(De-)Professionalisierung und Geschlecht: soziale Arbeit zwischen Beruf und freiwilligem Engagement

Ref. 6890

Dies ist die Version 1.0 dieses Projekts.

Allgemeine Beschreibung

Periode

2001 - 2003

Geographischer Raum

-

Zusätzliche geographische Informationen

Kanton Bern und Kanton Solothurn

Kurzbeschreibung

In der neueren Geschlechterforschung sind Professionen ein bevorzugtes Untersuchungsfeld zur Analyse von Prozessen geschlechtlicher Differenzierung. Dabei konzentriert sich das Interesse zur Zeit schwergewichtig auf die Mechanismen des Ausschlusses der Frauen aus männlichen Professionen, während die Problematik von Professionalisierung in Frauendomänen etwas in den Hintergrund gerückt ist. In Mainstream-Professionstheorien werden weibliche Berufe zwar thematisiert, dies allerdings gerade unter Absehung von Geschlecht. Im vorliegenden Projekt steht die Soziale Arbeit im Zentrum, ein Beruf, dem sowohl in klassischen wie in neueren theoretischen Ansätzen ein Professionalisierungsdefizit attestiert wird. Soziale Hilfe hat sich historisch gleichzeitig zu einem Beruf und zu Freiwilligenarbeit ausdifferenziert, und beide Formen sind konstitutiv mit weiblich codierten Kompetenzen wie z.B. 'Fürsorglichkeit' verwoben. Die 'Weiblichkeit' sozialer Hilfe und die Parallelität von Beruf und Ehrenamt sind bestimmende Parameter für die Professionalisierungsbemühungen in der Sozialen Arbeit, die zudem durch die aktuellen politischen Tendenzen zur Propagierung von Wohlfahrtspluralismus und Freiwilligenarbeit weiter unter Druck gerät. Die Studie fokussiert auf die Schnittstelle zwischen Beruf und Freiwilligenarbeit und fragt nach den Implikationen von Abgrenzungsproblemen für die Professionalisierung der Sozialen Arbeit: - Wie werden in einer sozialen Arena aus Sozialer Arbeit, Freiwilligenarbeit und Politik die Grenzen zwischen Beruflichkeit und Ehrenamtlichkeit ausgehandelt und legitimiert, und welche Rolle spielt dabei die faktische und symbolische Feminisierung sozialer Hilfe? - Wie gestaltet sich die konkrete Kooperation von Sozialarbeitenden und Freiwilligen und wie unterscheidet sich professionelles von Laienhandeln?

