Sicherheit 1995. Aussen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend

Ref. 1753

Description générale

Période concernée

1. Trimester 1995

Région géographique

Informations géographiques additionnelles

Ganze Schweiz

Résumé

Ziel dieser Untersuchung war es, das Interesse für sicherheitspolitische Belange in der schweizerischen Bevölkerung zu ermitteln. Es wurde den Fragen nachgegangen, welche Aufmerksamkeit die Bürgerinnen und Bürger der Sicherheitspolitik schenken, über welche Sachkenntnisse sie verfügen und welche Bereitschaft besteht, sich mit sicherheitspolitischen Anliegen auseinanderzusetzen. Unter anderem sollte der konkrete Kenntnisstand über die Armeereform '95 untersucht werden.

Résultats

Sicherheitsempfinden und Zukunftserwartungen: Das allgemeine Sicherheitsempfinden und die Beurteilung der Zukunftsaussichten der Schweiz haben sich trendmässig deutlich verbessert. Die '95er Stimmung ist von verhaltenem Optimismus geprägt. Unsicherer als der Durchschnitt fühlen sich insbesondere Frauen und die Generationen über 50. Der gefestigten Zuversicht in die nationalen Entwicklungsaussichten steht eine gestiegene Skepsis bei der Einschätzung der internationalen Lage gegenüber. Die sicherheitspolitische Euphorie der frühen 90er Jahre ist 1995 endgültig einer allgemeinen Ernüchterung gewichen. Kaum jemand glaubt mehr an eine deutliche Verbesserung der globalen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen in den nächsten fünf Jahren. Für das allgemeine Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung sind derzeit eher nationale als internationale Faktoren ausschlaggebend. Zu diesen gehören wirtschaftliche Aussichten ebenso wie die Frage, wie weit die Schweiz sich der europäischen Entwicklung anschliessen soll. Sicherheitspolitische Aspekte der internationalen Kooperation: Tendenzmässig zeichnet sich 1995 im Vergleich zu früheren Jahren eine wieder leicht steigende internationale, insbesondere europäische Oeffnungsbereitschaft in der Bevölkerung ab. Die sicherheitspolitische Kooperationswilligkeit erfährt 1995 einen Akzeptanzzuwachs. Eine Ursache dafür könnte die im Trend zunehmende Einsicht sein, dass nationale Sicherheit immer weniger im nationalen Alleingang gewährleistet werden kann. Von einer klaren Mehrheitsmeinung zugunsten eines EU-Beitritts oder eines Mitmachens in internationalen Sicherheitsinstitutionen kann indessen keine Rede sein. Abgenommen hat trendmässig die Verunsicherung in der Einstellung zum EU-Beitritt. Wussten noch 1990 und 1991 je ein gutes Fünftel nicht, zu welcher Haltung es sich durchringen sollte, so hat sich der Anteil der Meinungslosen 1995 erheblich reduziert. Die Meinungen, wie weit die Schweiz sich öffnen und international kooperieren soll, sind demnach heute in weitaus stärkerem Masse als früher gemacht. Weil dabei keine klaren Mehrheiten zu erkennen sind, muss auch weiterhin von einer gegenseitigen Blockierung der Befürworter(innen) einer stärkeren Oeffnung der Schweiz auf der einen und der Autonomisten auf der anderen Seite ausgegangen werden. Die Neutralität scheint das wichtigste "pièce de résistance" für eine verstärkte Oeffnungsbereitschaft zu sein. An ihr darf nach der überwiegenden Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer nicht gerüttelt werden. Sie bildet gewissermassen das Nadelöhr schweizerischer Aussen- und Sicherheitspolitik. