Motivationssemester - ein Angebot für Jugendliche im Übergang in Berufsbildung und Arbeitsmarkt

Ref. 8731

Allgemeine Beschreibung

Periode

Gegenwart

Geographischer Raum

Zusätzliche geographische Informationen

Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Zürich, Zug

Kurzbeschreibung

Das Projekt wurde im Rahmen des thematischen Schwerpunktes "Übergang von der Schule in die Erwerbsarbeit" am Institut Kinder- und Jugendhilfe entwickelt. Die Untersuchung hat zum Ziel, den aktuellen Stand und die Strukturen der Angebote von Zwischenlösungen im Übergang von der obligatorischen Schule (Sekundarstufe I) in die Sekundarstufe II in verschiedenen Kantonen der Deutschschweiz exemplarisch zu erfassen. Es soll die Sicht von involvierten Akteuren (Behördenvertreter, Fachpersonen aus Angebotsträgern) auf Probleme und Lösungsansätze an verschiedensten Schnittstellen des Systems - z.B. interinstitutionelle Zusammenarbeit der zuständigen Behörden, Koordination der Angebote - erfasst und analysiert werden. Da Jugendliche in Motivationssemestern besonders häufig von Risikofaktoren wie sozialer Benachteiligung, Armut, Migrationshintergrund und niedrigem Schulabschluss betroffen sind und dadurch besondere Schwierigkeiten bei der Berufswahl und Lehrstellensuche haben, wird die Stellung der Motivationssemester im Gesamtsystem besonders betrachtet. Ein weiteres Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, unter Einbezug der Erfahrungen und Einschätzungen der Fachleute an der "Basis", die täglich mit den Jugendlichen arbeiten, deren Problem- und Lebenslagen genauer zu betrachten, die Ursachen und die Bedeutung bestimmter Risikolagen sowie deren Einfluss auf die Umsetzung und Erreichung der Ziele der Motivationssemester aufzuzeigen. Ein weiterer Schwerpunkt auf der Einschätzung der Fachpersonen der künftigen Entwicklung der Problematik von Lehrstellenmangel und Ausbildungslosigkeit. Aus der Beurteilung der Risikolagen, der Identifikation von in Zukunft relevanten Zielgruppen für die Zwischenlösungen sowie den Aussagen über Vor- und Nachteile der gegenwärtigen Ausgestaltung der interinstitutionellen Zusammenarbeit sollen Implikationen für die Praxis in diesem Handlungsfeld abgeleitet werden.

