Social change among Sri Lankan Tamil refugees in Switzerland

Ref. 7323

General description

Period

April 2001 - September 2003

Geographical Area

-

Additional Geographical Information​

Schweiz, speziell Raum Bern

Abstract

Switzerland in the 1990s had the largest relative Tamil population in Europe (McDowell 1996: 6). Almost all of its members were refugees from Sri Lanka, and many of them had at that time already stayed for more than fifteen years in this country. Due to the continuation of the civil war in their homeland the Tamils have remained an important refugee group. Yet, in spite of its numerical significance, no research has so far been done on the internal social processes this refugee group has undergone in the context of migration and integration. In fact, the recent programme "Migration and Intercultural Relations" (NFP 39, 1996-2000) of the Swiss National Science Foundation does not contain a single study on Tamils in Switzerland. Moreover, research on Tamil populations in other Western societies has been equally scarce. The proposed study of social change among Swiss Tamil refugees of various caste and class affiliation will thus fill an important gap in the knowledge of this group. Besides, it will con-tribute to the deepening of ethnographic understanding and theory on processes of change in caste society and the influence of other social formations on these developments, on transnational relations, on the impact of migratory contexts on gender relationships, and on the change of social concepts and practices among second generation immigrants. In addition, the study has a clear practical aspect: Knowledge of social processes among Swiss Tamils will help social workers, medical practitioners and lawyers to identify and understand this migrant group's specific social and psychological problems. Study focus The research will concentrate on three Tamil castes respectively classes: On the high-caste Vellalar caste (Hindu) from the Pungudutivu island near Jaffna - mostly early immigrants and in the majority not practically involved in the armed struggle for liberation; on the middle-caste Karaiyar (Roman Catholics), who form the basis of the dominant militant group Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), and who came to Switzerland at a later stage; and on caste-unspecific lowest caste and class immigrants who also immigrated later. This will allow to see, which impact the exile situation has on the social processes among Tamils with varying social, political, economic and religious background. The research will, moreover, particularly focus on women within these groups. The scarce data on Tamil refugees and the aim to understand social processes will necessitate questions concerning caste and class concepts and practices among their first and second generation, social networks, as well as marriage relationships and the status of women.