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie die Stellung eines nur schwer verrückbaren nationalen Identitätssymbols einnimmt.. Vertrauen in öffentliche Institutionen und Behörden: Zwischen dem Vertrauen in Institutionen und Behörden und dem allgemeinen Sicherheitsgefühl besteht nachweisbar ein enger Zusammenhang. Die Garanten der inneren (Justiz, Polizei) und der äusseren Sicherheit (Armee) erreichen als Institutionen derzeit in unserem Land höchste Vertrauenswerte. Von 13 in die Befragung einbezogenen Institutionen erhält die Exekutive (Bundesrat) eine befriedigende, das Parlament nur gerade eine mittelmässige Vertrauensnote. Insbesondere die politischen Parteien, aber auch die Kirchen begegnen fast durchwegs überdurchschnittlichem Misstrauen. Eine deutliche Verunsicherung im Verhältnis zu den meisten Institutionen des Landes, insbesondere zum Bundesrat, manifestieren die Gegner(innen) eines EU-Beitritts. Die junge Generation steht der Armee vertrauensmässig skeptisch gegenüber. Für ältere Generationen (über 60) gilt gerade das Gegenteil: offensichtlich bietet sich ihr in der Armee ein vertrauensstiftender Halt in einer Zeit der Verunsicherung an. Einschätzung der Verteidigungsausgaben: Die Bevölkerung schenkt den Verteidigungsausgaben heute mehr Beachtung als früher. Die öffentliche Sensibilisierung für das Rüstungsbudget ist gestiegen. Fast jeder zweite Schweizer und jede zweite Schweizerin möchte derzeit in Kenntnis des tatsächlichen Anteils der Verteidigungsausgaben am Bundesbudget die Rüstungsaufwendungen so belassen wie sie heute sind. Nur eine relative Minderheit verlangt deren weitere Absenkung bzw. Aufhebung. Der Sparkurs des Eidgenössischen Militärdepartementes ist in der Bevölkerung zur Kenntnis genommen worden. Auch mag das Ende der Friedenshoffnungen der frühen 90er Jahre mit zu einer Neubewertung der Rüstungsaufwendungen Anlass gegeben haben – eine Annahme, die durch die trendmässige Höherbewertung des Militärs hohe Plausibilität erhält. Das Meinungsspektrum zu den Verteidigungsausgaben in der Schweizer Bevölkerung gleicht heute wieder weitgehend jenem der frühen 80er Jahre. Landesverteidigung Befürwortung der Armee: Die Akzeptanzrate für die Schweizer Milizarmee liegt 1995 so hoch wie seit 1988 nie mehr. Auch die von der Wehrbelastung am stärksten betroffene Generation der 20-29jährigen steht zu fast zwei Dritteln wieder hinter dem Militär. Vieles deutet aber daraufhin, dass die Haltung zur Armee heute, anders als in den 60er und 70er Jahren, in höherem Masse der politischen, insbesondere der innenpolitischen "Wetterfühligkeit" unterliegt. Derzeit wird die Existenzbefürwortung der Landesverteidigung nicht (mehr) wie 1988-1991 von der Intensität der äusseren Bedrohung abhängig gemacht. Offenbar wird die Armee allgemein als Ausdruck souveräner Nationalität akzeptiert. Es scheint, als würde die Miliz in einer Zeit erhöhter nationaler Identitätsverunsicherung verstärkt zu einem Hort der nationalen Selbstauffassung. Wehrstruktur: Das Milizideal mit allgemeiner Wehrpflicht bröckelt ab. Die Sympathie für eine Freiwilligenarmee ist in der Schweiz, insbesondere bei der jüngeren Generation deutlich im Steigen begriffen. Funktionen der Armee: Alles in allem deutet der Trend auf eine stets wachsende Legitimierung von nonkombattanten Funktionen des Militärs (Existenzsicherungsaufgaben, Friedenssicherung). Sichtbar wird dabei insbesondere eine Tendenz zur "Konstabulisierung" des Militärs, d. h. es werden von der Armee in wachsendem Mass Polizeiassistenzaufgaben erwartet (Terrorbekämpfung, Bewachung, Grenzkontrolle). Ebenso deutet sich in dem von der Bevölkerung gebilligten Aufgabenprofil der Armee eine vorsichtige Bereitschaft an, Armee-Einsätze für nonkombattante und unterstützende Aufgaben auch im Ausland