SUGUS - Studie zur Untersuchung gestörten Unterrichts

Ref. 20093

General description

Period

2016

Geographical Area

Additional Geographical Information​

Deutschschweiz, 10 Kantone im Nordosten (AG, AR, GL, LU, SG, SH, SZ, TG, ZG, ZH)

Abstract

Die „Studie zur Untersuchung gestörten Unterrichts – SUGUS” ist ein vom Schweizerischen Nationalfonds finanziertes, erziehungswissenschaftliches Forschungsprojekt (Projektnummer: 100019_152722). Das SUGUS-Projekt beschäftigte sich mit einer viel diskutierten Herausforderung der Schule auf der Unterrichtsebene und mit einer zentralen Belastungsquelle von Lehrpersonen. Dieser Gegenstand umfasst drei Kernelemente: (i) normabweichendes Verhalten der Schüler:innen; (ii) subjektives Störungsempfinden und Belastungserleben der Lehrpersonen und der Mitschüler:innen; (iii) vielschichtige Bedingungen des Unterrichts. Es wurden folgende zwei Hauptfragestellungen verfolgt: 1. Unter welchen Bedingungen und Konfigurationen des Unterrichts zeigen welche Lernenden welche Formen und Grade normabweichenden Verhaltens? 2. Unter welchen Bedingungen und Konfigurationen des Unterrichts wird normabweichendes Verhalten von wem (Lehrperson, Schüler:innen) als wie stark störend erlebt und wie werden (aufseiten der Lehrpersonen) die Handlungsoptionen gesehen? Ein Ziel des SUGUS-Projekts besteht darin, pädagogisch-didaktische Gelingensbedingungen zu identifizieren, unter denen Unterrichtsstörungen einerseits seltener auftreten und andererseits als weniger belastend erlebt werden. Dazu wurden in einem ersten Schritt die Klassenlehrpersonen und die Schüler:innen von 85 Deutschschweizer 5. Klassen mittels Fragebogen befragt. In einem zweiten Schritt wurden Interviews mit den Lehrpersonen ausgewählter Klassen geführt. Die Befunde der zwei Teilstudien wurden miteinander trianguliert.

Results

Die deskriptiven Analysen haben gezeigt, dass die zentralen Merkmalsdimensionen von Unterrichtsstörungen stark rechtsschief verteilt sind: Die meisten Schüler:innen verhalten sich nur selten normabweichend und werden von ihren Lehrpersonen, Mitschülerinnen und Mitschülern entsprechend als wenig störend empfunden. Diese Befunde decken sich weitgehend mit früherer Forschung, stehen aber im Widerspruch zum medial verbreiteten Bild, die (integrative) Schule habe flächendeckend mit massiven Störungen zu kämpfen. Dieser Befund zieht mehrere forschungsmethodische Implikationen nach sich, die in der Dissertation von B. Eckstein (2018) dargelegt werden. Die Ergebnisse eines twolevel CT-C(M-1) Modells haben gezeigt, dass sich die Rezeption gestörten Unterrichts grösstenteils durch subjektive, raterspezifische Anteile erklären lässt: Rater-Effekte erklären 48–70% Varianz des Störungsempfindens der Befragten; bei den Devianz Skalen sind es 30–70%. Als Ursachen dieser teilweise beträchtlichen Perspektivendifferenzen werden rollenspezifische und individuelle Merkmale der wahrnehmenden Akteure sowie kontextuelle Bedingungen und differenzielle Opportunitäten der Sichtbarkeit devianten Verhaltens angenommen. Für die Praxis sind diese Befunde insofern bedeutsam, als dass sie die Subjektivität der Störungsrezeption verdeutlichen. Die Befunde zeigen, dass Unterrichtsstörungen keine objektiven Tatsachen sind, welche sich ausschliesslich auf die schülerseitige Produktion zurückführen lassen. Vielmehr handelt es sich um interaktional ko-konstruierte Phänomene. Dieses Verständnis ist in der Praxis nicht allgegenwärtig anzutreffen. Demzufolge könnte es hilfreich sein, den interaktionistischen Problemcharakter gestörten Unterrichts im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen mittels geeigneter hochschuldidaktischer Tools zu thematisieren, wie sie im Rahmen der Dissertation von B. Eckstein (2018) entwickelt wurden (Netzdiagramme zur Veranschaulichung der verschiedenen Perspektiven von Lehrpersonen und Schüler:innen). Weiter wurden mittels eines Strukturgleichungsmodells folgende Resultate ermittelt (Eckstein, Grob & Reusser, 2022): • Je häufiger Schüler:innen undiszipliniertes Verhalten zeigen, desto stärker werden sie von ihrer Lehrperson als störend empfunden. • Bei zunehmender Empfindlichkeit erleben Lehrpersonen ihre Schüler:innen – unabhängig von deren Verhalten – als zunehmend störend. • Jungen verhalten sich häufiger undiszipliniert als Mädchen, doch das Geschlecht hat keinen Effekt auf das Störungsempfinden der Lehrperson unter Kontrolle des Verhaltens. • Bei zunehmender unterrichtlicher Klarheit und Strukturiertheit sowie bei zunehmend motivationsunterstützender Qualität des Unterrichts zeigen die Schüler:innen seltener undiszipliniertes Verhalten. Diese Resultate deuten auf störungspräventive Wirkungen „guten Unterrichts“ hin. • Bei zwei weiteren untersuchten pädagogisch-didaktischen Massnahmen (Binnendifferenzierung, Kooperationsgrad), denen in der Theorie störungsminderndes Potenzial zugeschrieben wird, fanden sich jedoch keine oder nur sehr geringe Effekte. Ein Grund für diese unerwartet niedrigen Beziehungen dürfte in der zu wenig detailgenauen Operationalisierung der zwei Konstrukte liegen.