Disziplinprobleme im Unterricht bilden nicht nur eine grosse Belastung für Lehrpersonen, sondern sie weisen auch auf geringe Sozial- und Selbstkompetenzen von Schülerinnen und Schülern hin. Kinder und Jugendliche mit hohen Sozial- und Selbstkompetenzen werden von Gleichaltrigen akzeptiert und sind sozial eingebunden. Diese Kompetenzen bilden eine wichtige Bedingung, dass Jugendliche im Unterricht produktiv lernen, sich in schulischen Selektionsverfahren durchsetzen, schulischen Erfolg zeigen und den Einstieg in die Berufsausbildung und in die Erwerbstätigkeit schaffen (Neuenschwander, Gerber, Frank, Rottermann, im Druck). Daher wurde zur Stärkung der Schule Aargau ein Programm für Jugendliche der Primar- und Sekundarstufe I mit Disziplinproblemen im Unterricht (ab 4. bis 9. Schuljahr) erarbeitet. Die "Intervention zur Förderung der Sozial- und Selbstkompetenzen in der Schule" - kurz InSSel - dient zur sekundären Prävention von Disziplinproblemen und Risikoverhalten bei gefährdeten Kindern und Jugendlichen. Das Programm startete nach einer längeren Entwicklungsphase im Sommer 2011 an Schulen des Kantons Aargau. Dem Programm zugrunde liegen Befunde von Studien und Interventionsprogrammen die zeigen, dass der Aufbau von Sozial- und Selbstkompetenzen als personale Schutzfaktoren Disziplinprobleme reduzieren und die Chance auf eine positive Schullaufbahn erhöhen. Das InSSel-Programm wird an die einzelnen Schulen und Schulstufen angepasst. Mit dem Programm wird kurzfristig das Verhalten und die Einstellungen von Kindern und Jugendlichen im Unterricht verändert und mittelfristig werden die Lehrpersonen dadurch im Unterricht entlastet. Ausserdem werden dadurch die Jugendlichen beim Finden einer Anschlusslösung nach der obligatorischen Schule unterstützt. Diese Ziele sollen durch die Förderung von Sozial- und Selbstkompetenzen (vgl. Neuenschwander & Frank, 2011) erreicht werden, indem ausserhalb des schulischen Unterrichts Massnahmen in Kleingruppen ergriffen werden. Um die problematischen Verhaltensweisen zu reduzieren werden aus systemischer Sicht verschieden wichtige Akteure berücksichtig. Daher setzt sich das Programm aus drei Elementen zusammen.
1) Elterngespräche zu Beginn und am Ende jedes Schulquartals. Das Ziel ist, Grundlagen für eine konstruktive Arbeit in Unterricht und Schule zu erarbeiten und den Eltern Hinweise für die Erziehung ihrer Kinder zu vermitteln.
2) Gruppentraining mit einem Coach: Ausserhalb der Unterrichtszeit werden unter Anleitung eines geeigneten Jugendcoaches Kleingruppensitzungen à 90 Minuten im Wochenrhythmus durchgeführt. In diesem besonderen Training werden einerseits Beziehungen aufgebaut und positive Erlebnisse vermittelt, andererseits Verhaltensziele und Regeln vereinbart. Dieses Training trägt zur Reduktion der Unterrichtsstörungen bei.
3) Lehrpersonenberatung und Unterrichtshospitation: Mittels einer Unterrichtshospitation des Coaches wird mit Fokus auf die Kinder oder die Jugendlichen die Lehrperson beraten und entlastet. Die Lehrperson soll als Fachperson in diesen Prozess einbezogen werden. Es werden pro Schuljahr drei Programmeinheiten angeboten. Die Kinder und Jugendlichen besuchen das Programm in der Regel während eines Schuljahres, es könne jedoch auch einzelne Programmeinheiten besucht werden.
Um präzisere Informationen zur Wirkung des InSSel-Programms zu erhalten, und um es auf dieser Grundlage zu optimieren, wird die Startphase (Schuljahr 2011/2012) wissenschaftlich evaluiert. Es soll einerseits überprüft werden, wie das Programm konkret umgesetzt worden ist (Implementation) und andererseits in welchem Ausmass das Programm zur Verhaltensänderung der Jugendlichen beiträgt (Wirkungsprüfung). Die Ergebnisse sollen in die Weiterentwicklung des Programms einfliessen.
Literatur:
Neuenschwander, M. P. & Frank, N. (2011). Förderung der Sozial- und Selbstkompetenzen in der Schule. Beschreibung eines neuen Interventionsprogramms InSSel. Sozialmagazin, 36(11), 43-49.
Neuenschwander, M. P., Gerber, M., Frank, N., Rottermann, B. (2012). Schule und Beruf: Wege in die Erwerbstätigkeit. Wiesbaden: VS-Verlag.