krippen, Horte, Tagesfamilien oder Spielgruppen dazu bei, die späteren Bildungschancen von Migrationskindern zu erhöhen? Mit anderen Worten: Zeigt der Besuch derartiger Einrichtungen einen positiven Effekt hinsichtlich dem späteren Schulerfolg? Und sollte dies zutreffen: Worauf lässt sich dieser positive Einfluss zurückführen?
Ergebnisse:
a) Bestandesaufnahme familienergänzender Betreuungseinrichtungen in den drei Städten:
Obwohl eine zusammenfassende Analyse aufgrund des uneinheitlichen Datenmaterials und der regional unterschiedlichen Handhabung der Definitionskriterien von Kindertagesstätten schwierig ist, lassen sich aus unseren Umfragen und bereits publizierten Erhebungen folgende generelle Aussagen ableiten: Die Nachfrage übersteigt bei weitem das Angebot, denn alle stichprobenweise angefragten Institutionen weisen Wartelisten auf - mit Ausnahme der Kindergärten; der Versorgungsgrad mit familienergänzenden Betreuungseinrichtungen ist für das Vorschulalter in Locarno am höchsten - dank der Möglichkeit eines Beginns des Kindergartens mit Tagesstruktur ab drittem Lebensjahr; Angebote im Vorschulalter sind in allen drei Städten besonders ausbaufähig - insbesondere bei Krippen, Tagesfamilien und Spielgruppen; im Schulalter besteht durch Horte und Tagesschulen eine bessere Abdeckung.
b) Teilhabe an familienergänzenden Betreuungseinrichtungen:
Ein regelmässiges Betreuungsverhältnis im Rahmen öffentlicher Institutionen wird vier von fünf Kindern unserer Untersuchungspopulation (4- und 6-jährige Kinder) zuteil. Hingegen wird beinahe jedes vierte Migrationskind weder privat noch in institutionellem Rahmen von anderen Personen betreut. Noch offenkundiger wird dieser Sachverhalt bei der Kohorte der jüngeren (4-jährigen) Kindern: Währenddem über 70% der schweizerischen Kinder familienergänzende Einrichtungen in irgendeiner Form in Anspruch nehmen und damit ein Leben ausserhalb der eigenen Familie kennenlernen, sind es bei den Migrationskindern nur knapp 50%. Auch das Ausmass nicht-institutioneller Betreuungsverhältnisse (etwa bei Verwandten oder Nachbarn) ist bei Migrationsfamilien bedeutend geringer als bei schweizerischen Familien.
Bei der Kohorte der älteren (6-jährigen) Kindern lebt gut jedes zweite schweizerische Kind - nebst dem (lokal unterschiedlichen) altersgemässen Besuch des Kindergartens - in einer weiteren Lebenswelt ausserhalb der eigenen Familie. Bei den Migrationskindern ist es nur jedes dritte Kind.
Es sind Unterschiede zwischen den Sprachregionen festzustellen: Familienergänzende Kinderbetreuung ist im Tessin auf der Ebene des früh einsetzenden Kindergartenbesuchs und in der Westschweiz auf der Ebene der Krippen und Kleinkinderhorte besser verankert und selbstverständlicher als in der Deutschschweiz.
Die Bestandesaufnahme aller familienergänzenden Betreuungseinrichtungen und die Untersuchung ihrer Nutzung durch 4- und 6-jährige Kinder unterschiedlicher ethnischer Herkunft in Winterthur, Neuchâtel und Locarno hat schliesslich ergeben, dass deren Gebrauch primär von der Angebotsstruktur abhängig ist. Ob Familien die Dienste solcher Institutionen beanspruchen, hat mehr mit den entsprechenden lokal vorhandenen Nutzungsmöglichkeiten und den Kosten für die Familie zu tun, als mit ihrer ethnisch-kulturellen Zugehörigkeit. Aber auch die Anschauungen von Eltern bezüglich Rollenverhalten auf der Ebene der Paar- und der Eltern-Kind-Beziehung (etwa bei der Aufteilung von Erwerbs- und Erziehungsaufgaben) sind von grosser Bedeutung hinsichtlich der Entscheidungen bei der Kinderbetreuung.
c) Effekte familienergänzender Betreuung hinsichtlich Schulerfolg:
Die Triangulierung der quantitativen und qualitativen Ergebnisse führt zu folgendem hauptsächlichen Resultat: Kinder ab dem 3. Lebensjahr, ergänzend zur Familie in Krippen, Spielgruppen, Tagesfamilien oder Kindergarten betreut und gefördert, werden von ihren Lehrpersonen in ihren kognitiven, sprachlichen und sozialen Fähigkeiten besser beurteilt als Kinder, die ausschliesslich im Kreise der eigenen Familie aufwachsen. Insbesondere Kinder aus Migrationsfamilien, die im Vorschulalter familienergänzend betreut werden, bewältigen den Übergang zur Schule signifikant besser als Kinder, die sich ohne diesen vermittelnden Bezug in einer für sie fremden' Lebenswelt behaupten müssen.
Den Fallstudien entnehmen wir im weiteren, dass die Zusammenarbeit von Lehrpersonen mit den Eltern als Brücke zwischen familialen Deutungsmustern und den Anforderungen der Schule eine wichtige moderierende Funktion im Hinblick auf den Schulerfolg von Migrationskindern hat. Finden regelmässig substanzielle Gespräche zwischen Lehrperson und beiden Elternteilen statt, sind gute schulische Leistungen eher gewährleistet. Die Notwendigkeit interkultureller Kompetenz bei Lehrpersonen kann deshalb nicht genug betont werden.