Seit der Psychiatrie-Enquete in Deutschland (1975), den aufgedeckten Skandalen der Kastration von Menschen mit geistiger Behinderung (z.B. Basel 1987), den Untersuchungen des Projekts Lebenssituation geistig Behinderter in Psychiatrischen Kliniken (1989, 1990, 1993) und einigen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten aus dem Ausland ist unbestritten, dass Menschen mit geistiger Behinderung auf Dauer keine geeigneten Lebensbedingungen in Psychiatrischen Kliniken vorfinden können. Diese Menschen brauchen in erster Linie heil- und sozialpädagogische Begleitung in einer lebensweltlich organisierten Umgebung.
Zwar hat bereits in den frühen Achtzigerjahren eine vorerst zögerliche aber stetig zunehmende Ausgliederung von geistig behinderten Menschen aus den Psychiatrischen Kliniken begonnen. In der Deutschschweiz konnten so zwischen 1988 und 1997 rund 700 Personen aus den psychiatrischen Abteilungen und Stationen entlassen werden. Diese Ausgliederung weist aber keine einheitlichen Konzepte auf. Je nach Kanton werden unterschiedliche Wege beschritten. Zu oft findet lediglich eine formal-organisatorische "Ausgliederung" in IV-finanzierte Heimbereiche innerhalb des Klinikstandorts statt. Nur selten kann eine Eingliederung langjähriger, geistig behinderter Psychiatriepatienten in das private Angebot der bestehenden Behindertenhilfe umgesetzt werden. Der jeweils gewählte Weg ist für die betroffenen behinderten Menschen jedoch mit schwerwiegenden Konsequenzen für ihre weitere Lebensperspektive verbunden. So droht heute in einigen Kantonen die begonnene Enthospitalisierung zu stagnieren. Mit der definitiven Etablierung der einst als Notlösung oder als erste Stufe einer weiterführenden Eingliederung konzipierten Wohn- und Beschäftigungsstätten in Kliniknähe wird die (Re-)Integration der Betroffenen erneut in Frage gestellt. Es droht die Gefahr einer "Umhospitalisierung". Sollte sich der intramuralen Reform der Enthospitalisierung nicht die extramurale Reform in Richtung einer gemeindenahen dezentralen Grundversorgung anschliessen, droht einem Teil der Erwachsenen mit geistiger Behinderung trotz intensiver Qualitätsentwicklung innerhalb der sozial- und heilpädagogischen Institutionen weiterhin die gesellschaftlich doppelte Ausgrenzung. Mit dem Forschungsprojekt "Wege der Enthospitalisierung von Menschen mit geistiger Behinderung in der Schweiz" wird angestrebt, der angelaufenen Enthospitalisierungsbewegung neue Anstösse zu vermitteln. Mit den gewonnenen Daten soll aufgezeigt werden, wie auch für langzeithospitalisierte Menschen mit geistiger Behinderung menschenwürdige Lebensverhältnisse hergestellt werden können. Das Projekt will zum Abbau bestehender und zur Abwehr drohender Diskriminierung beitragen, so dass trotz finanzieller und qualitativer Auflagen allen geistig behinderten Menschen der Zugang zum heil- und sozialpädagogischen Angebot offen bleibt. Da eine gelingende Enthospitalisierung auf mehreren Ebenen mitgetragen werden muss, umfasst die Untersuchung einerseits die sozialpolitisch-konzeptionellen Voraussetzungen in den ausgewählten Kantonen und andererseits auf der organisationalen Ebene auch die Institutionen, die mit der Begleitung, Betreuung und Pflege von Erwachsenen mit geistiger Behinderung beauftragt sind. Auf der personalen Ebene werden schliesslich die behinderten Personen und ihr Betreuungspersonal in die Erhebung miteinbezogen. Ziel der Untersuchung ist die Sensibilisierung der öffentlichen und privaten Entscheidungsträger für eine weitergehende Enthospitalisierung und Eingliederung aller Menschen mit geistiger Behinderung. Gleichzeitig soll die dauerhafte und flächendeckende Sicherstellung der heil- und sozialpädagogischen Grundversorgung auch für Erwachsene mit geistiger Behinderung und psychosozialen Auffälligkeiten angestrebt werden.