Vorliegendes Projekt befasst sich mit der Qualität der beruflichen Bildung und geht der Fragestellung nach, über welche Kompetenzprofile Berufsfachschullehrpersonen sowie Berufsbildner und Berufsbildnerinnen in Betrieben verfügen müssen, um die Lernenden erfolgreich durch die Lehrzeit zu begleiten. Dabei wurden in einem ersten Schritt nötigen Kompetenzprofile in einem bottom-up Verfahren, das heisst gemeinsam unter Einbezug der Praktikern entwickelt und die Kompetenzprofile wurden sichtbar gemacht und zwar durch Filmen authentischer Unterrichtssituationen (vgl. Heinzer; Oser & Salzmann, 2009). Mit Hilfe des neu entwickelten advokatorischen Messzugangs wird die Qualität von Kompetenzprofilen gemessen und es wird untersucht, wie verschiedene Gruppen (Experten, Lehrpersonen, Nicht-Lehrpersonen) die Qualität eines durch die Filmvignette beobachteten Kompetenzprofils einschätzen. Dieses Wissen und die Materialen stellen für die Aus- und Weiterbildung von Berufsfachschullehrpersonen eine sinnvolle Ergänzung dar und ermöglichen, Theorie und Praxis näher zu bringen.
Doch warum ist die Frage nach Kompetenzen von Ausbildenden zentral? Fakt ist, dass die Mehrheit der schweizerischen Jugendlichen nach ihrer obligatorischen Schulzeit in die Berufsbildung übertreten. Mit diesem Übertritt entscheiden sie sich für eine postobligatorische Ausbildung, welche sowohl national als auch international ein hohes Ansehen geniesst. Trotz dieses hohen Images stellt sich in diesem Zusammenhang, zumindest oder eben vor allem aus einer pädagogischen Perspektive, die Frage nach der Qualität der beruflichen Bildung (vgl. Oser & Kern, 2006c). Bis anhin wurde diese Frage eher stiefmütterlich behandelt, zumal die Bestrebungen, Wirksamkeiten im Bildungssystem durch Monitoring-Prozesse zu untersuchen, sich ausnahmslos auf die Volksschule und die Stufe Sek. II beziehen (z.B. HarmoS). Allgemein hat es bis vor wenigen Jahren kaum wissenschaftlich begleitete Forschungsprojekte im Bereich der Berufsbildung gegeben. Dennoch werden Forderungen nach Qualitätssicherung durch Standards etc. auch im Bereich der Berufsbildung laut. Das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) mit Sitz in Bern hat im Jahre 2002 auf diesen Mangel reagiert und in enger Zusammenarbeit mir Professor Dr. Dr. hc. mult. F. Oser ein Programm zur nachhaltigen Forschungsarbeit lanciert. Es wurden sogenannte Leading Houses an verschiedene Schweizer Universitäten angegliedert, die den Auftrag haben im Bereich der Berufsbildung Forschungsprojekte durchzuführen und den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Das hier vorgestellte Projekt gehört als Teilprojekt zum Forschungsprogramm "Professional Minds", das eingebettet in das Leading House "Qualität der beruflichen Bildung" an der Universität Fribourg/Schweiz ist.
"Professional Minds" selber enthält fünf Teilprojekte: 1) Entwicklung und Validierung von Kompetenzprofilen von Beruffachschullehrpersonen, 2) Entwicklung und Validierung von Kompetenzprofilen von Berufsbildenden im Betrieb (dieses Projekt von Professional Minds wurde im Jahr 2009 zu einem eigenständigen Forschungsprogramm ausgeweitet), 3) Kompetenzentwicklung während der Ausbildung - eine Interventionsstudie und 4) Hétérogénité culturelle et sociale, non-mixité et intégration de la différence dans la formation professionelle (Standpunkt: EHB, Lausanne) und 5) Kompetenzprofile von Sportlehrpersonen an Berufsfachschulen.
In vorliegendem Bericht wird das Projekt 1), welches sich mit den Kompetenzprofilen von Berufsfachschullehrpersonen befasst und diese sichtbar sowie messbar mach, vorgestellt. Unter Kompetenzen wird dabei in Anlehnung an Weinert (2002) und Frey (2006) als Handlungsermöglichungen in einem Kontext bezeichnet, die diesen substantiell und zielgerichtet verändern. Mit Handlungsermöglichungen sind Dispositionen gemeint, bevor sie in einem spezifischen Kontext gebraucht werden, erworben worden sind. Nach Frey (2006) kann man Kompetenz "... als ein Bündel von körperlichen und geistigen Fähigkeiten bezeichnen, die jemand benötigt um anstehende Probleme zielorientiert und verantwortungsvoll zu lösen, die Lösung zu reflektieren und zu bewerten und das eigene Repertoire an Handlungsmustern weiterzuentwickeln." (S. 31). Da in einer Unterrichtssituation für einen Handlungsablauf selten einzelne Kompetenzen gefordert sind, sondern immer ein Mündel an Kompetenzen, wird in vorliegender Forschungsstudie von den Kompetenzprofilen ausgegangen, die in der Ausbildung zur Lehrperson erworben werden sollten. Ein Kompetenzprofil ist ein "in komplexen Situationen des Unterrichts abgrenzbares, zieladäquates, effektives und ethisch gerechtfertigtes Einflusshandeln, welches das Lernen von Schülerinnen und Schülern differentiell fördert." (Oser et al., 2006b S. 17). Kompetenzprofile sind dabei auf einer mittleren Abstraktionsebene definiert, die weder zu stark konkretisiert noch zu abstrakt und allgemein bleibt, sondern auf die Teilhandlung in einer Situation unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs fokussiert. Erfüllt ein Kompetenzprofil das Messbarkeitspostulat so wird von einem Standard gesprochen. Der Erwerb von Kompetenzprofilen während der Ausbildung ist wesentlich die Unterrichtsqualität Deshalb darf im Zusammenhang mit der schulischen Kompetenzentwicklung von beruflich Auszubildenden das professionelle und qualitativ gehaltvolle Lehrpersonenhandeln, wie es beispielsweise in kompetenzbezogenen Professionalisierungsdiskursen thematisiert wird, nicht aus dem Blickfeld geraten (Darling-Hammond, 1999; Oser, 2002; Helmke, 2003; Helsper, 2004; Allemann-Ghionda & Terhart, 2006; Baumert, 2006; Shulman, 2007).
