Zwischen 1956 und 1970 entstanden im deutschsprachigen Wallis unter dem Patronat der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde acht dokumentarische Filme. Sie wurden innerhalb der Reihe «Sterbendes Handwerk» produziert, die seit den 1940er Jahren besteht und bis heute weitergeführt worden ist (ab 1972 «Altes Handwerk»). Die Konzeption der Filme war ursprünglich der Idee verpflichtet, traditionelle (respektive als traditionell verstandene) handwerkliche Tätigkeiten, Techniken und Produktionsabläufe festzuhalten, bevor sie unwiederbringlich verschwinden und ganz in Vergessenheit geraten. Unter dieser Zielvorgabe gerieten einzelne Vertreter und Vertreterinnen bestimmter Berufe in den Fokus der wissenschaftlichen Filmemacher, so auch im Wallis: der Zinngiesser, der Kupferschmid, der Ofenmacher und der Störschuhmacher, die Weberin und die Strohhutmacherin.
Das Projekt greift nun auf das in jenen Jahren entstandene Bildmaterial zurück, um davon ausgehend neue Blickwinkel auf alpine Arbeits- und Lebenswelten zu entwickeln, die dann wiederum filmisch umgesetzt werden sollen. Ausgangspunkt ist die Visionierung und Analyse der alten Filme. Das Dokumentieren von traditionellen Arbeitsformen und -feldern im Geist des Rettens und Sammelns brachte eindrückliche Bilder mit Seltenheitswert hervor, führte aber auch zu thematischen Einschränkungen und Ausblendungen. Einzelne, exakt und detailliert in Szene gesetzte Handgriffe vermögen aus heutiger volkskundlicher Sicht nicht darüber hinwegzutäuschen, dass in den Filmen praktisch das gesamte gesellschaftliche Umfeld, in dem sich die vorgeführten Arbeiten abspielen und wo sie ihren «Sitz im Leben» haben, ausgespart blieb. Allfällige Erläuterungen der sozialen und kulturellen Bedingungen, die einem spezifischen Handwerk zugrunde lagen, waren ausschliesslich den Begleitpublikationen vorbehalten (und wurden auch da nicht wirklich systematisch betrieben). So wird beispielsweise aus dem Film allein nicht ersichtlich, dass der Lötschentaler Störschuhmacher, der im Jahre 1970 seine Fertigkeiten vor der Kamera demonstrierte, in Wirklichkeit seinen Beruf bereits vierzig Jahre zuvor aufgegeben hatte, weil schon damals die Konkurrenz der industriellen Schuhproduktion zu gross war.
Das Aufzeigen solcher Perspektivenverengungen und der daraus resultierenden «blinden Flecken» dient dazu, dem Forschungsprojekt neue Wege zu erschliessen. Um den heutigen Arbeitswelten im Wallis möglichst gerecht zu werden (im filmdokumentarisch-ethnographischen Sinn), sind neuartige Zugangsweisen gefragt, die über den methodologischen und szenischen Horizont der alten Filme hinausgehen. Im Zentrum des Interesses sollen deshalb nicht nur die Arbeitsweisen und -techniken der heute im Wallis lebenden Menschen stehen, sondern insbesondere auch deren eigene Wahrnehmung ihrer Tätigkeiten und Verrichtungen. Dies bedeutet mitunter eine inhaltliche Ausweitung vom eigentlichen Feld der Arbeit in den generellen Bereich der Lebenswelt, und es bedeutet auch eine geographische Erweiterung um die Dimension der Arbeitsmigration (v.a. Abwanderung aus den Bergtälern in die Städte, Rückwanderung in späteren Lebensphasen). Doch trotz allen inhaltlichen Neu-Positionierungen bleibt im neu geplanten Film der Bezug zu den historischen Filmen stets sichtbar. Sie sind der verbindliche Referenzpunkt, wenn es gilt, vergangene Arbeitswelten zu veranschaulichen. Von ihren Bildern ausgehend soll der Bogen in die Gegenwart geschlagen und damit ein Feld abgesteckt werden, das sich zwischen den heute gelebten Arbeits-Alltagen und den einst erlebten (und heute noch erinnerten) handwerklichen Berufen erstreckt. Nicht zuletzt auch die Auswahl der Gewährspersonen hält Verbindungslinien zum alten Bildmaterial aufrecht: Es sind zu einem grossen Teil die Nachfahren der damals gefilmten Protagonisten, ergänzt durch sachkundige Berufsgenossen, Ortshistoriker oder Volkskundler. In semi-strukturierten, qualitativ-biographischen Interviews werden sie sowohl zur Vergangenheit wie zur Gegenwart befragt und in ihrem alltäglichen Berufsumfeld porträtiert. Ihre Erinnerungen, ihre persönlichen Erfahrungen, ihr Wissen um die damaligen wie heutigen Arbeitsverhältnisse (oder eben gerade auch ihr Nicht-Wissen) und ihr Umgang damit machen den Kern dieser Film-Ethnographie aus. Sie zielt letztlich auf das Dokumentieren des Wandels der Arbeits- und Lebenswelten im Wallis des letzten halben Jahrhunderts. In diesem Feld hat ein kultureller, sozialer und ökonomischer Wandel stattgefunden, der bisweilen - und ganz besonders im Wallis - Züge einer fundamentalen Umwälzung angenommen und letztlich das Erscheinungsbild einer ganzen Region massgebend geprägt hat. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort haben sich im Zuge des sich ausbreitenden Massentourismus, der «Industrialisierung der Alpen» (Tourismusindustrie), etwas später dann auch der «Urbanisierung», «Ökologisierung» und «Globalisierung» alpiner Freizeitzentren stark verändert. Das «alte», «sterbende» Handwerk ist nicht nur noch mehr in die Jahre gekommen, es ist heutzutage so gut wie ausgestorben. Und wo es noch lebt, ist es längst einem neuen «Handling» (Handhabung, Gebrauch) unterworfen - d.h. es hat in Funktion, Bedeutung, Aus- und Aufführung längst neue (spätmoderne) Formen angenommen, die mit dem traditionellen Berufsbild nichts mehr gemein haben.