Unsere fortgeschrittenen Konsumgesellschaften erlauben den Umgang mit psychoaktiven Substanzen nur dann, wenn damit der Normalzustand eines durchschnittlichen Wachbewusstseins erhalten oder wiederhergestellt werden soll. Eine grosse Ausnahme bildet nur der als (profanes) Genussmittel anerkannte Alkohol. Psychoaktive Substanzen, die zum Zweck der Normalisierung eingesetzt werden, gelten als Medikamente, ihre erwünschte Anwendung steht unter ärztlicher bzw. psychiatrischer Kontrolle. Als Drogen gelten psychoaktive Substanzen, wenn sie zu andern Zwecken, etwa der Erkundung "anderer" Erlebnishorizonte, eingesetzt werden. Vor allem seit den 60er Jahren wird Drogenkonsum vergleichsweise unabhängig von spezifischen und durchaus realen körperlichen und psychischen Gefährdungspotentialen als Subversion gegen die konsumgesellschaftliche Wirklichkeitsdefinition und als Rebellion gegen die geltende Gesellschaftsordnung bekämpft.
Auch Folienrauchen dürfte mindestens anfänglich von den Jugendlichen selbst und von Aussenstehenden als Provokation und rebellische Auflehnung erfahren worden sein. Die bisherige Auswertung belegt, dass nicht nur die euphorisierend dämpfende Wirkung des Heroins gesucht wurde, sondern auf höchst widersprüchliche Weise auch mit den tabuisierten Gefahren von Sucht und sozialem Absturz gespielt wurde. Das Bild aller Heroin Konsumierenden hat sich in den letzten Jahren aber stark verändert. Sie gelten weithin nicht mehr als wagemutige und gefährliche Rebellen, sondern als hilfsbedürftige Kranke. So dürfte auch die langfristig vielleicht wichtigste Wirkung der ärztlichen Opiatverschreibung darin bestehen, dass Heroin unmerklich aus der Kategorie der Drogen in jene der Medikamente gerutscht ist und damit einen grossen Teil seiner Attraktivität in den Augen potentieller Konsumentinnen und Konsumenten verloren haben dürfte. Sowohl in der Selbst- als auch der Fremdwahrnehmung wurden tendenziell aus ehemals aufmüpfigen Rebellen, die aus dem Staat "Gurkensalat" machen wollten, kranke Sozialhilfeempfänger, die nun vom Wohlwollen des Staates abhängen, um überleben zu können. Die intensiven sozialtherapeutischen Anstrengungen der letzten Jahre dürften so auf einem vielleicht unerwarteten Umweg zur Entschärfung des Drogenproblems beigetragen haben. Jedenfalls würde das erklären, warum sich der Heroinkonsum gegenwärtig nicht mehr auszubreiten scheint obwohl die Droge im Vergleich zu den 80er Jahren mindestens 5-10 Mal billiger geworden ist. Damit taucht aber die dem "Drogenproblem" zugrunde liegende Problematik wieder ungelöst auf: Auch nicht-stromlinienförmige Jugendlichen (und Erwachsenen) müssen Platz und existentielle Würde in einer Gesellschaft finden, die allzu oft von einer eindimensional wirtschaftlichen Rationalität geprägt ist. Dazu würde u.a. wohl auch ein etwas entspannterer Umgang als heute üblich mit existentiell bedeutsamen Erfahrungen im Bereich (auch pharmakologisch) veränderter Bewusstseinerfahrungen gehören.
Neben objektiv beschreibbaren Bedingungen des Drogenkonsums müssen immer auch die subjektiven Bedeutungen beachtet werden, welche Konsumierende und Aussenstehende dem jeweiligen Konsum beimessen. Neben pharmakologischen müssen immer auch direkte und indirekte soziale "Wirkungen" als Motive des Drogenkonsums mitberücksichtigt werden. Im Falle des Folien Rauchens dürften sich diese Bedeutungen in kurzer Zeit von etwas aufmüpfig Rebellischen hin zu etwas hilfsbedürftig Krankhaftem entwickelt haben. Das Folien Rauchen dürfte dadurch bei potentiell gefährdeten Jugendlichen viel an Attraktivität verloren haben. Der Gesellschaft entstehen durch die fürsorgerisch-therapeutische Betreuung zwar finanzielle Kosten, gleichzeitig verschwindet aber ein rebellisches Potential, das die gesellschaftlich konstruierte Wirklichkeit auf ernst zu nehmende Weise in Frage stellen könnte. Es wäre bedenklich, wenn ganz allgemein soziale Probleme durch eine grossflächige, ärztlich kontrollierte Anwendung von Psychopharmaka zugedeckt würden. Damit sollen natürlich nicht die Bemühungen einer Drogenpolitik im Sinne der "harm reduction" in Frage gestellt werden. Es soll aber darauf hingewiesen werden, dass möglicherweise hinter dem Schild des offiziellen Anti-Drogen-Diskurses eine allgemeine Pharmakologisierung der Gesellschaft stattfindet. Jedenfalls haben sich die Möglichkeiten des psychopharmakologisch Machbaren in den letzten Jahrzehnten vervielfacht und sie dürften auch weiter rasant ansteigen. Beunruhigend ist jedenfalls der weltweit stetig steigende Psychopharmakaverbrauch.