Das vorliegende Forschungsprojekt Professional Minds fokussiert als Konsequenz auf das unterrichtliche Handeln von Lehrpersonen schweizerischer Berufsschulen und auf die Fragen welche Kompetenzprofile die Berufsfachschullehrpersonen benötigen und wie diese auf Grund einer spezifischen Kompetenzdiagnose zielgerichtet festgestellt und optimiert werden können. Zur Erfassung der benötigten Kompetenzprofile wurde ein bottom-up Weg gewählt und mit Hilfe einer Quasi-Delphi Studie konnten 45 Kompetenzprofile formuliert werden. Mit dieser Methode wurde gewährleistet, dass die Situation der Berufsschullehrpersonen wirklich berücksichtigt wird. Die in Zusammenarbeit mit Berufsschullehrpersonen und Experten generierten Kompetenzprofile wurden an einer grösseren Stichprobe von Berufsfachschullehrpersonen und Experten (n= 789) sowohl in der Deutsch- als auch in der Französisch- und Italienischsprachigen Schweiz validiert. Zur Kompetenzmessung wurde eine Methode entwickelt, die auf den beiden bestehenden und breit akzeptierten Ansätzen der Selbst- bzw. Fremdbeurteilung basiert. In deren Erweiterung wurde das so genannt "advokatorische" Verfahren konzeptualisiert, das den Kompetenzstand von Lehrpersonen via Beurteilung einer Drittperson erfasst (Oser et al., 2007). Das angesprochene, advokatorische Verfahren zur Kompetenzdiagnose wurde inhaltlich mit ausgewählten Kompetenzprofilen verbunden und zu einem Diagnoseinstrument ausgebaut. Dessen Kernelement ist eine Filmvignette, die Kompetenzprofil spezifisches Lehrpersonenhandeln in der situativen Einbettung des unterrichtlichen Alltagshandelns zeigt. Die Diagnoseinstrumente mit integrierter Filmvignette und theoretischer Ausarbeitung der wichtigsten Qualitätsdimensionen des jeweiligen Kompetenzprofils können zu mehreren Zwecken genutzt werden. Einerseits wird die Diagnose von Kompetenz möglich, andererseits können die Filmvignetten und somit die Kompetenzprofile in die Aus- und Weiterbildung zur individuellen Entwicklung der Kompetenzprofile implementiert werden. Zusätzlich ist der Einsatz der Diagnoseinstrumente als Selbstdiagnose denkbar. Somit wird ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Qualität an Berufsfachschulen und deren nachhaltigen Sicherung geleistet.
Literatur
Darling-Hammond, L., Wise, A. E., & Klein, S. P. (1999). A License to Teach. Rising Standards für Teaching. San Francisco: Jossey- Bass.
Helsper, W. (2004). Pädagogische Professionalität als Gegenstand des erziehungswissenschaftlichen Diskurses. Einführung in den Thementeil. In: Zeitschrift für Pädagogik 3/2004. S: 303-308.
Allemann-Ghionda, C., & Terhart, E. (2006). Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern: Ausbildung und Beruf. In Zeitschrift für Pädagogik 51. Beiheft, S. 7-11.
Baumert, J. & Kunter, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 4/2006, S. 469-520.
Shulman L., S. (2007) Signature Pedagogies in the Professions. In D. Lemmermöhle, M. Rothgangel, S. Bögeholz, M. Hasselhorn, & R. Watermann, (Hrsg.). Professionell lehren, erfolgreich lernen. Münster: Waxmann. (S. 13-21).
Helmke, A. (2003). Unterrichtsqualität - erfassen, bewerten, verbessern. Seelze: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung.
Heinzer, S., Oser, F. & Salzmann, P. (2009). Zur Genese von Kompetenzprofilen. Lehrerbildung auf dem Prüfstand, 2(1), 28-55.
Oser, F. (2002). Standards in der Lehrerbildung. Entwurf einer Theorie kompetenzbezogener Professionalisierung. Journal für LehrerInnen- und Lehrerbildung 1/2002, S. 8-19.
Oser, F., Curcio G.-P., Düggeli, A. & Kern M. (2006b). Schlussbericht 1. Phase. Professional Minds - Handlungssituationen und Standards für die Berufsausbildenden (6376.1BFS). Universität Fribourg, Schweiz, Unveröffentliches Arbeitspapier. Universität Fribourg.
Oser, F., Curcio, G.-P. & Düggeli, A. (2007). Kompetenzmessung in der Lehrerbildung als Notwendigkeit - Fragen und Zugänge. Beiträge zur Lehrerbildung. Zeitschrift zu Theorie und Praxis der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern 25 (1), 14-26.
Salzmann, P. (2007). Der Standard "fördernde Rückmeldung geben" von Lehrpersonen der Berufsfachschulen. Validierung des Diagnoseinstrumentes zum Standard. Eine Arbeit im Rahmen des Forschungsprojektes "Professional Minds (6376.1BFS) - Handlungssituationen und Standards für die Berufsausbildenden". Unveröffentlichte Lizentiatsarbeit am Pädagogischen Institut der Universität Freiburg (CH).