Die vorliegenden Fallstudien zur Deutschen Wiedervereinigung (1989/90), zur Auflösung der Sowjetunion (1988/91), zur Golfkrise (1990/91) und zur Aushandlung des EWR (1989/92) zeigen, dass die Antworten der Exekutive auf die untersuchten weltpolitischen Veränderungen vor allem zwei Wesenszüge tragen:
- Zurückhaltung und Reaktivität bei enger Situationsdefinition: In der Regel wurde nur agiert, wenn der aussenpolitische Apparat von Aussen zur Reaktion beinahe gezwungen wurde. Zur regelmässigen und systematischen Entwicklung von Szenarios und der Entwicklung vorausschauender Handlungsoptionen sowie deren Bewertung kam es nur bei extrem starkem Problemdruck. Die analytische Durchdringung aussenpolitischer Vorgänge blieb meist gering.
- Versuch der taktischen Bewältigung strategischer Herausforderungen: Das Mikromanagement aktueller Notwendigkeiten, die im Kontext konkreter Herausforderungen entstanden waren, stand in den untersuchten Fällen jeweils klar im Vordergrund. In strategischen Fragen der Aussenpolitik hält sich der Apparat hingegen zurück.
Diese zwei Wesenszüge lassen sich durch Akteurskonstellationen, individuelle und organisationelle Prozeduren der Informationsverarbeitung, sowie individuelle und organisationsspezifische "belief systems" bzw. Weltbilder erklären. Unter anderem ist dabei festzustellen, dass das Selbstbild des aussenpolitisch zurückhaltenden, neutralen Kleinstaates sich institutionell stark etablieren konnte und Resistenz entwickelt hat, was die zwei obengenannten Wesenszüge schweizerischer Antworten auf aussenpolitsche Veränderungen wiederum verstärkt.
Aus der vorliegenden Analyse ergeben sich mehrere Empfehlungen. Erstens sollte der Informationsaustausch zwischen Botschaften und der Zentrale im Sinne einer vollständigeren Situationsdefinition ausgebaut und systematisiert werden. Zweitens ist eine Stärkung der strategischen Planungsebene, beispielsweise durch Ausbau und Aufwertung des strategischen Planungsstabes im EDA, sowie eine verstärkte Koordination mit Analyse- und Planungsstellen (z. B. Planungsstab der Bundeskanzlei und Strategischer Nachrichtendienst im VBS) notwendig. Eine intensivierte Mitwirkung der Schweiz in internationalen Institutionen könnte diese Reformen beschleunigen und für den Verwaltungsapparat das notwendige Übungsfeld für verbesserte Analyse- und strategische Planungskapazitäten darstellen.