Kommunikationsräume und Wirtschaftsgebiete der Schweiz - Entwicklungen der letzten zehn Jahre

Ref. 8807

Allgemeine Beschreibung

Periode

2004

Geographischer Raum

-

Zusätzliche geographische Informationen

Schweiz

Kurzbeschreibung

Raumkonzepte spielen in vielen öffentlichen Bereichen eine wichtige Rolle - auch in der Kommunikation. Doch wie alle Räume und Regionen sind auch Kommunikationsräume dynamische Gebilde. Sie verändern sich infolge sozio-demographischer, infrastruktureller und wirtschaftlicher Entwicklungen, und nicht zuletzt beeinflussen Medien und Kommunikation selbst die räumlichen Vorstellungen. 1994 entwickelte Publicom mit einer Finanzierung des Bundesamtes für Kommunikation erstmals ein auf empirischer Basis gründendes Raumkonzept für die Kommunikations- und Medienwirtschaft der Schweiz. Kommunikationsräume sind geographisch abgrenzbare, soziale Räume, die - über topographische und politische Grenzen hinweg - eine innere Einheitlichkeit aufweisen. Diese drückt sich einerseits im Vorhandensein von der Bevölkerung des Raumes gemeinsam genutzten Kommunikationsinfrastrukturen aus, andererseits in einer vergleichsweise homogenen Bedürfnisstruktur, was die raumbezogene Information der Individuen anbelangt. Der Kommunikationsraum entsteht dadurch, dass die Menschen eines Raumes untereinander besonders intensive kommunikative Beziehungen haben. Sowohl in der Medienpolitik (z.B. im Rahmen von Konzessionsentscheiden) als auch in der Kommunikationswirtschaft (z.B. Mediaplanung) kam dieses Konzept zur praktischen Anwendung. Die vorliegende Untersuchung ist eine Aktualisierung aufgrund neuer Daten, insbesondere auch der Ergebnisse der Volkszählung 2000.

