Die Globalisierung der Marktgesellschaft am Ende des grossen Systemgegensatzes und die Machtverschiebungen in der Triade schlugen bis heute die Zeitbeobachter in Bann. Daneben bedürfen die sich eher graduell vollziehenden Strukturwandlungen im Entwicklungssystem der Nachkriegsära gleichfalls erneuter Reflexion. Drei herausfordernde Phänomene nimmt das Projekt zum Ausgangspunkt:
- die fortgesetzte Marginalisierung des Grossteils von dem, was einmal "Dritte Welt" hiess,
- die sich zivilisatorisch sogar rückwärts entwickelnde "Vierte Welt" und
- die aufstrebenden Teile der Semiperipherie, von denen sich mindestens schon zwei Flächenstaaten (Südkorea, Taiwan) angeschickt haben, Merkmale von Zentrumsgesellschaften zu erwerben.
Der von der Dependencia beeinflusste Weltsystemansatz und die Modernisierungstheorien versagen offenbar bei der Erklärung, denn die antipodischen Hauptströmungen der Entwicklungstheorie können jeweils nur einen Teil der Phänomene erklären. Der Dependencia-Weltsystemansatz bringt Argumente vor, die zwar die fortgesetzte Marginalisierung erklären können, kaum aber Rückwärtsentwicklung der nicht einmal unbedingt abhängigsten Gesellschaften und nicht den Aufstieg ins Zentrum. Die Modernisierungstheorien versagen ebenfalls bei zwei der drei Phänomene.
Der Wettbewerb von staatlich generierter Ordnungsleistung und Protektion ist der Ausgangspunkt für den neuen Theorievorschlag. Durch diesen Mechanismus werden Institutionen selegiert, die Kapitalverwertung und Güterangebot mit Legitimität und Anrechten in Kompromissbeziehung bringen. Warum dieser Mechanismus, der offensichtlich den historischen Erfolg des Kapitalismus, die Bändigung des Staates und sozialen Ausgleich im Zentrum hervorgebracht hat, ausserhalb desselben in der Regel nicht funktionierte, wird im Projekt Gegenstand. Rohstoffrenten, Drohrenten im Ost-West-Gegensatz und Mitleidsrenten ("Entwicklungshilfe" zuhanden der Elite) erlaubten den Machthabern, sich selbst privilegierende und unproduktive Staatsklassen zu bleiben, die den Weg nachholender Entwicklung versperrten. Die bisherigen Ausnahmen erfolgreicher nachholender Industrialisierung in der rohstoffarmen Semiperipherie zeigen, dass die genannten Blockierungen nicht vorhanden und damit wichtige Randbedingungen des Dependencia-Modells nicht erfüllt waren. Beispiele erfolgreicher nachholender Industrialisierung blieben in der Nachkriegsära Ausnahmen. Zukünftig dürfte es erheblich mehr Fälle geben, und zwar aus Gründen eines systemischen Wandels. Das Ende des Ost-West-Gegensatzes kappt die angesprochenen Drohrenten. Der neue technologische Stil führt in eine Informationswirtschaft, die den strategischen Wert von Rohstoffen zurückbindet. Die mit ihm verbundene intensivierte Stufe der Globalisierung führt zu mehr Wettbewerb um Industriestandorte, deren konkurrenzfähige Qualitäten erst politisch und sozial mit entsprechenden institutionellen Arrangements geschaffen werden müssen.