Die Einführung neuer Techniken der Information und der Kommunikation hat tiefgreifende Auswirkungen auf eine Gesellschaft, wie wir das in der Gegenwart am Beispiel des Heraufkommens von Computern, Internet, Funktelefonen, E-Mail usw. in aller Deutlichkeit vorgeführt bekommen. Zu wenig häufig gibt man sich aber Rechenschaft von der Tatsache, dass auch das Alphabet oder der Buchdruck zu ihrer jeweiligen Zeit neue Technologien waren und dass die Kommunikation mit ihrer Hilfe nicht irgendwie naturgegebener wäre als jene mit elektronischen Impulsen, Kupferleitungen oder Richtstrahlantennen. Im Jahre 1700 konnte nur eine Minderheit der schweizerischen Bevölkerung - sie dürfte 5 bis 25 Prozent ausgemacht haben - lesen und schreiben; zweihundert Jahre später war das Werk der allgemeinen Alphabetisierung im wesentlichen abgeschlossen. Die hier vorgestellte Arbeit - an der Universität Zürich als Habilitationsschrift eingereicht und im Februar 2000 akzeptiert - fragt nach den treibenden Kräften, die hinter der Durchsetzung des Lesens und Schreibens in der Schweiz gestanden haben, und beschreibt Prozesse und Probleme dieser Einführung. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Im ersten geht es um die Strategien, die zur Durchsetzung der literalen Norm verwendet wurden: wie brachte man den Menschen bei, dass ein des Lesens und Schreibens unfähiger Mensch ungebildet oder lächerlich oder rückständig oder asozial sei? Der zweite Teil handelt von den Lesepraktiken, also von lautem oder stummem Lesen, von Leselernmethoden und Lesestoffen, vom Vorlesen oder Lesen für sich selbst, Randbedingungen (Licht, Freizeit) usw. Im dritten Teil sodann stehen die Schreibpraktiken im Vordergrund: Wer schrieb was und für wen? In seinen Schlussfolgerungen weist der Autor unter anderem auf die unterschiedlichen Interessenslagen der am Alphabetisierungsprozess beteiligten Gruppen hin. Ging es den Behörden, zumindest zu Beginn des 18. Jahrhunderts, vor allem darum, durch Verbreitung der Lesefähigkeit ihre Sichtweisen und ihre Vorstellungen von der besten gesellschaftlichen und politischen Organisation durchzusetzen, lag auf der anderen Seite bei vielen Menschen die Motivation eher beim Schreibenlernen, da sie ihre eigene, oft abweichende Meinung sollten äussern können. Und wenn häufig das Bild von einer bildungsfeindlichen Landbevölkerung verbreitet wurde, hatte dies oft weniger mit der Wirklichkeit zu tun als mit der Frustration der Intellektuellen, dass das Volk ihren Ideen nicht folgen wollte; die Bevölkerung machte pragmatischen Gebrauch von den Möglichkeiten der Literalität, lernte das, was ihm Nutzen oder Vergnügen versprach, und las lieber die Bücher, die ihm behagten, als jene, die ihm von den weltlichen oder geistlichen Autoritäten als wertvoll ans Herz gelegt wurden.