Das Projekt untersucht die Alkoholbewegung aus globalhistorischer Perspektive, die eine Geschichte transnationaler und imperialer Verflechtungen mit komparativen Analysen lokaler Entwicklungen verbindet. Eine solche Art der Beziehungsgeschichte grenzt sich deutlich von früheren welthistorischen Entwürfen ab. In Anlehnung an Debatten im Feld der postcolonial studies wird die wechselseitige Konstitution von Metropolen und Kolonien in imperialen Handlungs- und Diskurszusammenhängen betont. Trotz der asymmetrischen Machtverhältnisse in imperialen Formationen und globalen Strukturzusammenhängen wird besonders nach den Handlungskompetenzen nicht-westlicher Akteure gefragt. Statt unilinearer Diffusionsmodelle rücken transkulturelle Verhandlungen und Verwandlungen, sowie Rückkopplungsprozesse von Wissensflüssen ins Zentrum der Analysen. Dazu gehört auch, sich nicht ausschliesslich auf westliche Quellen zu stützen, sondern möglichst verschiedene Blickwinkel und Erzählungen miteinander zu kontrastieren. Eine relationale Geschichte der Moderne bedeutet jedoch nicht, von einem "methodologischen Nationalismus" - von dem sich die neue Weltgeschichtsschreibung distanziert - in einen "methodologischen Globalismus" zu verfallen. Insofern wird aus globalhistorischer Perspektive die Betonung der strukturierenden Wirkung weltgesellschaftlicher Institutionen durch eine Akteurs- und interaktionszentrierte Analyse vervollständigt. Wie, so die zentrale Frage, ergeben sich aus multiplen, nicht planvoll koordinierten Handlungen von Akteuren in unterschiedlichen Weltregionen komplexe Zusammenhänge?
Komplementär zur Analyse der transnationalen Beziehungsgeflechte arbeitet das Projekt vergleichend: sowohl innerhalb der Teilprojekte als auch zwischen ihnen. Drei Analysedimensionen gelten dabei für alle Untersuchungskontexte:
(a) Durch eine Diskursanalyse der Agenda und Programmatik werden die dominante Ausrichtung der Bewegung bzw. konkurrierende oder parallele Strömungen herausgearbeitet. Wie entscheidend sind biopolitische Diskurse? Zeigen sich Einflüsse von Positivismus und Sozialwissenschaften oder eher evangelikaler Moraldiskurse? Welche Selektions- und Aneignungsprozesse lassen sich ausmachen?
(b) Mobilisierungspotential und Akteurskonstellationen: Wer gründete Antialkoholorganisationen und welche Unterstützung konnten sie mobilisieren? Welche Auseinandersetzungen um race, class, Geschlecht und Nationalität wurden über die "Alkoholfrage" ausgetragen? Welche anderen sozialen Bewegungen durchkreuzen sich im "Kampf gegen den Alkohol"?
(c) Regulierungsregime und Subjektivitätsentwürfe: Wie beziehen sich die zivilgesellschaftlichen Temperenz- und Abstinenzgesellschaften auf den Staat? Wenden sie sich an internationale Institutionen? Wie ist ihr Verhältnis zu Regulierungsregimen und Kontrollmassnahmen, sind sie darin eingebunden? Welche Ideen von (kolonial-oder national-)staatlicher, gesellschaftlicher oder individueller Verantwortung, Freiheit und Zwang liegen den jeweils geforderten oder befürworteten Regelungen zugrunde?
Im Rahmen der Teilprojekte werden neben den eigenständigen Auswertungen Informationen zur Zahl der Organisationen sowie anhand eines knappen Klassifikationsrasters zu deren Ausrichtung, Programmatik und Trägerschaft in einer Datenbank gesammelt. Zudem werden die Kontakte zwischen Organisationen (über reguläre Korrespondenzen, Treffen und Konferenzen) ermittelt. Die so erhobenen Daten sollen im letzten Jahr quantitativ und netzwerkanalytisch ausgewertet werde. So können die Thesen über den Polyzentrismus und die Verschiebung der Ausrichtung der Bewegung sowie Aussagen zu ihrem Mobilisierungspotential geprüft werden.