Das beantragte Forschungsvorhaben soll untersuchen, wie sich in der Schweiz die Fachmittel-/Fachmaturitätsschule (FMS), die anfangs 2000 aus der bisherigen allgemeinbildenden Diplommittelschule hervorging, als eigenständiger und ergänzender Bildungsweg neben den Wegen der Berufsbildung und des Gymnasiums in der sich neu formierenden Sekundarstufe II und mit Bezug zur Tertiärstufe positioniert und profiliert hat. Die FMS, welche vorwiegend von Mädchen besucht wird, deckt mit ihrem Ausbildungsprogramm weiterhin einen hohen Anteil von Allgemeinbildung ab, führt aber neu gleichzeitig zu einer berufsfeldbezogenen Vertiefung insb. in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Pädagogik. Die Frage nach Prozess und Ergebnis der Positionierung und Profilierung der FMS erachten wir als bedeutsam, da dieser Bildungsweg gemäss Studien einerseits ein sozial integratives und durch die institutionelle Verbindung von berufsbildenden und allgemeinbildenden Elementen zukunftsfähiges Alternativmodell zu den beiden traditionellen Bildungswegen Berufsbildung und Gymnasium darstellt. Institutionell leistet er eine Verbindung von verschiedenen Wissensformen, was angesichts des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft stärker gefordert wird. Mit den Berufsfeldern Gesundheit, Soziales und Pädagogik kann er dem Fachkräftemangel in der Pflege, dem Sozialbereich und der Volksschule begegnen. Andererseits ist er in seiner Positionierung und Profilierung als eigenständiger Bildungsweg mit verschiedenen Problemstellungen konfrontiert. Von Seiten der Berufsbildung wird seine berufsvorbereitende Funktion als systemwidrig und als unerwünschte Konkurrenz zu den neu geschaffenen beruflichen Grundbildungen in Gesundheit und Sozialem wahrgenommen. Gegenüber dem Gymnasium wird er von Schüler/innen und Eltern teilweise abgewertet, ist zweite Wahl und dient als Auffangbecken.
Grösstenteils unerforscht ist bisher erstens der – durch Legitimations-, Image- und Umsetzungsprobleme bedingte – konflikthafte und unabschliessbare Prozess, bei dem sich die FMS als eigenständiger Bildungsweg neben der Berufsbildung und dem Gymnasium positioniert, sowie die dabei zu beobachtenden Unterschiede zwischen der Westschweiz und der Deutschschweiz. Zweitens ist wenig Wissen vorhanden zur spezifischen Wertigkeit ('Qualität') der FMS und ihrer Berufsfelder, mit der sie sich neben Berufsbildung und Gymnasium als ergänzender Weg profiliert. Das geplante Forschungsprojekt soll diese Lücken schliessen.
Um die konflikthafte institutionelle Entwicklung der FMS (Positionierung) und die 'Qualität' ihres Bildungsangebotes (Profilierung) zu untersuchen, bezieht sich die Studie theoretisch auf den im Pragmatismus wurzelnden Ansatz der Soziologie der Konventionen, der die Koordination, Evaluation und Legitimation des sozialen Handelns im Bereich von Wirtschaft und Bildung auf Konventionen i.S. verschiedener kultureller Wertigkeitsordnungen (u.a. Effizienz, Markt, Tradition, Solidarität, Inspiration, Netzwerk, Ruf) zurückführt. Solche Wertigkeitsordnungen formen die Orientierungen und Entscheidungen in der Ausgestaltung der FMS. Sie stehen jedoch teilweise auch in Widerspruch zueinander, was die Handlungskoordination zu einer komplexen und spannungsgeladenen Angelegenheit werden lässt und Kompromisse zwischen den Konventionen erforderlich macht.
Das geplante dreijährige Forschungsprojekt wird erstmals eine systematische Darstellung der Institutionalisierung der FMS ermöglichen und Hinweise dazu geben, weshalb dieses zukunftsfähige Ausbildungsmodell vor allem in der Deutschschweiz bildungspolitisch wenig Anerkennung erhält und bei Anspruchsgruppen wenig bekannt ist. Es wird zudem darstellen können, durch welche Wertigkeit sich die FMS-Ausbildung im Vergleich zu den Parallel-wegen in Berufsbildung und Gymnasium auszeichnet und diese ergänzt. Nicht zuletzt soll das Projekt den skizzierten theoretischen Ansatz für den Bereich der Bildung weiterentwickeln und modifizieren