Schweizer Freiwilligen-Monitor 2006

Ref. 8931

General description

Period

2006

Geographical Area

Additional Geographical Information​

Schweiz, Schweizer Kantone

Abstract

Das freiwillige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern in den verschiedensten Tätigkeitsfeldern ist in den vergangenen Jahren als gesellschaftspolitisch bedeutsames Thema zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt (Ammann 2001). Als freiwilliges Engagement wird gemeinhin jede Aktivität verstanden, bei der ohne Gegenleistung Zeit aufgewendet wird, um einer Person, einer Gruppe oder einer Organisation zu nutzen (Wilson 2000: 215). Die Bedeutung der Freiwilligentätigkeit wird in der öffentlichen wie sozialwissenschaftlichen Debatte in zweierlei Hinsicht deutlich: Zum einen verweisen Studien zur wirtschaftlichen Bedeutung der geleisteten freiwilligen Tätigkeit auf den unbezahlbaren Wert unbezahlter Arbeit. Diesbezüglich sei auf Zahlen verwiesen, wonach sich der Wert freiwilliger Tätigkeit in der Schweiz auf bis zu 58 Prozent des BIP beläuft (Münzel 2004: 80). Zum anderen heben die Diskussionen über das Potential der Zivilgesellschaft als auch die einflussreichen Debatten zur gesellschaftlichen Ressource des Sozialkapitals und zum Dritten Sektor die zentrale Rolle freiwilligen Engagements hervor. Freiwilligkeit kann in diesen Anschauungen den Staat entlasten, Gemeinwohl und Eigenverantwortlichkeit entwickeln, die zunehmende Kluft zwischen einer arbeitsteiligen und hochgradig ausdifferenzierten Gesellschaft und einer emotional integrierten Gemeinschaft überbrücken und das abstrakte Staatswesen mit dem isolierten Individuum verbinden (Bütschi und Cattacin 1993; Putnam 2000). Trotz der vielerorts konstatierten Relevanz der Freiwilligentätigkeit wurde dieser Forschungsgegenstand in der Schweizer Sozialforschung in der Vergangenheit vernachlässigt. Diese augenfällige Forschungslücke lässt sich zu einem erheblichen Teil auf den Mangel an (quantitativen) Daten und Informationen zu den freiwillig Tätigen zurückführen. Die bisherigen Erkenntnisse stützen sich weitgehend auf die Erhebungen des Moduls "Unbezahlte Arbeit" der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE), in welchem Daten zu Art und Umfang der Freiwilligentätigkeit in den Jahren 1997, 2000 und 2004 gesammelt wurden (vgl. Bühlmann und Freitag, 2006; Bühlmann und Schmid, 1999; Nollert und Huser, 2006; Schulz und Häfliger, 2006). Über die Erfassung der Art und des Umfanges der Freiwilligenarbeit hinaus liegen demgegenüber fast keine Informationen zu den Freiwilligen (etwa deren Motive, Rekrutierungen, Qualifikationen, Bewertungen) im Schweizer Kontext vor. Um diesem Mangel an Information über die Freiwilligkeit in der Schweiz entgegenzutreten, initiierte die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) zusammen mit dem Migros-Kulturprozent und dem Bundesamt für Statistik den Schweizer Freiwilligen-Monitor, welcher im Jahre 2006 zum ersten Mal realisiert wurde. Vorrangiges Ziel des Forschungsprojektes ist es, auf Basis des Schweizer Freiwilligen-Monitors 2006 eine Bestandesaufnahme des freiwilligen Engagements in der Schweiz zu präsentieren, die im Gegensatz zu früheren Studien neben dem Umfang und der Art auch die Motive und Mobilisierungspotentiale in Bezug auf freiwillige Tätigkeiten aufzeigt.

