Politische Kommunikation in Schweizer Medien

Ref. 584

Allgemeine Beschreibung

Periode

2.11.92-5.12.92; 7.-12.12.92; 19.10.92-5.12.92

Geographischer Raum

-

Zusätzliche geographische Informationen

Deutschweiz und z.T. Romandie

Kurzbeschreibung

Die Bedeutung der Massenmedien als zentraler Mechanismus bei der Realisierung von Politik scheint offenkundig zu sein. Ungeachtet der Dichte der Beziehungen zwischen dem Politik- und dem Kommunikationssystem ist indes die Analyse politischer Kommunikation in den Disziplinen Politologie und Soziologie randständig und in der Publizistikwissenschaft einseitig auf Medienwirkungen im Kontext von Wahlkommunikation fixiert. Intensiv beleuchteten Zonen des Forschungsfeldes Politische Kommunikation stehen viele wissenschaftlich nach wie vor unerhellte gegenüber. Die Vielfalt entwickelter Bezugsrahmen zum Verhältnis von Politik- und Mediensystem behindert überdies die kumulative Wissensproduktion. Angesichts dieses schwach integrierten Forschungsfeldes und der Tatsache, dass gerade die schweizerische politische Kommunikation erst rudimentär untersucht worden ist, war es das Ziel des Projekts, am exemplarischen Fall der Abstimmung über einen allfälligen Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vom 6. Dezember 1992 die Mediatisierung von Politik empirisch zu untersuchen und auf diese Weise eine Basis für eine sachgerechte Diskussion über das Wirken von Medienkommunikation im politischen Prozess zu schaffen. Den theoretischen Bezugsrahmen für diese grundlagentheoretisch angelegte Studie bildeten dabei Konzepte wie "Öffentlichkeit", "Medienrealität" und "Kommunikationsstrategien", die dann in einem nächsten, konkretisierenden Schritt um das Konzept der journalistischen Produktionsroutine, der Nachrichtenwert-Theorie, des Agenda-Setting-Ansatzes und der Konzepte der symbolischen Politik sowie der Instrumentellen Aktualisierung ergänzt wurden. Folgende Thesen wurden u. a. formuliert: - Journalistische Produktionsroutinen dominieren die schweizerische Zeitungsproduktion sehr stark, aber bei ihrer Praktizierung treten deutliche zeitungstypische Unterschiede zu Tage. Diese folgern in erster Linie daraus, dass die verschiedenen Titel über unterschiedlich grosse Ressourcen verfügen. - Das politische Traktandum EWR-Abstimmung wird von der schweizerischen Presse nur auf wenige Themen gebracht und zudem einseitig auf einen politischen Code reduziert. - Das Selektionsraster der Nachrichtenwerte bestimmt sowohl die Publikationsstrategie der Medien als auch die Selbstdarstellungsstrategie der Repräsentanten politischer Interessen am stärksten. - Politische Meinungsführerschaft wird von den Journalisten weit überwiegend mittels Sekundärtext und externen Zulieferungen angestrebt. - Befürworter wie Gegner der Abstimmungsvorlage unter den Politikern und Journalisten praktizieren die Strategie der Instrumentellen Aktualisierung. - Der Argumentationskultur der schweizerischen Presse eignet insgesamt geringe Tiefenstruktur, wobei aber die Befürworter der Abstimmungsvorlage als Veränderer des politischen Status quo sich zu höherem Argumentationsaufwand verpflichtet sehen als deren Gegner. Überdies galt es bei der Berichterstattung nach dem 6. Dezember abzuklären, wie die Medien und das politische System auf den Ausgang der Abstimmung reagieren und ihn attribuieren. Neben diesen die vollmediatisierte Kommunikation betreffenden Thesen und Fragestellungen sollten auch Merkmale der teilmediatisierten Kommunikation, also der EWR-Inseratekampagne, insbesondere auch die von Gegnern und Befürwortern verfolgten Strategien, herausgearbeitet werden, um so die Gesamtkonstellation mediatisierter Politik in publizistischen Konflikten abzubilden. Die genannten Thesen und Fragestellungen implizierten eine Analyse auf insgesamt vier Ebenen; nämlich jener der Artikel zum Thema EWR, der in den Artikeln genannten Argumente und Attributionen und jener der Inserate zu dieser Abstimmung.

Resultate

Hervorzuheben sind im einzelnen die folgenden Befunde: - Das mögliche Thematisierungsspektrum des Traktandums EWR wird rigoros auf wirtschaftliche Aspekte reduziert oder aber es werden in den Artikeln derart viele thematische Dimensionen angetippt, dass sich kein Hauptthema mehr ermitteln lässt, was von Beliebigkeit der kognitiven Verarbeitung der Vorlage durch die Journalisten zeugt. Sehr häufig, in ca. 1/3 der Beiträge, werden überdies nicht Aspekte des Vertragswerkes thematisiert, sondern die Abstimmung als solche. - Argumentieren meint in den untersuchten 47 Artikeln des Tages-Anzeigers und den 30 Beiträgen von Blick vor allem, Feststellungen zu treffen, die nicht näher begründet werden. Damit werden zwar gegensätzliche Positionen aufgezeigt, die Argumentation bleibt indes meist rudimentär, klärt Zusammenhänge wenig und ermangelt so der Schlüssigkeit. Zitate, oft aus dem Kontext gerissen, auch wenn ihre Urheber benannt werden, bleiben vielfach deutungsoffen. - Diese Einseitigkeit in der Reduktion der thematischen Komplexität der EWR-Vorlage bzw. die geringe thematische Profilierung derselben durch die Presse, dies zusammen mit einer medialen Argumentationskultur, die den Stimmbürgern kaum Konsequenzen ihres möglichen politischen Entscheides schlüssig dartat, führten zu einer Medienkonstruktion des in Frage stehenden Prozesses von Politikherstellung, die offenbar weitgehend abgehoben von den relevanten Dimensionen der Meinungsbildung der Elektoratsmehrheit angesiedelt war. Denn wo in den Medien profiliert thematisiert und argumentiert wurde, dann doch in erster Linie unter ökonomischem Blickwinkel und nicht unter dem viel elementarer perzipierten des Identitätsverlusts. - Das Ereignismanagement von Parteien und andern Organisationen findet seinen klaren Niederschlag in den redaktionellen Beiträgen, wobei sich hier vor allem Nachrichtenagenturen für solche Strategien empfänglich zeigen. - Journalisten verschleiern ihre politischen Intentionen und praktizieren die Strategie der Instrumentellen Aktualisierung: Die politische Meinung wird nicht direkt, sondern über das Zitat fremder Meinungen wiedergegeben, wobei vor allem Personen und Kollektive zu Wort kommen, die die eigene redaktionelle Linie stützen. - Bei der Inseratekampagne schliesslich wird eine unterschiedlich grosse strategische Kompetenz bei Gegnern und Befürwortern deutlich. Dies zeigt sich u. a. darin, dass die Befürworter die Kampagne regelrecht verschliefen und auch nicht zu einer eigenen positiven Argumentationslinie fanden, sondern überwiegend defensiv auf diejenige der Gegner lediglich reagierten. Sie verdoppelten somit defensiv-reaktiv noch den Negativismus der Kontra-Kampagne.