Results

a) Darstellung der Forschungsarbeiten April 2002 bis September 2003 (Zusammenstellung und Einleitung: Damaris Lüthi) In der Berichtsperiode konnten im verbleibenden Halbjahr der Feldforschung zusätzlich zu den bereits bestehenden sechzig regelmässigen Kontakten Beziehungen zu weiteren, rund dreissig Gewährsleuten aufgebaut werden, - wie zuvor mehrheitlich zu Frauen im Raum Bern. Das angestrebte Ziel, rund hundert Personen zu erfassen, konnte somit knapp erreicht werden. Die Durchführung der Studie erfolgte wie im ersten Jahr (April 2001 bis März 2002; vgl. Zwischenbericht) mittels teilnehmender Beobachtung.Während sich der Zugang zum weiblichen Teil der Flüchtlingsgruppe als unproblematisch erwies, war es nicht möglich, die anvisierte Zielgruppe von drei bestimmten Kastengruppen zu erfassen sowie aus allen kontaktierten Kasten und Klassen eine vergleichbare Anzahl Informantinnen zu gewinnen. Die Mehrzahl der Gewährsleute gehört deshalb der ranghohen VeÀÀÀa-Kaste an, während die Anzahl Gewährsleute der mittelkastigen Karaiyr sowie tieferer Kasten eher gering blieb. Wie hingegen zu erwarten war, etablierten sich vornehmlich Kontakte zu Hindus und nur zu einem kleineren Teil zu den in der Schweiz ebenfalls vertretenen Katholiken und Protestanten. Zusätzlich zu den im Forschungsantrag angekündigten Unterthemen des Schwerpunktthemas "Sozialer Wandel" - darunter "Heirat", "Geschlechterbeziehungen", "soziale Netzwerke" sowie "zweite Generation" -, tauchten während der Erhebung weitere Gebiete mit einer zentralen Bedeutung für die tamilische Diaspora auf, so dass sich ein Einbezug in die Studie aufdrängte: die Religiosität (Lüthi, im Druck; Vögeli, im Druck), gesundheitliche Fragen (Lüthi, in Vorb.b) sowie die Bedeutung des tamilischen Spielfilms und anderer Medien (Lüthi 2002). Weiter wurden statistische Daten zusammengestellt, die im Zusammenhang mit einem Forschungsbericht zu tamilischen Jugendlichen publiziert werden (Fankhauser, im Druck). Die Forscherinnen verfassten während der Berichtsperiode je ein bis zwei weitere, gruppeninterne Zwischenberichte zu Unterthemen ihrer Forschungsbereiche. Ab Oktober 2002 erfolgte die Auswertung der erhobenen Daten. Damaris Lüthi schloss ihre Auswertung Ende September 2003 ab und wird im nächsten halben Jahr zwei Berichte - einen zu Fragen des Wandels der tamilischen Kastengesellschaft in der Diaspora (Lüthi, in Vorb.a), einen zweiten zu zentralen Themen im Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit (Lüthi, in Vorb.b) - als Arbeitsblätter des Instituts für Ethnologie der Universität Bern publizieren. Die Mitarbeiterinnen Marie-Anne Fankhauser und Johanna Vögeli haben die Auswertung ihrer Daten noch nicht abgeschlossen und arbeiten an Dissertationen zu den von ihnen bearbeiteten Themen "zweite Generation" (Fankhauser, in Vorb.) und "Geschlechterbeziehungen" (Vögeli, in Vorb.). Nach Abschluss aller Auswertungen ist eine gemeinsame Publikation der Forschungsergebnisse in Buchform geplant (Lüthi, Fankhauser und Vögeli, in Vorb.). Wichtigste bisherige Resultate Wandel der srilankisch-tamilischen Kastengesellschaft (von Damaris Lüthi) Kastenkriterien sind für die tamilischen Flüchtlinge der ersten Generation im Schweizer Exil weiterhin wirksam. Voraussetzung für die Perpetuierung von Kastendenken und -beziehungen ist die fortwährende Bedeutung konventioneller sozialer Bezüge im privaten Bereich. Die Bande werden sowohl national als auch transnational gepflegt, insbesondere diejenigen innerhalb der Verwandtschaft und Kasten-Untergruppen, - ähnlich wie man dies auch von anderen südasiatischen Migrationsgruppen kennt . Die Kastenordnung wird zwar von allen Gewährsleuten im offiziellen Diskurs als amoralisch abgetan. Deren anhaltende Relevanz manifestiert sich jedoch beispielsweise in der stolzen Zuordnung zur eigenen Kaste, kombiniert mit herablassenden Äusserungen über den tiefen Kastenstatus anderer Landsleute. Dazu kommt, dass sich in einzelnen Bereichen eine Sanskritisierungstendenz