gutzuheissen. Wahrgenommene Effektivität der Armee: Während Ausbildung, Führung, Einsatzbereitschaft und Ausrüstung der Armee von der Bevölkerung als befriedigend eingestuft werden, besteht bezüglich der Motivation der Armeeangehörigen kein positives Bild. Letzteres trifft vor allem, aber nicht nur für die Wehrgeneration der 20-29jährigen zu. Sicherheitsrelevanz der Armee: Das Vertrauen in die abschreckende und friedenssichernde Wirkung der schweizerischen Landesverteidigung nimmt trendmässig ab. Zwar ist noch immer eine knappe Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer davon überzeugt, dass die Armee den Frieden sichern hilft und dass diese zur persönlichen Sicherheit beitrage. Vor allem die jüngere Generation beurteilt jedoch die sicherheitsschaffende Rolle des Militärs sehr kritisch. Bei ihr überwiegt die Meinung, die Armee habe darauf keinen Einfluss (mehr). Gesellschaftlicher Stellenwert des Militärs: Trotz steigender Zustimmung zur Aufhebung der Wehrpflicht, trotz fehlender äusserer Bedrohung und trotz Skepsis in die sicherheitsschaffende Rolle des Militärs wird der gesellschaftliche Stellen- und Symbolwert der Milizarmee erstmals nach vielen Jahren der Entsymbolisierung wieder höher bewertet. Die Renaissance einer traditionellen Militärsicht findet sich jedoch fast ausschliesslich bei den älteren, nicht aber bei den jüngeren Generationen und insbesondere bei solchen Personen, die in der Frage der nationalen Identität verunsichert sind. Alterskohortenanalysen stützen die Vermutung, die Armee sei für diesen Personenkreis zu einem erstrangigen schweizerischen Identifikationssymbol avanciert. Prestigewert einer militärischen Kaderposition: Der gesellschaftliche Prestigewert einer Militärkarriere ist nach wie vor hoch, auch wenn er trendmässig leicht abgenommen hat. Die zivile Verwertbarkeit militärischer Führungserfahrungen wird höher gewichtet als Ehrengesichtspunkte. Darin spiegelt sich ein Wandel: Es ist heute nicht mehr das traditionelle gesellschaftliche Prestige einer höheren Statusposition in der Armee, welches zum Weitermachen motiviert, sondern der individuell erfahrbare, zivile Nutzen. Sicherheitspolitisches Interesse: Fast 6 von 10 Schweizern und etwa 4 von 10 Schweizerinnen bekunden Interesse für sicherheitspolitische Fragen. Diese Zahlen sind im langfristigen Trend in etwa konstant. Sicherheitspolitik ist nach wie vor vorwiegend eine Männerdomäne, auch wenn der Anteil der sicherheitspolitisch desinteressierten Frauen in den letzten Jahren trendmässig deutlich gesunken ist. Jüngere Generationen kümmern sich vermehrt um Sicherheitspolitik dann, wenn Auswirkungen auf die eigene Person zu erwarten sind, und wenn sichheitspolitisch "etwas los" ist. Es sind offensichtlich die Zeitung, das Radio und insbesondere die Armee selbst, die zu den bevorzugten Informationsquellen der sicherheitspolitisch Interessierten gehören. Eigene Erfahrungen bilden für Personen, die überdurchschnittlich bereit sind, sich mit sicherheitspolitischen Belangen auseinanderzusetzen, vor allem für Fragen rund um A95 die wichtigste Informationsquelle. Das Fernsehen ist demgegenüber für diesen Personenkreis als sicherheitspolitische Nachrichtenquelle von nachgeordneter Bedeutung. Armeereform 95: Sie stösst mehrheitlich auf Akzeptanz. Allerdings wird sie eher als Abmagerungsreform und als Belastungsreduktion für den einzelnen Armeeangehörigen, nicht aber als Konzeptionsreform wahrgenommen. Vereinzelte Kritik entzündet sich an deren als ungenügend wahrgenommenen Radikalität und einem als zu gering erachteten Abbau der Rüstungsausgaben.