Kurzzusammenfassung der Resultate
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Ausbildung, Beruf, Einkommen und Alter einerseits und der zeitlichen Lage der Arbeitszeitform andererseits. In der Regel ist Nacht-, Schicht- und Wochenendarbeit eher den schlechter qualifizierten Arbeitnehmenden und den niederen Einkommensgruppen vorbehalten. Besserqualifizierte und höhere Einkommen sind ebenfalls häufiger in flexibeln Arbeitszeiten anzutreffen, dann allerdings ausgestattet mit hoher Zeitautonomie. Geschlecht und Elternschaft hingegen haben keinen signifikanten Einfluss auf die Arbeitszeitform. Anhand der chronometrischen Differenzierung des Verhaltens zwischen Schicht- und Nicht-Schicht-Arbeitenden lassen sich zusammenfassend folgende Unterschiede erkennen:
- Betrachtet man die Zeitverwendung von Schichtarbeiter/innen gegenüber Nicht-Schicht-Arbeiter/innen, fällt an Arbeitstagen die mit 8 Std. 30 Min. pro Tag markant kürzere bezahlte Arbeitszeit von Schichtarbeiter/innen gegenüber Nicht-Schicht-Arbeitenden mit 9 Std. 48 Min. auf. Als bezahlte Arbeit' wird sämtliche für die Erwerbsarbeit aufgewendete Zeit berechnet. Die Differenz zwischen Schicht- und Nicht-Schicht-Arbeitenden erklärt sich zu einem Grossteil durch die markant kürzeren Arbeitswege der Schichtarbeiter/innen.
- Die kürzere bezahlte Arbeitszeit wird durch eine etwas längere Regenerationszeit und mehr unbezahlte Arbeit kompensiert. Schichtarbeiter/innen verfügen zudem an Arbeitstagen täglich über eine Viertelstunde mehr freie Zeit als synchron Arbeitende. Diese verbringen sie mit mehr ausserhäuslicher Freizeit. Sowohl an Arbeits- wie an erwerbsfreien Tagen verbringen Schichtarbeitende mehr freie Zeit ausser Haus. Die Vorstellung, asynchron Arbeitende würden sich "in ihre vier Wände zurückziehen" trifft mindestens für die SBB-Mitarbeitenden nicht zu. Das "Surplus" an ausserhäuslichen Freizeitaktivitäten könnte Folge bewusster kompensatorischer Anschlussbemühungen sein. Es fällt dabei auf, dass synchron arbeitende Männer durchschnittlich mehr als 39 Stunden (100%) für die Erwerbsarbeit aufwenden. Die kürzere bezahlte Arbeitszeit der Frauen fliesst in markant längere unbezahlte Arbeit (rund eine halbe Stunde täglich länger als ihre männlichen Kollegen). Obwohl Schichtarbeiterinnen unwesentlich kürzer arbeiten als ihre männlichen Kollegen in Schicht, leisten auch sie deutlich mehr unbezahlte Arbeit. Den Frauen fehlt es in der Folge an häuslicher Freizeit (minus eine Viertelstunde). Besonders offensichtlich werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede an Tagen nach Spätschichten: Es gelingt den Frauen nicht, die zeitlich unaufschiebbaren unbezahlten Arbeiten nach der Spätschicht umzuorganisieren. Bei Männern mit Spätschicht am Vortag reduziert sich die unbezahlte Arbeit am Folgetag hingegen um volle 40 Minuten.
