Die Forschungsarbeit setzt sich kritisch mit der Bahnreform 1996/99 der Schweiz auseinander. Sie analysiert die wichtigsten Veränderungen bezogen auf die beiden Hauptkriterien der Forschungsarbeit: Durchsetzen des Wettbewerbs und der Grundversorgung als wichtige Gestaltungskräfte des öffentlichen (Schienen-)Verkehrs. Die schweizerische Bahnreform erfüllt die Anliegen der EU-Richtlinien. Sie verzichtet aber auf die unternehmerische Trennung von Infrastruktur und Verkehr, sie beschränkt den Wettbewerb via freien Netzzugang praktisch auf den internationalen Güterverkehr, und sie gab erst beschränkte Impulse für Restrukturierungen zwischen Bahnunternehmen gestützt auf gemeinsame Strategien der Regulatoren und Eigentümer.
Die Forschungsarbeit baut konzeptionell-wissenschaftlich auf dem disaggregierten Regulierungsansatz auf. Im Sinn einer weitreichenden Innovation unterscheidet sie im Bahnsystem zwischen drei Ebenen, deren Beziehungen untereinander nach drei Modellen unterschiedlich ist. Zwischen die Ebenen I des Verkehrs und III der Infrastruktur fügt unsere Arbeit die Ebene II der Systemintegration und -steuerung ein. Diese Ebene II weist wiederum drei Teilfunktionen auf: Preis- und Tarifsysteme (v.a. Technik/Distributionssysteme), Kapazitätsmanagement sowie betriebliche Systemsteuerung. Wichtig sind in diesen Modellen der möglichst weitgehende Wettbewerb sowie der symmetrische und diskriminierungsfreie Zugang zu den Infrastrukturen. Das Eigentum an den Infrastrukturen sollte nach zwei Netzhierarchien auf die öffentliche Hand übergehen, während das Infrastruktur-Management gesamtschweizerisch von neu strukturierten Privatunternehmen übernommen würde. Dazu gehört eine Preisgestaltung für die Infrastruktur-Nutzung, welche systematisch, unternehmerisch und knappheitsorientiert ist und nicht in erster Linie behördliche Finanzierungsanliegen erfüllen muss. Die Aufgaben der Politik sind bewusst und fokussiert auszurichten und dort abzubauen, wo andere Verantwortungen erfolgversprechender und weniger konfliktträchtig sind. Unsere Arbeit kommt zum Schluss, dass optimale Lösungen erreicht werden bei einer strikten unternehmerischen Trennung der drei Ebenen. So können massgeschneiderte Kooperations- und Konkurrenzlösungen mit minimalen regulierenden behördlichen Eingriffen verbunden werden.
Die soeben gestaltete wie auch künftige Bahnreformen müssen Teil eines nachhaltig ausgerichteten und sowohl unternehmerisch wie volkswirtschaftlich intelligenten Verkehrs- und Wirtschaftssystems sein. Die Forschungsarbeit zeigt auf, weshalb sowohl die Ansätze des Wettbewerbs stark ausgebaut als auch die Anliegen der Grundversorgung mit einem besseren Wirkungsgrad erfüllt werden können. Im Umfeld der nächsten Jahre in der Schweiz sind die Vermischung von bisherigen Zusammenarbeits- und Abhängigkeitsformen mit neuen Wettbewerbselementen zwischen den Bahnen heikel; die Entflechtung von Funktionen muss vorangetrieben werden. Längerfristige und grundlegende Reformen müssten gemäss den Erkenntnissen dieser Forschungsarbeit wesentliche bisherige Annahmen in Frage stellen; die Arbeit zeigt politische und unternehmerische Umsetzungswege auf, welche von den Gesetzgebern und Eigentümern der Bahnen systematisch und "top-down" angegangen werden. Ein schrittweises Vorgehen weiterer Reformen soll die Bereiche des Kapazitätsmanagements, des Netzzuganges, der Trennung von Verkehr und Infrastruktur, der Aufbau der unabhängigen Systemintegration und das Infrastruktur-Eigentum erfassen. Diese Reformen lösen ein tiefgreifendes "Reengineering" der Bahnunternehmen aus weg vom vertikal integrierten Unternehmen hin zu desintegrierten, neu gruppierten Teilfunktionen und Kernkompetenzen. Das schrittweise Vorgehen erlaubt das parallele Auswerten von Erfahrungen der jetzigen Bahnreform und gibt den Unternehmen genügend Sicherheit, um die weiteren unausweichlichen Umbrüche vorausschauend zu gestalten. Mit den von der Forschungsarbeit skizzierten Reformen können Wettbewerb und Grundversorgung so verknüpft werden, dass die Bahnen mit noch wesentlich höherer Produktivität einen wiederum grösseren Beitrag an eine nachhaltige Verkehrspolitik leisten können.