Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg

Ref. 5397

This is version 2.0 of this project.

General description

Period

1939-1946

Geographical Area

-

Additional Geographical Information​

Liechtenstein, dazu die regionale Nachbarschaft Vorarlberg, St. Gallen, Graubünden, im weiteren die Nachbarstaaten Schweiz und Grossdeutsches Reich sowie Europa und teilweise einzelne aussereuropäische Länder

Abstract

Die Geschichte Liechtensteins in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ist bis anhin nicht wissenschaftlich erforscht und dargestellt, abgesehen von Einzelaspekten. Das vorliegende Projekt wurde vom Forscher bereits 1987 am Liechtenstein-Institut in Angriff genommen und mit Unterbrüchen bis heute weitergeführt. Es umfasste in einer ersten Phase die Zeit der 1930er Jahre mit, die Ergebnisse sind 1997 veröffentlicht worden (Peter Geiger, Krisenzeit, Liechtenstein in den Dreissigerjahren 1938-1939, 2 Bde., 2. Aufl. 2000). In gleicher Weise soll mit dem jetzt in der Phase der Niederschrift stehenden Projekt zu Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg eine gründliche, zugleich lesbare Gesamtdarstellung dieses zentralen Abschnitts der Zeitgeschichte entstehen. Untersucht werden anhand von Quellen in den in- und ausländischen Archiven sowie mittels weiterer Quellen wie Zeitungen und Zeitzeugenbefragungen die folgenden Bereiche: Militärische Bedrohungslage im Zweiten Weltkrieg; Gründe für die Kriegsverschonung; Neutralitätspolitik; Beziehungen zum Dritten Reich, zur Schweiz, zu den Alliierten und zu andern Ländern; Kriegswirtschaft, Innenpolitik; Parteien; Anpassung, Bedrohung und Abwehr des Nationalsozialismus im Innern; nationalsozialistische "Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein"; Deutsche Kolonie und NSDAP (AO, Auslandsorganisation) im Fürstentum; Spionage; Kriegsfreiwillige; Flüchtlingspolitik; Alltag und Kultur; Kriegsende; schliesslich politische Säuberung und Nachkriegsprobleme. Die liechtensteinische Geschichte wird im Bezugsrahmen der Region, der Nachbarstaaten wie der weltgeschichtlichen Geschehnisse verfolgt. Wegen der Kleinheit des Fürstentums, das in der Kriegszeit 12"000 Einwohner zählte, durchdringen sich hier unmittelbar Lokalgeschichte und Landesgeschichte, Personen- und Strukturgeschichte, ebenso Innen- und Aussenpolitik sowie Mikro- und Makrogeschichte, zumal das Ländchen geopolitisch exponiert lag, galt es doch dem Dritten Reich als "volksdeutsches Grenzland", der Schweiz aber als Glacis vor der Reduitfestung Sargans.

Results

1. Liechtenstein war im Krieg neutral. Es wurde nicht in Kriegshandlungen einbezogen. 2. Das Grenzländchen war ab 1938 vom Anschluss an Grossdeutschland bedroht, und zwar von aussen wie auch von innen. 3. Die liechtensteinische Regierung, der Landtag und der Fürst sowie die grosse Mehrheit der Bevölkerung lehnten den Nationalsozialismus ab. 4. Eine kleine, aber aktive und gewaltbereite Minderheit war nationalsozialistisch orientiert. Sie organisierte sich von 1938 bis 1945 in der "Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein"und trat offen auf. Sie erwartete den Sieg Hitlers und das "neue Europa". Sie erstrebte die Einführung der nationalsozialistischen Ordnung in Liechtenstein und den Anschluss des Landes an Hitlerdeutschland, in einem ersten Schritt als Wirtschaftsanschluss, in einem zweiten Schritt als Totalanschluss. Die NS-Anhänger brachten die ganze Kriegszeit hindurch erhebliche Unruhe in Staat und Gesellschaft. 5. Die NS-Bewegung blieb erfolglos, weil die Behörden ihre Bewegungsmöglichkeiten einschränkte, weil die NS-Gegner und die Volksmehrheit ihnen Widerstand leisteten, weil Hitler und Ribbentrop Liechtenstein mit der Schweiz zusammen behandelten und keinen Sonderanschluss des Ländchens wünschten und weil schliesslich der Krieg sich wendete. 6. Aus den Reihen der "Volksdeutschen Bewegung" rekrutierten sich Kriegsfreiwillige für die Waffen-SS und Spione. 7. Die Landesversorgung mit Lebensmitteln, Rohstoffen und Energie konnte in enger Zusammenarbeit mit der Schweiz, mit der Liechtenstein durch Zollanschlussvertrag seit 1923 verbunden war, gesichert werden. Rationierung, Kontingentierung sowie Mehranbau wurden zusammen mit der Schweiz, gestützt auf deren kriegswirtschaftliche Organisation, durchgeführt. 8. Die Schweiz nahm für Liechtenstein Aussenhandel, Währungspolitik, diplomatische Vertretung und Kontrolle der liechtensteinisch-vorarlbergischen Grenze wahr. 9. Im Krieg entstanden metallverarbeitende Betriebe, welche für den deutschen Kriegsbedarf produzierten (Presta und Hilti Maschinenbau). 10. Liechtensteinische Arbeitskräfte, bis 1940 von Arbeitslosigkeit betroffen, fanden im Krieg zeitweilig zu Hunderten Arbeit im nahen Vorarlberg, daneben vermehrt auch wieder in der Schweiz. 11. Durch Liechtenstein hindurch wurde Spionage zugunsten Deutschlands und gegen die Schweiz getrieben. 12. Liechtenstein bot den Krieg hindurch über 120 jüdischen Verfolgten Zuflucht. 13. Andererseits wurden an der grossdeutsch-liechtensteinischen Grenze auch Verfolgte abgewiesen. Die Flüchtlingspolitik richtete sich nach den schweizerischen Richtlinien. 14. In den letzten Kriegstagen überquerte eine Wehrmachteinheit, die "1. Russische National-Armee" unter Führung von Generalmajor Arthur Holmston-Smyslovsky, mit knapp 450 russischen Soldaten die liechtensteinische Grenze. Die Truppe wurde hier interniert, danach 1945 zu zwei Dritteln freiwillig repatriiert, während ein Drittel bis 1948 in westliche Länder emigrierte. 15. Nach dem Kriegsende wurde die "Volksdeutsche Bewegung"verboten, ihr "Landesleiter" sowie einige Anführer des Anschlussputschversuchs von 1939 wurden 1946 zu Kerkerstrafen verurteilt, ebenso wurden einige Lehrer suspendiert. 16. Wie in der Schweiz wurden nach dem Kriegsende "Amtswalter" der auslanddeutschen NSDAP und der Deutschen Kolonie ausgewiesen. 17. Liechtenstein unterstand den schweizerisch-alliierten Currie-Abmachungen von 1945, ebenso war es ins Washingtoner Abkommen von 1946 und in dessen Nachfolgevereinbarungen eingeschlossen. 18. Die NS-Zeit blieb jahrzehntelang in Liechtenstein ein Tabuthema, wegen der Kleinheit der Gesellschaft, aber auch weil jene Periode nicht gründlich erforscht war. Seit Ende der 1980er Jahre ist das Tabu gebrochen, weil zur NS-Zeit geforscht und berichtet wird, insbesondere im Rahmen des hier vorgestellten Projekts.