Im Rahmen der Thesen über die "Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft" interessiert die Frage, ob Schichtarbeitende ihre asynchron fallende Freizeit während gesellschaftlich weniger wertvollen Zeiten (vormittags, nachts) zu kompensieren vermögen. Wie die zeitliche Lage der Freizeitaktivitäten zeigt, liegt der "klassische Feierabend" zwischen 18.00 und 22.00 Uhr. Der Tagesablauf von Schichtarbeiter/innen zeigt dagegen deutliche Tendenzen zur zeitlichen Verstetigung: Ihre freien Zeiten sind über den ganzen Tag verteilt. Um 11.00 Uhr vormittags bereits ist über ein Viertel der Schichtarbeitenden mit Freizeitaktivitäten beschäftigt; zu einer Zeit, zu der sie mit allenfalls knapp 10% der Nicht-Schicht-Arbeitenden zusammentreffen könnten. Dies bedeutet, dass der entsprechende Koordinationsaufwand für soziale Kontakte in der Freizeit bei Schichtarbeitenden deutlich höher und der Nutzen der eigenen Freizeit entsprechend geringer ist als bei Arbeitnehmer/innen in synchronen Arbeitszeitverhältnissen. Es ist zu vermuten, dass der Freizeitnutzen trotz zusätzlicher Freizeit sinkt. Eine analoge Verstetigung findet sich auch bei der Betrachtung des Wochenablaufs: Während Angestellte in synchronen Arbeitszeiten das Wochenende für Regeneration und Freizeit nutzen, verläuft die Woche für Arbeitnehmer/innen mit Wochenendschicht ohne markante Unterschiede zwischen den einzelnen Wochentagen.
Ein quantitatives Mehr an Freizeit bedeutet noch keinen Zugewinn an sozialen Teilhabechancen. Die Qualität der Freizeit wird insbesondere durch die sozialen Beziehungen definiert. Viele Aktivitäten können überhaupt nur mit anderen unternommen werden oder gewinnen doch an Nutzen, wenn sie gemeinsam mit anderen unternommen werden. Die Arbeitszeit ist somit ein komplementäres Gut zur Arbeitszeit des Partners. Leben Schichtarbeiter/innen mit einem Partner/in in einem Haushalt zusammen, so arbeitet auch der/die Partner/in überdurchschnittlich oft Schicht: 30,6% der (Ehe-) Partner/innen arbeiten Schicht, gegenüber gerade mal 14,4% der (Ehe-) Partner/innen von Nicht-Schicht-Arbeiter/innen. Dennoch zeigt sich, dass Schichtarbeiter/innen sowohl in Mehrpersonen- als auch in Einpersonenhaushalten mehr Zeit mit anderen (d.h. sowohl mit Freunden und Bekannten als auch mit Hauhaltsangehörigen) verbringen, als die Arbeitnehmer/innen in synchronen Arbeitszeitverhältnissen. Dies deutet darauf hin, dass es Schichtarbeiter/innen unter den gegebenen Umständen durchaus gelingen kann, die asynchrone freie Zeit so mit ihrem sozialen Umfeld abzustimmen, dass ihre soziale Integration gewahrt bleibt. Die Sozialzeit ist nicht nur über den Tagesverlauf unterschiedlich verteilt, auch im Hinblick auf die Wochentage zeigen sich deutliche Unterschiede: Während Nicht-Schicht-Arbeitende vor allem das Wochenende - und insbesondere den Samstag - für soziale Kontakte nutzen, ist dies für Personen, die häufig am Wochenende arbeiten müssen, nur eingeschränkt möglich. Die Kompensation der gemeinsamen Zeiten findet teilweise unter der Woche, und hier im Speziellen am Mittwoch, statt.
Es lässt sich somit keine allgemein gültige Schlussfolgerung ziehen, dass Schichtarbeitende grundsätzlich vermehrt von sozialer Isolation betroffen wären. Vielmehr muss darauf hingewiesen werden, dass die negativen Folgen der arbeitszeitlichen Asynchronität durchaus durch individuelle Adaption (nicht nur der betroffenen Person selbst, sondern auch durch deren soziales Umfeld wie insbesondere der Familie) kompensiert werden können. Damit die individuellen Anstrengungen für die Einzelnen jedoch erfolgreich sein können, sind betriebliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen notwendig. Das untersuchte Beispiel der SBB leistet diesbezüglich einen grossen Integrationsbeitrag.