Resultate

Alle wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Raumordnungen befassen, kommen zum Schluss, dass Regionen keine statischen Gebilde sind, sondern Resultat eines ständigen Veränderungsprozesses. Dies gilt auch für Kommunikationsräume. Entsprechend ergab die Prüfung der 1994 erstmals ermittelten Kommunikationsräume und Wirtschaftsgebiete für die Schweiz mit aktuellem Datenmaterial eine Raumordnung, die sich innerhalb von zehn Jahren in manchen Aspekten verändert hat: Sechs Kommunikationsräume haben aufgrund der wirtschaftlichen, demographischen und medienspezifischen Entwicklungen ihre Eigenständigkeit eingebüsst. 2004 können neu 65 Kommunikationsräume identifiziert werden. 43 liegen im deutschsprachigen, 15 im welschen, fünf im italienischen und zwei im rätoromanischen Landesteil. Von den ermittelten 20 Wirtschaftsgebieten liegen zwölf in der Deutschschweiz, sechs in der französischen und zwei in der italienischen Schweiz. Sowohl sozio-demographisch als auch kulturell unterscheiden sich diese Räume z.T. erheblich voneinander, ebenso sind sie auch unterschiedlich homogen. Abgeschlossene, kulturell sehr eigenständige Bergregionen mit wenig Einwohnern stehen den dynamisch sich entwickelnden, bevölkerungsstarken und mobilen Räumen des Mittellandes oder des Genferseebeckens gegenüber. Doch so unterschiedlich diese Gebiete sind, ihnen gemeinsam ist, dass sie eine innere Einheitlichkeit aufweisen, die sowohl in der Kommunikations- und Medienpolitik als auch in der Kommunikationspraxis berücksichtigt werden muss. Über die Identifikation der Kommunikationsräume und Wirtschaftsgebiete hinaus zeitigt die Untersuchung aber weitere vielfältige Ergebnisse, etwa zur Entstehung von Regionen, zu sozio-ökonomischen und kulturellen Entwicklungen und zur Entwicklung der Medienlandschaft. Eines der Hauptresultate, welches die Bestimmung der Räume erheblich beeinflusst hat, ist die starke Zunahme der Mobilität. Offenbar konzentrieren sich die Arbeits- und Ausbildungsplätze auf immer weniger Zentren, die einen starken Sog auf die umliegenden Gebiete ausüben. Der Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen begünstigt diese Entwicklung ebenfalls. Einen besonders starken diesbezüglichen Einfluss üben die urbanen Zentren um Zürich, Bern und Lausanne aus. Dass diese Entwicklung einen erheblichen Einfluss auf das Mediensystem ausübt, zeigt sich u.a. am grossen und anhaltenden Erfolg der Pendlerzeitung 20 Minuten. Die Mobilität strukturiert nicht nur die Rezipientenströme neu, auch die Wahrnehmungsmuster der Rezipienten verändern sich unter dem Einfluss ihrer Mobilität. Da die Mobilität in vielen Fällen die herkömmlichen Regionen durchbricht, tun sich die traditionellen regionalen Abonnementszeitungen mit dieser Entwicklung nicht selten schwer. Aber auch mancher regionalen Radiostation, deren Verbreitungsgebiet durch technische und/oder medienpolitische Rahmenbedingungen suboptimal liegt, könnten daraus weitere Probleme erwachsen. Dass Regionen subjektive, dynamische Konstruktionen sind, wurde durch die Befragung der Schlüsselpersonen eindrücklich bestätigt, denn auch die regionale Identität, wesentliche Voraussetzung für die Existenz einer abgrenzbaren Region, ist offenbar veränderbar, dynamisch und vielschichtig. So können sich Individuen durchaus mehreren Regionen zugehörig fühlen, andererseits können Regionen aber auch aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwinden. Eines der diesbezüglichen Ergebnisse ist denn auch, dass die Schweiz in den letzten zehn Jahren grossräumiger geworden ist, aber auch an regionaler Vielfalt eingebüsst hat. Seit 1994 ist nämlich die Zahl der von den Schlüsselpersonen genannten Regionen um 16% zurückgegangen, 49 Regionen sind gänzlich verschwunden. Die Tendenz zur Grossräumigkeit drückt sich aber auch in einer vermehrten subjektiven Zugehörigkeit zu Grossregionen aus. Traditionelle Regionsbegriffe wie 'Nordwest-,' Ost-' oder 'Zentralschweiz' stehen hier an allererster Stelle, während sich transnationale Regionen wie 'Regio TriRhena' oder 'Triangolo Insubrico' als künstliche Konstrukte ohne jegliche Verankerung in der Bevölkerung erweisen. Von den im Zuge der neueren Raumordnungs-Diskussionen ins Spiel gebrachten neuen Regionen verfügt offenbar einzig der 'Bassin Lémanique' über einen gewisse Verankerung im Bewusstsein der Bevölkerung, allerdings vermag diese die traditionellen Regionen (noch) nicht zu überlagern. Was die auch z.T. von Medienunternehmen forcierten bzw. geprägten Regionen des 'Espace Mittelland' und der 'Südostschweiz' anbelangt, ist festzustellen, dass diese zwar die regionalen Identitäten noch kaum prägen, aber dass sie in einzelnen Gebieten immerhin eine gewisse Resonanz finden. Denkbar ist, dass diese Resonanz im Verlaufe der Zeit noch stärker wird, v.a., wenn die jeweiligen Begriffe auch in den Sprachgebrauch anderer gesellschaftlicher Bereiche übergehen. Auch hinsichtlich der Entwicklung der Medien- bzw. Zeitungslandschaft in den letzten zehn Jahren hat die Untersuchung Resultate erbracht. Insgesamt gesehen ist die schweizerische Presselandschaft noch immer sehr vielfältig. Obwohl in diesem Jahrzehnt einige Tageszeitungen verschwunden sind oder ihre Selbständigkeit aufgegeben haben, hat dies auf der Ebene der Kommunikationsräume überraschenderweise nicht zu einem Rückgang der Konkurrenz geführt. Die durchschnittliche Haushaltabdeckung der stärksten Tageszeitung ist nämlich seither zurückgegangen, und zwar selbst in relativ abgeschlossenen Gebieten, in denen ein einziges Medienunternehmen eine monopolartige Stellung aufweist (z.B. Jura, Oberwallis). Ob dies auf eine vermehrte Konkurrenz zwischen Tageszeitungen zurückzuführen ist oder auf den möglichen Umstand, dass das Publikum sich vermehrt über andere Kanäle (Radio, Fernsehen, Internet) informiert, müsste noch näher untersucht werden. Fest steht aber, dass die traditionelle regionale abonnierte Tageszeitung heute eine schwächere Position inne hat als vor zehn Jahren, zumal ja auch ein Bedeutungsverlust im Werbemarkt konstatiert werden muss. Dies und der Erfolg neuer Medien im überregionalen (z.B. Pendlerzeitungen), aber auch im lokalen Bereich (lokale Mikrozeitungen) deutet an, dass das schweizerische Mediensystem, dessen Grundpfeiler lange Zeit die regionalen Tagespresse war, sich in einer tiefgreifenden Umbruchphase befindet.