Gleichstellung ist in den untersuchten Institutionen praktisch kein Thema. Abgesehen vom Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein Bewusstsein für Ungleichheiten vorhanden. Solange die Erwerbslosen als Individuen adressiert werden, sind auch keine systematischen Un-gleichbehandlungen festzustellen. Das ändert sich, wenn die Familie ins Spiel kommt und zwar primär für Frauen: Müttern wird ambivalent begegnet. In der ALV beruhen Versicherungsansprü-che auf individuellen Beiträgen. Erwerbsunterbrüche, Teilzeitarbeit oder atypische Beschäftigung wirken sich leistungsmindernd aus. Das trifft in erster Linie Mütter, die in der Familie Care-Arbeit leisten. Wenn sich Frauen aber Leistungsansprüche erarbeitet haben, werden sie bei der Vergabe von arbeitsmarktlichen Massnahmen nicht weiter benachteiligt. In der Sozialhilfe bildet der ganze Haushalt die Unterstützungseinheit, und die Daten lassen vermuten, dass ein traditionelles Familienmodell die Zuteilung von Massnahmen beeinflusst. Frauen – vor allem Migrantinnen – sind in den Programmen der Sozialhilfe signifikant untervertreten. Die Sozialhilfe investiert also stärker in Männer. Gegenüber Alleinerziehenden, die nicht auf einen „Ernährer“ zählen können, ist die Haltung ambivalent. Einerseits erwartet man von ihnen, möglichst früh in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Anderseits wird ihnen eine Auszeit vom Arbeitsmarkt für die Erziehung ihrer Kinder zugestanden.
Sozialinvestitionen sind selektiv: investiert wird, wo es sich lohnt. Erwerbslose, die noch relativ „arbeitsmarktnah“ und flexibel für den Arbeitsmarkt verfügbar sind, werden eher gefördert als diejenigen mit kleinen Erfolgschancen. Das hat den paradoxen Effekt, das gerade Erwerbslose mit geringen Ressourcen und hohem „Investitionsbedarf“ keine adäquate Förderung erhalten. Weil Erwerbslose durch die staatliche Unterstützung nicht besser gestellt werden dürfen als Erwerbstätige, die sich ihre berufliche Aus- und Weiterbildung selbst finanzieren müssen, können vor allem Personen ohne Qualifikationen ihre Bildungsdefizite nicht aufholen. Sie werden tendenziell in nicht qualifizierende Beschäftigungsmassnahmen geschickt oder in kollektive Kurse, die ebenfalls in der Regel nicht zu formalen Qualifikationen führen. Die Massnahmen der ALV und der Sozialhilfe fungieren somit als selektive „Ersatzinvestitionen“, welche den Betroffenen allenfalls den Zugang zum Arbeitsmarkt auf dem beruflichen Niveau ermöglichen, auf dem sie sich vor Eintritt der Erwerbslosigkeit befanden. Eine nachhaltige Minderung des Risikos von Arbeitslosig-keit oder Armut ist damit aber nicht möglich.
Da alle Erwerbslosen heute dazu verpflichtet sind, sich aktiv um ihre Eingliederung zu bemühen, wird aber auf andere Weise auch in diejenigen investiert, bei denen wenig Aussicht auf schnelle berufliche Eingliederung besteht. Das betrifft eher die Klientinnen und Klienten der Sozialhilfe, die schon lange weg vom Arbeitsmarkt sind. Ihnen wird in Integrationsprogrammen, vor allem in den beiden untersuchten Frauenprogrammen, mehr Raum für grundlegende Standortbestimmungen, berufliche Richtungswechsel und persönliche Entwicklung sowie mehr Zeit für die Integration zugestanden. Für manche der interviewten Frauen ist es eine neue Erfahrung zur Formulierung beruflicher Interessen ermuntert und bei den ersten Schritten zur Realisierung ihrer Pläne unterstützt zu werden. Vor allem in den beiden Frauenprogrammen wird auch bewusst am Aufbau von Selbstwertgefühl gearbeitet. Eine derartige intensive und individuelle Unterstützung ist aber eher die Ausnahme als die Regel. Alles in allem kann die Sozialinvestitions- und Aktivierungspraxis die besonderen Probleme erwerbsloser Frauen nur beschränkt lösen. Sie setzt an den Individuen an, ändert aber nichts an den strukturellen Geschlechterungleichheiten im Arbeitsmarkt und am Problem der Verbindung von Beruf und Familie. Vor allem bei den alleinerziehenden Müttern ist es sehr wahrscheinlich, dass sie auch bei gelingendem Einstieg in den Arbeitsmarkt weiterhin auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sein werden, solange sie nicht Vollzeit arbeiten und keinen Berufsabschluss nachholen können. Eingliederung in den Arbeitsmarkt bedeutet dann nur einen Wechsel von vollständiger Unterstützungsabhängigkeit zu einer Working Poor-Existenz mit Mehr-fachbelastung durch (prekäre) Erwerbsarbeit und Familienarbeit.