abzeichnet, was sich beispielsweise darin ausdrückt, dass manche Angehörige tieferer Kasten die rituellen Dienste von Brahmanen beanspruchen, die in der Heimat den Höherkastigen vorbehalten waren. Dies stärkt die dem Kastendenken zugrunde liegenden, orthodoxen brahmanischen Werte. Insbesondere ist es jedoch die anhaltende Bedeutung der für die Hierarchisierung der Gesellschaft zentralen Reinheitskonzepte im Zusammenhang mit der Menstruation, Geburt, Tod, Ernährung, Beschäftigung und Heirat, die traditionelle soziale Abgrenzungsmechanismen perpetuieren hilft (vgl. Lüthi 1999). Besonders tiefgreifend ist die Tatsache, dass die Kasten- bzw. sogar die Kasten-Subgruppen-Endogamie für die transnationalen Heiratsallianzen fortwährend wichtig ist. Es gibt indessen in der schweizerisch-tamilischen Diaspora auch Bereiche, in welchen sich die Bedeutung des Kastendenkens verringert hat. Dazu gehören die abnehmende Bedeutung der Abgrenzung im Bereich Kommensalität und das schwindende Gewicht des Unreinheitsgrades einer Beschäftigungen für den Kastenstatus. Ganz allgemein erodiert offenbar die Furcht vor äusserer Verunreinigung durch sowohl alltäglichen als auch speziellen Schmutz allmählich. Am eindeutigsten von dauerhaftem Belang sind offenbar die Unreinheitsvorstellungen im Zusammenhang mit der Heirat und der Ernährungsweise. Anscheinend sind demnach vor allem diejenigen traditionellen Abgrenzungen am beständigsten - und somit für das Kastendenken am zentralsten -, welche gemäss orthodoxen brahmanischen Kriterien mit als permanent definierter, physischer Verunreinigung zu tun haben: Kastenendogame Heiratsregeln bewirken, dass der spezifische Reinheitsgrad einer Kaste über die Reproduktion aufrechterhalten bleibt, und die Ernährungsweise in Übereinstimmung mit dem Reinheitsgrad der Kaste verhindert die permanente Verunreinigung durch den regelmässigen Konsum unreiner Nahrungsmittel, beispielsweise bestimmter Fleischsorten. Typisch für das Nachlassen der Furcht vor Verunreinigung durch äusseren Schmutz ist die Lockerung der Kommensalität bezüglich der Nahrungszubereitung: Bestimmte, auch gekochte Nahrungsmittel sowie Wasser werden im Schweizer Exil - ausser denjenigen Esswaren, die nicht zur kastenspezifischen Speisekarte gehören - von verschiedensten Kasten akzeptiert. Weiter spielt die äusserliche Verunreinigung durch die Beschäftigung kaum mehr eine Rolle und sind die Seklusionen nach der ersten Menstruation sowie anschliessend an einen Todesfall verkürzt und mit weniger Restriktionen verbunden. Einzig mit den Gottheiten gelten anscheinend weiterhin sämtliche Unreinheiten als unvereinbar, so dass sowohl Strassenschmutz, als auch uterines Blut oder Leichen, in Schweizer Tempeln oder vor privaten Schreinen nicht toleriert werden. Die andauernde Bedeutung traditioneller sozialer Beziehungen und Denkweisen im Exil steht selbstredend nicht im Einklang mit dem revolutionären Programm der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam), welches auch die Abschaffung der Kasten anstrebt und eine ethnische Definition der Tamilen in den Vordergrund stellt. Die revolutionären Ziele der Befreiungsbewegung stehen indessen ohnedem im Widerspruch zur ebenfalls gepflegten und transnational verbreiteten, kulturalistischen Betonung der Wichtigkeit tamilischer Traditionen und Kultur für einen eigenen Staat Tamil Eelam -Konventionen, die letztlich auch das Kastensystem implizieren (vgl. Fuglerud 1999: 113; Hellmann-Rajanayagam 1986). Was die Klassenzugehörigkeit anbelangt, ist die erste Generation mehrheitlich auf unterster Stufe in der schweizerisch-kapitalistischen Klassengesellschaft proletarisiert. Klassenkriterien wie Bildung, Beschäftigung, Einkommen und Besitz sind auch im Exil zusätzlich zur Kastenzugehörigkeit relevant und sollen sich bei der zweiten Generation auf eine Verbesserung des Status auswirken. Die eindeutig grössere Bedeutung der tatsächlichen Erwerbstätigkeit (vƒlai) und Bildung anstelle der traditionellen Kastenbeschäftigung (toêil) sowie die Wichtigkeit der Zurschaustellung von Wohlstand durch Prestigegüter, religiöses Sponsoring sowie bestimmte, im Exil überdimensionierte Festlichkeiten mögen ein Hinweis auf die verstärkte Bedeutung des Klassenstatus sein. Da indessen Bildung und Wohlstand bereits im kolonialisierten, tamilischen Sri Lanka eine wichtige Rolle spielten, wo sie vor allem dazu beitrugen, die traditionelle Kastenhierarchie zu stützen (vgl. Fuglerud 1999), ist schwierig zu beurteilen, inwiefern die Klassenkriterien die mitgebrachten Kastenkriterien zu konkurrenzieren vermögen. Darin unterscheidet sich die schweizerisch-tamilische Gemeinschaft von anderen südasiatischen Migrationsgruppen (Bhachu 1985: 168; Werbner 1990: 332) und von der Situation im modernen, grossstädtischen Indien , wo Klassenfaktoren den gesellschaftlichen Status von Individuen und Familien offenbar heute stärker zu bestimmen vermögen als die Kastenzugehörigkeit. Geschlechterbeziehungen (von Johanna Vögeli) Die Ambivalenz, welche den Status von tamilischen Frauen in der Heimat prägt, wird in der Schweiz durch den Einfluss von schweizerischen, bzw. exilspezifischen Faktoren vertieft. Tamilische Personen werden mit neuen Konzepten, weiblichen sozialen Rollen und möglichen Handlungstypen wie Gleichberechtigung, Erwerbstätigkeit, ökonomische Unabhängigkeit, voreheliche Beziehungen und Scheidung konfrontiert, was eine Veränderung der traditionellen Geschlechterbeziehungen begünstigt. Weil eine tamilische Familie zum Überleben zwei Löhne braucht, müssen sich tamilische Frauen aus ökonomischer Notwendigkeit auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt integrieren. Eine der wichtigsten Veränderungen in Bezug auf tamilische Geschlechterbeziehungen besteht denn auch in der ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit der Frau, welche in Sri Lanka bei VeÀÀÀa- und anderen aufstrebenden Kasten nicht die Norm ist. Die Einbindung der Frau in den Arbeitsprozess verändert die Haushaltsstrukturen und beeinflusst die traditionellen Machtbeziehungen innerhalb der Familie: So helfen tamilische Männer in der Schweiz vermehrt bei Kinder- und Hausarbeit mit, und der Lohn der Frau gibt dieser eine - zumindest potentielle - Unabhängigkeit, welche sie bei wichtigen familiären Entscheidungen geltend machen kann und ihr persönliches Selbstbewusstsein steigert. Andererseits lässt sich die Tendenz einer Idealisierung traditioneller Konzepte bezüglich Weiblichkeit beobachten. Das in der Sanskrittradition verankerte Ideal der gattentreuen, tugendhaften, leidensfähigen und deshalb moralisch überlegenen Frau hat in der Schweiz ein verstärktes Gewicht, weil es eine neue, zusätzliche Funktion erfüllen muss: Um gegen die durch das Exil bedingte Furcht vor Kulturverlust anzukämpfen, wird ein Frauenbild kultiviert, in welchem sich die Frau als Bewahrerin der tamilischen Kultur und der Familienehre erweist. Im Hinblick darauf haben im schweizerischen Exil traditionelle Konzepte wie Gattentreue, Keuschheit, ±akti und Leidensfähigkeit eine wichtige Bedeutung. Allerdings werden diese Konzepte von etlichen Frauen und Männern auch hinterfragt, kritisiert oder neu definiert. Tendenziell lässt sich die Idealisierung vor allem in höherkastigen Familien beobachten; in mittel- bis niedrigkastigen Familien gewinnen vermehrt auch Werte, Konzepte und Verhaltensweisen der schweizerischen Geschlechterbeziehungen an Bedeutung, weil diese anscheinend nicht so sehr im Widerspruch zu den in diesen Kasten bereits in Sri Lanka üblichen Geschlechterbeziehungen stehen. In Bezug auf Status und Rollen der Frauen existiert meistens eine ideologische Ebene und eine Ebene der Praxis, welche nicht immer übereinstimmen und deshalb unterschieden werden sollten (Buijs 1993: 10). Auch bei Tamilinnen und Tamilen in der Schweiz lässt sich ein großer Widerspruch zwischen Ideal und Praxis erkennen: Geschlechterbeziehungen oder weibliches Verhalten, welche vom Ideal der untergeordneten Frau abweichen , werden