Resultate

Das Übergangssystem befindet sich gegenwärtig in einer Phase der Konsolidierung und die zentralen Anliegen der in den 90er Jahren initiierten Massnahmen zur Verbesserung der Situation lehrstellenloser Jugendlicher sind umgesetzt. Gegenwärtig stehen die Feinabstimmung und Qualitätssicherung der Angebote im Vordergrund. Die Wirksamkeit der verschiedensten Angebote ist in Anbetracht der Tatsache, dass rund zwei Drittel der Jugendlichen eine Anschlusslösung finden, grundsätzlich positiv zu bewerten. Schwierigkeiten zeigen sich beim Zugang und der Koordination und Abgrenzung der verschiedenen Angebote. Um Beliebigkeit beim Zugang zu den verschiedenen Angeboten zu verhindern, ist eine weitere Klärung und kontinuierliche interinstitutionelle Abstimmung hinsichtlich der Positionierung und Ausrichtung der Angebote sinnvoll. In diesem Zusammenhang ist die Schaffung von massnahmeübergreifenden Informations-, Beratungs- und Zuweisungsstellen anzustreben. Darüber hinaus scheint es sinnvoll, Entscheidungen über die Zuweisung von Jugendlichen in bestimmte Programme und Massnahmen grundsätzlich auf eine Bedarfsklärung zu stützen, an der die Jugendlichen angemessen beteiligt werden. Gemäss der Einschätzung der befragten Fachleute fehlt vielen Jugendlichen die Begleitung durch eine erwachsene Person - häufig können die Eltern diese Funktion nicht wahrnehmen. Die Ergebnisse sprechen deshalb für die Gewährleistung einer individuellen Begleitung der Jugendlichen mittels Mentoring und Coaching bzw. durch ein Case Management, wie es in jüngerer Zeit von verschiedenen Seiten gefordert wurde. Im Bezug auf die Jugendlichen wird deutlich, dass die institutionelle Handlungslogik und entsprechende Vorgaben häufig von einem begrenzten Verständnis für die Lebenslagen und Entwicklungsphasen der Jugendlichen geprägt sind. Mit der Einführung von differenzierten und ganzheitlichen Zielvorgaben und Wirksamkeitskriterien würden sich für die Jugendlichen Spielräume öffnen, um Ziele und Schritte individuell festzulegen und insgesamt die Angemessenheit und Wirksamkeit der im Rahmen einer Massnahme oder Begleitung eingesetzten Mittel zu erhöhen. Dies beinhaltete auch einen flexibleren Umgang mit zeitlichen Vorgaben. Die Erfahrungen zeigen, dass für viele Jugendliche aus schwierigen und zerrütteten Familiensituationen oder anderen belastenden Lebensumständen sechs, teilweise sogar zwölf Monate eine zu kurze Zeitspanne sind, um sich zu stabilisieren und orientieren. Mit Besorgnis beobachten hier die befragten Personen die wachsende Anzahl von Jugendlichen mit ausgeprägten psychischen Problemen und stark belasteten und zerrütteten Familiensituationen. Diese Gruppe von Jugendlichen bräuchte eine Form der fachlichen Begleitung, die durch die Motivationssemester allein nicht geleistet werden kann. Da dies den Zuständigkeitsbereich der ALV bei weitem übersteigt, wäre die Planung und Implementierung von Programmen und deren Koordination und Finanzierung als gemeinsame Aufgabe von Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und allenfalls Gesundheitsbehörden (Kinder- und Jugendpsychiatrie) zu sehen. Zukünftig wird von den befragten Expertinnen und Experten erwartet, dass sich mit dem prognostizierten Rückgang der Anzahl Schulabgängerinnen und -abgänger ab 2008 auch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt entspannen wird. Für Jugendliche, die heute aufgrund des konjunkturell bedingten Lehrstellenmangels Schwierigkeiten beim Einstieg in eine Berufsbildung haben, wird es dann wieder einfacher werden, eine Lehr- oder Arbeitsstelle zu finden. Die Funktion der Massnahmen als "Puffer" zwischen Angebot und Nachfrage wird eher an Bedeutung verlieren. Verschiedene Entwicklungstendenzen des Feldes sprechen aber dagegen, dass es in Zukunft weniger Angebote braucht. So werden sich die Jugendlichen weiterhin mit einer grossen Anzahl an Wahlmöglichkeiten und potentiellen Lebensentwürfen auseinandersetzen müssen, was hohe Anforderung an ihre Orientierungs- und Bewältigungsfähigkeiten stellt. Die Zwischenlösungen bieten hier im Rahmen ihrer Orientierungsfunktion den Jugendlichen eine Möglichkeit, eigene Fähigkeiten und Interessen besser auszuloten, um so zu einem fundierten Berufswahlentscheid zu kommen. Die Bedeutung der Kompensationsfunktion der Zwischenlösungen dürfte in Zukunft eher wachsen. Vor allem für schulisch schwächere Jugendliche wird es trotz intensiver Unterstützung und Förderung zunehmend schwieriger, eine Ausbildungsstelle zu finden und die Erwartungen gegenüber der Wirksamkeit im Sinne einer hohen Quote an Anschlusslösungen in der Berufsbildung sind eher herunterzuschrauben. Hier stellt sich generell und dringend die Frage nach Ausbildungs- und Arbeitsplätzen mit niedrigem Anforderungsprofil. Schliesslich sind aber auch die (Neben-)Wirkungen zu berücksichtigen, die sich aus der Institutionalisierung von Zwischenlösungen (möglicherweise entgegen den ursprünglichen Intentionen) ergeben. Die allmähliche Etablierung eines neuen spezialisierten Systems dazu, dass sich alle Beteiligten (Jugendliche, Eltern, Lehrpersonen, Arbeitsmarkt) zunehmend auf diese Option einstellen. Bislang wird noch kaum beachtet, dass sich dadurch eine grundlegende Systemveränderung beinahe durch die Hintertür vollzieht.