Results

Die Analysen dieses Berichtes basieren auf der ersten Erhebung des Schweizer Freiwilligen-Monitors von 2006. Konzeptuell werden drei Formen der Freiwilligkeit unterschieden. Es handelt sich dabei (1) um freiwillige Tätigkeiten, die innerhalb von Vereins- oder Organisationsstrukturen ausgeübt werden (formelle Freiwilligkeit), (2) um freiwillige Arbeiten wie Nachbarschaftshilfe oder das Hüten fremder Kinder, die ausserhalb solcher Organisationenstrukturen stattfinden (informelle Freiwilligkeit), sowie (3) um das Spenden von Geld oder Naturalien. Die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich dieser drei Freiwilligenformen können wie folgt zusammengefasst werden: Formelle Freiwilligkeit: Rund ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung ist innerhalb von Vereinsstrukturen freiwillig engagiert. Hierbei können die bereits in früheren Untersuchungen festgestellten Unterschiede zwischen der Romandie beziehungsweise dem Tessin und der Deutschschweiz bestätigt werden. In der Deutschschweiz sind substantiell mehr Personen freiwillig tätig, als dies in der lateinischen Schweiz der Fall ist. Dies gilt nicht nur für freiwillige Tätigkeiten im Allgemeinen, sondern ebenso für die Übernahme von Ehrenämtern im Besonderen. Mit einem Bevölkerungsanteil von gut zehn Prozent sind die meisten der formell Freiwilligen in Sport- und Freizeitvereinen tätig. Umgekehrt engagieren sich weniger als zwei Prozent in politischen Parteien oder in Menschenrechts- und Umweltverbänden. Informelle Freiwilligkeit: In der Schweiz sind insgesamt über 37 Prozent der Bevölkerung informell, also ausserhalb von Vereinen und Organisationen, freiwillig tätig. Ähnlich wie beim formell freiwilligen Engagement ergeben sich dabei erhebliche regionale Unterschiede. Vor allem in den Kantonen der Ost- und Zentralschweiz ist das informelle Engagement ausgeprägt, während in der Romandie und im Tessin ein deutlich geringerer Anteil von Personen informelle Freiwilligentätigkeit ausübt. Die informelle Freiwilligkeit kann dabei überwiegend mit persönlichen Hilfeleistungen für Freunde und Bekannte beschrieben werden: Rund zwei Drittel der informell Freiwilligen gehen im Rahmen ihres Engagements anderen Menschen zu Hilfe. Spenden: Das Spenden von Geld oder Naturalien ist die am weitesten verbreitete Art des freiwilligen Engagements. Rund drei von vier Personen der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren geben an, Geld oder Naturalien zu spenden. Die hohe Spendentätigkeit im Vergleich zu den Beteiligungsraten im Bereich der freiwilligen Arbeit ist in erster Linie auf die geringen (immateriellen) Anforderungen an ein Individuum zurückzuführen. Wichtigste Voraussetzung ist hier insbesondere eine sozioökonomisch gesicherte Situation, die es erlaubt, zumindest einen kleinen Betrag des Einkommens abzugeben. Motive der formellen Freiwilligkeit: Das freiwillige Engagement der Schweizerinnen und Schweizer ist mehr als altruistisches Verhalten. Dies spiegelt sich auch in den wichtigsten Motiven der Ausübung formell freiwilliger Tätigkeiten wider. Während uneigennützige, wohltätige Aspekte zwar eine wichtige Rolle für die Übernahme von freiwilligen und ehrenamtlichen Aufgaben spielen, sind stärker selbstbezogene Argumente wie das Zusammensein mit Freunden oder der Spass an der Tätigkeit für viele der Hauptgrund ihres freiwilligen Engagements. Obwohl der Ausübung freiwilliger Tätigkeiten damit in erster Linie persönliche Motive zu Grunde liegen, kommt der Anstoss für die Übernahme freiwilliger Arbeiten dennoch häufig von aussen. Hier bilden persönliche Kontakte und Netzwerke den hauptsächlichen Beweggrund für freiwillige Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen. Allgemeine Hinweise aus den Medien oder durch Informations- und Kontaktstellen geben nur in Einzelfällen den Anstoss für ein freiwilliges Engagement. Typen von Freiwilligen: Die explizite Differenzierung verschiedener Formen freiwilligen Engagements verdeutlicht, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, sich freiwillig zu engagieren. Ausserdem erlauben die gewählten Begrifflichkeiten die Bildung verschiedener Typen von Freiwilligen, welche nicht zuletzt die Vielfältigkeit der Freiwilligkeit in der Schweiz zu verdeutlichen vermögen. Zunächst sind die "umfassend Freiwilligen" zu nennen, die sowohl informelle als auch formelle Tätigkeiten übernehmen und zusätzlich auch noch Geld oder Naturalien spenden. Den Kontrapunkt zu dieser Gruppe bilden die "Nicht-Freiwilligen", die in keiner Weise freiwillig engagiert sind. Von Letzteren unterscheiden sich die "Checkbuch-Freiwilligen" darin, dass sie selbst zwar keine freiwilligen Arbeiten ausführen, jedoch für gemeinnützige Zwecke Geld oder Naturalien zur Verfügung stellen. Daneben können jene Gruppen von Freiwilligen unterschieden werden, die entweder formell oder aber informell freiwillig tätig sind ("die Formellen", bzw. "die Informellen") und dieses Engagement zum Teil mit einer Spendentätigkeit ergänzen ("die Formellen Plus" bzw. "die Informellen Plus"). Diese Typen des freiwilligen Engagements treten in der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren unterschiedlich häufig auf. Die grösste Gruppe bilden die "Checkbuch-Freiwilligen". Fast ein Drittel der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren übernimmt zwar keine freiwilligen Arbeiten, stellt jedoch Geld oder Naturalien für einen gemeinnützigen Zweck zur Verfügung. Lediglich gut 16 Prozent sind demgegenüber in keiner Art und Weise freiwillig engagiert. Des Weiteren zeigt sich, dass formelle und informelle freiwillige Tätigkeiten unterschiedliche kombiniert und dabei meist zusätzlich durch Spenden ergänzt werden. Konkret sind 12 Prozent der Bevölkerung sowohl formell wie auch informell freiwillig tätig: Über 80 Prozent dieser Gruppe spenden zusätzlich Geld oder Naturalien. Der Anteil jener, die entweder formell oder informell freiwillig engagiert sind, beträgt 15 beziehungsweise 25 Prozent. Nur zwei bzw. fünf Prozent der Bevölkerung sind formell oder informell engagiert, ohne gleichzeitig zu spenden. Das bedeutet: Wer freiwillige Arbeiten als "aufwändige" Art der Freiwilligkeit übernimmt, ergänzt diese oft zusätzlich mit der "einfacheren" Form des freiwilligen Engagements, dem Spenden.