im dominanten gesellschaftlichen Diskurs stark tabuisiert und verneint. Der dominante Diskurs, der vorgibt, die traditionellen tamilischen Geschlechterbeziehungen konservieren zu wollen, unterscheidet sich zudem sehr von den versteckten, tabuisierten Praktiken der zweiten Generation. Hinzu kommt, dass der tamilischen Frau in der Schweiz Handlungsweisen abverlangt werden, die dem traditionellen Kodex widersprechen , längerfristig aber nicht verleugnet werden können. Während sich tamilische Frauen also auf ökonomischer Ebene in die schweizerische Gesellschaft integrieren müssen, sollten sie vor allem in den Domänen der Religion, Familie und Heirat die Rolle als Bewahrerinnen der tamilischen Kultur übernehmen und sich von den als unmoralisch geltenden schweizerischen Einflüssen abschirmen. Oft belastet diese Ambivalenz das Eheleben, wo sie zu Rollenkonflikten, Machtkämpfen und Eifersucht führen kann. Die unterschiedlichen Rollenerwartungen müssen von den Frauen deshalb so kombiniert werden, dass keine Zerreissprobe daraus wird. Die erwähnte Ambivalenz ist jedoch nicht einfach auf eine Polarisierung von Tradition versus Entwicklung und Emanzipation zu reduzieren; vielmehr handelt es sich um Prozesse, in welchen traditionelle Frauenrollen fortwirken, sich verändern und auch mit neuen, widersprüchlichen Lebensformen kombiniert werden. Tradition und Wandel, Anpassung und Widerstand wirken somit gleichzeitig; zusammen prägen und verändern sie die Identität und den Status von tamilischen Frauen sowie die Geschlechterbeziehungen in der Schweiz. Gesundheit (von Damaris Lüthi) Es fielen vor allem zwei Aspekte schweizerisch-tamilischer gesundheitlicher Vorstellungen und Verhaltensweisen auf: die Bevorzugung der Schulmedizin - wenngleich der heimatlichen, tamilischen Version - sowie die allgemeine Tendenz, gesundheitliche Themen durch einen kulturellen Filter anzugehen. So spielt beispielsweise die südasiatische Idee des Gleichgewichts, die beispielsweise im Ayurveda/Siddha-Heilsystem zentral ist, in der Laiendiagnose und Krankheitsprävention weiterhin eine wichtige Rolle. Insbesondere das "heiss-kalt" Konzept hat anscheinend auch für die gesundheitliche Wahrnehmung im Schweizer Exil eine integrative Funktion. Da indessen die (schweizerische) Schulmedizin als den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas auf ideale Weise angepasst betrachtet wird, hat die tamilische Bevölkerung im Schweizer Exil nur wenig Vertrauen in srilankische Therapien wie Ayurveda oder Kräutermedizin, obgleich gerade dies die Heilverfahren wären, die solche Gleichgewichtskonzepte berücksichtigen. Die tamilisch-srilankischen Leidenskonzepte und Erwartungen an den klinischen Alltag führen trotz Präferenz der Schulmedizin zu Komplikationen in der Kommunikation zwischen tamilischen Kranken und einheimischem schulmedizinischem Personal, die im Misstrauen gegenüber der Kompetenz der Schweizer Medizin gipfeln. Letztlich wird zwar im schweizerischen Exil die lokal dominante und als nach heimatlichen Kriterien dem Klima angepasste Schulmedizin bevorzugt, indessen hätte man diese gerne in ihrer srilankisch-tamilischen Version. Zweite Generation (Marie-Anne Fankhauser, verfasst von Damaris Lüthi) Was die Haltung der zweiten Generation anbelangt, sind für sie intraethnische Kontakte weiterhin wichtig, speziell für die Mädchen. Die Jugendlichen sind indessen sowohl dem tamilischen als auch dem schweizerischen Wertesystem gegenüber positiv eingestellt und kombinieren beide, wobei in bestimmten Bereichen die tamilischen Normen wichtiger sind - beispielsweise bei der Heirat. Zudem gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede: Die Knaben sind stärker ins schweizerische Wertesystem integriert als die Mädchen, die stark behütet werden. Abweichungen von den tamilischen Regeln werden als Konfliktvermeidungsstrategie nur im Versteckten praktiziert. Auf struktureller Ebene sind Mädchen und Knaben gut integriert, die Mädchen haben jedoch weniger Möglichkeiten, am