Für das Hochmittelalter erscheint das Konzept der "Freundschaft" häufig als hoch institutionalisierte und ritualisierte personale Bindung. Dieses Modell erlaubte die Projektion einer Vorstellungswelt des Emotionellen auf den politischen Bereich, sowohl auf verbaler Ebene als auch auf der Handlungsebene. Die vorliegende Studie untersucht die Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung dieses Freundschaftskonzepts (das zur Renaissance hin immer stärker individualisiert wurde) und einer stark personalisierten Wahrnehmung des Politischen. Aufbauen auf einer Analyse des Freundschafts-Diskurses seit der Antike, konzentriert sich die Arbeit auf das Burgund der Valois-Herzöge, das für die vorliegende Fragestellung in seiner räumlich-zeitlichen Situierung exemplarisch ist. Die Analyse des Freundschaftsdiskurses und der ihn begleitenden Gesten körperlicher Nähe basiert in erster Linie auf den Texten der sog. "burgundischen Historiographie" (Chroniken und Memoiren) sowie der bildlichen Umsetzung in Form von Miniaturen, die diesem kulturellen Raum entstammen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zeitgenossen Freundschaft von verwandtschaftlichen Bindungen unterschieden. Sie kann dennoch als "soziale Institution" begriffen werden, da die ihr innewohnenden Verpflichtungen allgemein anerkannt waren. Innerhalb dieses Rahmens wurde ihre "vereinigende Kraft" als emotional basiert gedacht und garantierte damit die verpflichtende Wirkung für die ganze Person. Die Gesten räumlich-körperlicher Nähe, wie der Kuss, die Umarmung, das gemeinsame Schlafen im selben Bett und der gemeinsame Ritt auf demselben Pferd, dienten als äussere Zeichen der emotionalen Disposition und sollten diese zugleich beeinflussen und steuern.