Resultate

(1) Institutionalisierte Grenzverwischungen: Die Kooperation von Freiwilligen und Sozialer Arbeit ist in vielen Feldern des Sozialbereichs strukturell verankert, so auch in den Untersuchungsfällen. Die Präsenz der Freiwilligen ist somit eine "harte'"Kontextbedingung für die Aushandlungen der faktischen Arbeitsteilung. Auf dieser formalen Ebene sind Grenzverwischungen bereits institutionalisiert. In allen drei Feldern haben die Freiwilligen mithin einen legitimen Platz, und ihre konkrete Verortung im Feld kann nicht von den Professionellen gesteuert werden. (2) Auslagerung von nicht professioneller Arbeit: Professionalisierung bedingt strukturlogisch eine Verdrängung von alltagsnahen Problemanteilen, die Hilfsberufen zugewiesen oder entberuflicht werden. Aufgaben, die von den Mitgliedern nicht zum Kern ihres Berufs gezählt werden, werden als "dirty work" ausgelagert. In der Sozialen Arbeit bietet es sich an, derartige Aufgaben an die Freiwilligen zu delegieren und auf diese Weise eine Differenz zu den Laien zu markieren. In unserer Untersuchung zeigt sich, dass die Soziale Arbeit indes nicht in der Lage ist, Tätigkeiten an der Schnittstelle von professioneller und Alltagsarbeit eindeutig und überzeugend als entweder professionell oder "dirty work" zu codieren und letztere den Laien zuzuweisen. Die Steuerungsmöglichkeiten der Professionellen brechen sich am Eigensinn' der Freiwilligen, die auf der Grundlage formaler Hierarchien und/oder ihres symbolischen Kapitals Arbeitszuteilungen verweigern oder einfordern können. (3) Inszenierung von Professionalität: Professionalität hat' man nicht einfach - sie muss vom Gegenüber anerkannt werden und erfordert deshalb eine Inszenierungsleistung. Bedingt durch ihre Alltagsnähe hat die Soziale Arbeit hier besondere Schwierigkeiten zu meistern. Empirisch lässt sich beobachten, dass die Professionellen diese Aufgabe in der Regel eher ungeschickt angehen. Insbesondere verwerten sie fachliches Wissen und Ausbildung auf ambivalente Weise, indem sie ihre eigenen kulturellen Ressourcen nicht einsetzen und professionsfremdes Wissen als gleichwertig anerkennen. Während die Inszenierung von Professionalität nicht kontextabhängig ist - wir finden in allen drei Feldern gekonnte und missglückte Darstellungen -, gibt es feldabhängige Unterschiede in der Validierung durch das Publikum. Die Anerkennung der Sozialen Arbeit ist dabei abhängig von den Ressourcen der Freiwilligen: wo diese wenig in die Aushandlung einzubringen haben, sind sie eher bereit, die fachliche Autorität der Professionellen anzuerkennen. Freiwilligenarbeit ist aber grundsätzlich anderen Bewertungsmasstäben unterworfen als Erwerbsarbeit: hier zählt der gute Wille, nicht die messbare Leistung. Der a priori gesetzte immanente Wert von freiwilligem Engagement setzt sich in symbolisches Kapital für die Freiwilligen um, und dieses symbolische Kapital stellt eine Inkommensurabilität von Uneigennützigkeit und Professionalität her. (4) Mikropolitische Taktiken: Angesichts des hohen Institutionalisierungsgrads von Freiwilligenarbeit und der Macht des symbolischen Kapitals der Freiwilligen verlegen sich die Sozialarbeitenden auf mikropolitische Taktiken, um sich Spielräume zu erhalten und zu erweitern. Dazu gehören der Versuch, Einfluss auf die Selektion und Allokation der Freiwilligen zu nehmen, der Zusammenarbeit auszuweichen oder die Freiwilligen zu manipulieren. Diese Taktiken lassen sich zusammenfassend als eine defensive Strategie der Konfliktvermeidung und Schadensbegrenzung bezeichnen, die in Ausnahmefällen durch ein offensives Vorgehen im Hinblick auf die Veränderung der Rahmenbedingungen überschritten wird. Damit werden dem alltäglichen Berufshandeln zwar gewisse individuelle Spielräume eröffnet; die Soziale Arbeit als Profession reproduziert auf diese Weise jedoch ihre subordinierte Position. (5) Entgeschlechtlichung' als Professionalisierungsstrategie: Die Geschlechterdifferenz ist integraler Bestandteil von Professionalisierungsprozessen: als Ressource zur Konstruktion von Professionen. Für die Soziale Arbeit verläuft die Verknüpfung von Geschlecht und Beruf über das Konstrukt der "Mütterlichkeit", und diese historische Fundierung des Berufs wirkt bis heute prägend. Die historisch-spezifische Bauweise' der Sozialen Arbeit als bürgerlicher Frauenberuf in eigener Höhenlage', die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erfolgreich war, hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts als professionalisierungspolitische Sackgasse erwiesen. Während die klassischen männlichen Professionen die Differenz zwischen Experten und Laien entlang der Geschlechtergrenzen herstellten, konnte die Soziale Arbeit dies deshalb nicht tun, weil beide Seiten weiblich waren und sind: die beruflich wie die freiwillig sozial Tätigen. "Jurisdictional claims" in der Geschlechterdifferenz zu begründen machte historisch mangels anderer Ressourcen Sinn, ist heute aber kontraproduktiv, weil damit zum einen die Ähnlichkeit von Laien und Professionellen betont wird und zum anderen jede weiblich codierte Arbeit mit Abwertung zu rechnen hat. Die Soziale Arbeit hat deshalb ihre Semantik entgeschlechtlicht'. Das zeigt sich zum einen auf der Ebene theoretischer Diskurse der Profession, es wird zum anderen deutlich in den Interviews mit den Sozialarbeitenden in der beruflichen Praxis. Die strukturelle Relevanz der Geschlechterdifferenz für die Positionierung der Profession und deren kulturelle Sinn für die Professionsangehörigen fallen auseinander.