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Prozessorientierte Lernbegleitung und Kompetenzentwicklung der Lernenden

Ref. 8674

Allgemeine Beschreibung

Periode

-

Geographischer Raum

-

Zusätzliche geographische Informationen

deutschsprachige Schweiz

Kurzbeschreibung

Im Projekt werden konstruktivistische Ansätze in Form von prozessorientierter Lernbegleitung im Schweizer Physikunterricht beschrieben und bezüglich ihrer Auswirkungen auf Schülervariablen untersucht. Dabei geht es zunächst darum, prozessorientierte Lernbegleitung empirisch valide und reliabel zu erfassen und beschreiben, um anschliessend Zusammenhänge mit dem Lernen von Schülerinnen und Schülern zu überprüfen. Dazu werden Daten des SNF-Projekts "Lehr-Lern-Kultur im Physikunterricht - eine Videostudie" herangezogen, das am Institut Sekundarstufe II der PHBern durchgeführt wurde. Standardisierte Videoaufnahmen von jeweils einer Doppellektion Physikunterricht und Schülerbefragungen in 40 neunten Schulklassen der Gymnasial- und Sekundarschulstufe aus acht Deutsch-Schweizer Kantonen bilden die Grundlage für diese Analysen. Mittels eines Fragebogens, den die Jugendlichen sowohl zu Beginn als auch am Ende des Schuljahres ausfüllten, wurden in den Bereichen Wissen, Sachinteresse, fachspezifisches Selbstkonzept und motivationale Orientierung Entwicklungen erhoben. Ein weiterer Schülerfragebogen, der direkt im Anschluss an die gefilmten Lektionen bearbeitet wurde, erfasste hauptsächlich situationale Variablen zur Qualität der Lernmotivation, kognitiver Lernaktivität, Wahrnehmung der unterstützenden Lehr-Lern-Bedingungen, etc. Die prozessorientierte Lernbegleitung durch die Lehrperson wird mittels eines kombinierten Beobachtungsschemas erhoben, be-stehend aus Kodierungen auf der Basis von Sprecherturns und Ratingitems für Plenum- und Schülerarbeitsphasen.

Resultate

Wichtigste Resultate: • Prozessorientierte Lernbegleitung lässt sich mit Hilfe des vorliegenden Kategoriensystems von Kobarg & Seidel (2005) beschreiben. • Die verschiedenen Items des Beobachtungsschemata lassen sich per Faktorenanalyse in drei Faktoren zusammen fassen, die den Phasen von modelling, coaching und scaffolding aus dem Modell der kognitiven Meisterlehre von Collins, Brown & Newman (1989) entsprechen (vgl. Felder, 2006). • Im Schweizer Physikunterricht werden durchschnittlich 64% der Zeit im Plenum unterrichtet und 36% der Zeit in Schülerarbeitsphasen, es herrscht jedoch eine grosse Varianz zwischen den einzelnen Lehrkräften. Mit 36% ist der Anteil an Schülerarbeits-phasen deutlich höher als im deutschen Physikunterricht (15%). • Im Plenum zeigt sich eine hohe Zentrierung des Unterrichts auf die Lehrperson, die mit 82% Redeanteil das Unterrichtsgespräch stark dominiert. Sie liefert vor allem Erläuterungen (im Durchschnitt 34% der Zeit im Plenum) und stellt Fragen (im Durchschnitt 56 pro Doppellektion). • Die Rückmeldungen der Lehrpersonen auf Äusserungen der Schülerinnen und Schü-ler hin sind meist ein einfaches ‚ja’ oder ‚nein’ (in durchschnittlich 96% der Fälle) und nur selten positiv-unterstützend (3.5%) oder sachlich-konstruktiv (0.5%). • Fragen der Lehrperson weisen meist ein niedriges kognitives Niveau (79%) auf. Aller-dings werden viele Fragen offen formuliert (56%). • Beiträge der Lernenden zum Unterrichtsgespräch im Plenum sind meist kurz (<3 sec.: 60%) und passiv. In 77% der Fälle handelt es sich um Antworten auf Fragen der Lehrperson. Schülerinnen und Schüler agieren also vor allem als Stichwortgeber/innen. • Es liegt ein bedeutsamer Geschlechterunterschied zu Gunsten der Jungen vor. Dieser zeigt sich nicht nur in kognitiven Variablen (Wissen), sondern auch in Variablen mit affektivem Anteil, dem Interesse am Fach und dem fachspezifischen Selbstkonzept. • Ein Unterschied zwischen den untersuchten Schulformen (Gymnasium und Sekundarschule) findet sich nur für das Wissen, nicht jedoch für Sachinteresse und fachspezifisches Selbstkonzept. • Für das Wissen liegt eine Zunahme im Verlauf des Schuljahres vor, Sachinteresse und Selbstkonzept nehmen ab. • Es finden sich starke Zusammenhänge zwischen den Eingangsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und dem Unterrichtsertrag. • Die Art und Weise, wie Lernende das Unterrichtsangebot nutzen, beeinflusst die Entwicklung von Wissen, Sachinteresse und fachspezifischem Selbstkonzept. • Es konnten verschiedene Typen von Schülerinnen und Schüler unterschieden werden, die das Unterrichtsangebot unterschiedlich nutzen: - Bezüglich der Wahrnehmung der Lehr-Lern-Bedingungen zeigte sich eine mit 77% grosse Gruppe von Schülerinnen und Schüler, die den Unterricht eher positiv wahrnimmt, gegenüber 23% von Lernenden, die ein negatives Bild des Unterrichts zeichnen. - In ihrer Lernmotivation empfinden sich mit 50% die meisten Lernenden als introjiziert motiviert, sie zeigen niedrige Werte bezüglich den stark fremd- aber auch den stark selbstbestimmten Motivationsformen. Weitere 37% berichten eine stark selbstbestimmte Lernmotivation, während mit 13% die kleinste Gruppe von Jugendlichen berichtet, stark fremdbestimmt zu lernen oder sogar völlig amotiviert im Physikunterricht zu sein. - Auch bezüglich der kognitiven Lernaktivitäten während des Unterrichts zeigten sich drei Gruppen von Jugendlichen: die mit 49% grösste Gruppe berichtet starke kognitive Aktivitäten sowohl elaborierender als auch organisierender Art. Weitere 38% beschränken sich in ihren Elaborationen auf das Nachvollziehen der Ausführungen der Lehrperson und zeigen keine vertieften Elaborationen oder organisierenden Prozesse, während die restlichen 13% kognitiv komplett „abschalten“. • Gewisse Aspekte der prozessorientierten Lernbegleitung haben einen Einfluss auf die Art und Weise, wie Schülerinnen und Schüler das Unterrichtsangebot nutzen können. Ein defensives Scaffolding scheint von den Schülerinnen und Schülern geschätzt zu werden; es wirkt sich positiv auf die Wahrnehmung der Lehr-Lern-Bedingungen, die Lernmotivation sowie die kognitiven Lernaktivitäten aus. Mischt sich die Lehrperson jedoch zu stark in die Lernprozesse ein, hat dies negative Konsequenzen für die Nutzung. • Auf den Unterrichtsertrag hat Lernbegleitung keinen direkten Einfluss.