Leben der Aufnahmegesellschaft teilzunehmen. Integration (von Damaris Lüthi) Die erste Generation der tamilischen Diaspora ist strukturell recht gut integriert, beispielsweise was den Aufenthaltsstatus in der Schweiz, das Gesundheitssystem oder die ökonomische Beschäftigung anbelangt, wo sie auf unterster Stufe im unqualifizierten Sektor des Gastgewerbes, Pflegebereichs und in der Raumpflege eingegliedert sind - wie früher die Gastarbeiter (Wicker 2003: 34). Auch was die äussere Erscheinung betrifft, passen sie sich in der schweizerischen Öffentlichkeit an. Insgesamt strebt die tamilische Bevölkerung der Schweiz die strukturelle Integration an, nicht zuletzt aufgrund der Sicherheit, die sie vermittelt. Sozial und kulturell jedoch grenzen sich die Tamilinnen und Tamilen von der Aufnahmegesellschaft ab. Die dezentrale Unterbringung und ökonomische Teil-Eingliederung der tamilischen Flüchtlinge hat zwar zur Verhinderung einer geographischen Ghetto-Situation geführt d.h. im räumlichen und ökonomischen Sinn eine "Koloniebildung" mit separater Infrastruktur (vgl. Salentin 2002: 9 ff.) verhindert. Die Dezentralisierung entsprach jedoch weder dem sozialen Interesse der tamilischen Bevölkerung - sie schafft es dank ihrer grossen Mobilität, die trennenden Distanzen zu überwinden und ihrem Bedürfnis entsprechend sozial weitgehend unter sich zu bleiben -, noch bewirkte sie die Akkulturation der Gruppe. Die Tamilen konservieren bis zu einem gewissen Grad heimatliche Werte und Konventionen, beispielsweise was das Sozialsystem anbelangt, die Geschlechterbeziehungen, die Religiosität, die Ernährung, die Gesundheit oder auch die Sprache. Wie bei heutigen Migrationen häufig der Fall (Wicker 1998b: 20 ff.), findet also auch bei tamilischen Flüchtlingen in der Schweiz - abgesehen von Einzelpersonen - keineswegs ein Bruch mit der Heimat statt. Die sozio-kulturelle Heimat erfährt vielmehr eine geographische Erweiterung (vgl. Werbner 1990: 336; 1997: 3, 12). Die fehlende Akkulturation hat also weniger mit Ausschliessung und Diskriminierung durch die Gastgesellschaft zu tun, wie dies gelegentlich der Fall ist , sondern die räumliche Ausdehnung geschieht im vorliegenden Fall in eigenem Interesse in einem tendenziell rückwärtsorientierten, konservierenden Sinne, da sie auf der hartnäckigen, letztlich der Flucht zugrunde liegenden Idee basiert, dass die erweiterte Heimat sich schliesslich in einem eigenen Nationalstaat wiederum geographisch konzentrieren müsse. Diese Haltung wird unterstützt durch die Politik der LTTE, die ethno-nationalistisch auf ein heimatliches Tamil Eelam fokussiert ist (vgl. Appadurai 1996: 15), sowie durch die globalisierten bzw. glokalisierten Medien . Es herrscht Angst vor Kulturverlust, welcher vorgebeugt wird, indem die "Kultur" - insbesondere Sprache, Geschichte, Tanz und Religiosität - in speziellen Kursen und Lokalen gepflegt wird - speziell um die nachwachsende Generation einzubinden. Die 'kulturelle Absonderung' (Hoffmann-Nowotny 1992) hat indessen eine Art natürliche biologische Grenze, gilt sie doch offenbar vor allem für die erste Generation (vgl. oben, M.-A. Fankhauser). Zitierte Literatur Appadurai, Arjun. Modernity at Large. Cultural Dimensions of Globalization, Minneapolis/London: University of Minnesota Press, 1996. Ballard, Roger. "Migration and kinship: the differential effect of marriage rules on the processes of Punjabi migration to Britain". In Clarke, Colin, Ceri Peach and Steven Vertovec (eds.), South Asians Overseas. Migration and ethnicity. Cambridge University Press, 1990: 219-49. Baumann, Martin, 2000, Migration, Religion, Integration. Buddhistische Vietnamesen und hinduistische Tamilen in Deutschland, Marburg: diagonal. Béteille, André. "Caste in Contemporary India". In C. J. Fuller (ed.), Caste Today. Oxford University Press, 1996. Bhachu, Parminder. Twice Migrants. East African Sikh Settlers in Britain. London: Tavistock, 1985. Buijs, Gina. 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