Unter Xenotransplantation versteht man die Transplantation von lebenden Zellen, Geweben und Organen über Artgrenzen hinweg. Da die Übertragung tierlicher Transplantate auf den Menschen eine Vielzahl von Problemen wissenschaftlich-technischer, ethischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Art aufwirft, hat sich in den letzten Jahren eine intensive und kontrovers geführte Debatte über die Xenotransplantation von Organen entwickelt. Die Xenotransplantation von Zellen und Geweben, hier kurz als "zelluläre Xenotransplantation" bezeichnet, die auch extrakorporale Perfusionen mit einschliesst, wird hingegen kaum thematisiert, obwohl sie ein grösseres Anwendungspotenzial als die Xenotransplantation von Organen zu bergen scheint, in der klinischen Erprobung bereits weiter fortgeschritten ist und es zudem bestimmte Spezifika der zellulären Xenotransplantation ermöglichen sollten, gravierende Probleme zu umgehen, die sich bei der Xenotransplantation von Organen stellen.
Ausgehend von dieser Situation sollte in dieser international ersten Technologiefolgen-Abschätzung zur zellulären Xenotransplantation geprüft werden, inwieweit Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der zellulären Xenotransplantation und der Xenotransplantation von Organen bestehen, wie diese zu bewerten sind und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Dazu wurde der aktuelle Stand der Xenotransplantation von tierlichen Geweben und Zellen auf den Menschen, ihre Perspektiven und Problembereiche ermittelt, bewertet und Empfehlungen abgeleitet. Damit soll dieser Bericht eine sachliche und umfassende Informationsgrundlage über die zelluläre Xenotransplantation bereitstellen und zu einer differenzierten gesellschaftlichen Diskussion über die Xenotransplantation beitragen.
Bisher sind weltweit mehr als 300 Menschen mit zellulären Xenotransplantaten behandelt worden. Klinische Erfahrungen liegen insbesondere für die Therapie von Diabetes, Schädigungen des Zentralen Nervensystems sowie akutem Leberversagen vor. Dennoch stellt die zelluläre Xenotransplantation eine Langfristoption mit unsicheren Erfolgsaussichten dar. Weil sie weniger komplex als die Xenotransplantation von Organen erscheint, möchte man mit der zellulären Xenotransplantation auch Erkenntnisse gewinnen und Erfahrungen sammeln, die eine bessere Beurteilung der Xenotransplantation von Organen und deren Weiterentwicklung ermöglichen sollen. Gleichzeitig wird die zelluläre Xenotransplantation als eine Übergangsoption bis zur klinischen Einführung ansatzweise entwickelter medizintechnischer Alternativen eingeschätzt, wie z. B. Gentherapie, Tissue Engineering, Stammzelltechnologien für regenerative Systeme für Zell-, Gewebs- und Organersatz.
Grosse medizinisch-technische und damit verbundene ethische und rechtliche Probleme der Xenotransplantation liegen in der Bereitstellung des Transplantatmaterials unter erheblicher Inanspruchnahme von Tieren, in der Transplantatabstossung, der bislang unzureichenden Funktion der Transplantate im Empfänger, möglichen unerwünschten Auswirkungen auf Identität und Psyche des Transplantatempfängers sowie in den mit einer Xenotransplantation verbundenen Infektionsrisiken für Patient und Bevölkerung. Im Gegensatz zur Xenotransplantation von Organen eröffnet sich bei der zellulären Xenotransplantation grundsätzlich die Möglichkeit, durch die Verwendung von Zell-Linien und Zellkulturen, durch deren gentechnische Veränderung sowie durch die Immunisolation der tierlichen Transplantate die Inanspruchnahme von Tieren für die Transplantatgewinnung drastisch zu reduzieren, Abstossungsreaktionen zu vermeiden, das Infektionsrisiko zu verringern und die Funktionsfähigkeit der Transplantate zu optimieren.
Die Analyse des aktuellen Standes von Wissenschaft und Technik ergab jedoch, dass diese Möglichkeiten nur für ein schmales Spektrum der insgesamt denkbaren Anwendungspotenziale der zellulären Xenotransplantation bestehen, die zudem in Konkurrenz zu medikamentösen Therapien, zum 'drug delivery' und zur Gentherapie stehen. Zudem werden diese Möglichkeiten in der klinischen Erprobung nur selten angewendet. Ausserdem erweisen sie sich als wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht, technisch nicht ausgereift, und der wissenschaftliche Nachweis, dass die erwünschten Effekte tatsächlich bewirkt werden können, steht noch aus. Hier besteht also noch erheblicher Forschungs- und Handlungsbedarf, um die im Prinzip gegebenen Vorteile tatsächlich in der Praxis zu realisieren.
Allerdings werden auch Anwendungen der zellulären Xenotransplantation angestrebt, bei denen die oben genannten Spezifika grundsätzlich nicht anwendbar sind bzw. zurzeit nicht angewendet werden. Damit sind diese Anwendungen der zellulären Xenotransplantation aber in Bezug auf ihr Problemspektrum der Xenotransplantation von Organen gleichgestellt oder gehen sogar noch darüber hinaus - exemplarisch seien ein sehr hoher Tierverbrauch bei der Gewinnung von Zellmaterial für Nervenzelltransplantationen sowie nicht auszuschliessende Identitätsveränderungen bei Xenotransplantationen ins Gehirn genannt, sofern nicht feste Grenzen für Hirngewebs-Xenotransplantationen gezogen werden. Somit vereint die zelluläre Xenotransplantation eine Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungslinien mit jeweils spezifischen Vor- und Nachteilen, Erfolgsaussichten und Risikoprofilen, die eine differenzierte Beurteilung erfordern.
Angesichts der Unsicherheiten, die über die Potenziale und Risiken der zellulären Xenotransplantation derzeit und auch künftig bestehen, angesichts ihrer Konfliktträchtigkeit und der zahlreichen noch ungelösten Probleme empfehlen wir, den gesellschaftlichen Umgang mit der zellulären Xenotransplantation transparent und offen zu gestalten, nach unproblematischeren Ansätzen innerhalb der zellulären Xenotransplantation zu streben und die Suche nach unproblematischeren Alternativen zur zellulären Xenotransplantation zu fördern. Für die Regelung der Xenotransplantation empfehlen wir eine Bewilligungspflicht mit strengen Auflagen, die gleichermassen für die zelluläre Xenotransplantation wie für die Xenotransplantation von Organen gelten sollte. Der derzeitige Stand von Wissenschaft und Technik lässt unseres Erachtens nicht zu, im Hinblick auf die Sicherheitsaspekte auf Gesetzesebene zwischen verschiedenen Formen der Xenotransplantation zu unterscheiden.