In den Jahren 1978-1986 hat das Basler Schularztamt eine Gruppe von Basler Kindern vom Alter von 5 bis zum Alter von 14 Jahren in ihrer schulischen und persönlichen Entwicklung begleitet. Unter ihnen befand sich auch eine beträchtliche Gruppe von italienischen Gastarbeiterkindern. Ihr Weg durch die Schule und ihre besonderen Schwierigkeiten werden hier dargestellt.
Die siebziger und die frühen achziger Jahre waren durch starke Fluktuationen in der Zahl der Gastarbeiter und durch heftige politische Kämpfe um eine Begrenzung der Ausländerzahl und der Einwanderung gekennzeichnet. Die Einstellung des Gastlandes Schweiz zu Gruppen aus anderen Kulturen, welche wenig geschätzte Arbeiten übernehmen, ist bis heute uneindeutig geblieben. Auf der andern Seite und damit in Zusammenhang ist aber auch die Einstellung der Gastarbeiter zum Gastland uneindeutig; die Rückkehr wird oft geplant, aber immer wieder hinausgeschoben, so dass ein langjähriges Provisorium resultiert. Dieses Provisorium verhindert unter anderem in vielen Fällen, dass Gastarbeiter die Sprache des Gastlandes erwerben. Damit verschlechtert sich die Aussicht der Kinder auf eine adäquate Schulbildung. Die Situation erscheint umso unangemessener, als italienische Gastarbeiter aus einem Nachbarland stammen und ihre Sprache eine der Landessprachen ist. Sie entwickeln sich allmählich zu einer Elite von Gastarbeitern, welche ihrerseits von andern, aus entfernteren Kulturen stammenden Gruppen (Jugoslawen, Türken) unterschichtet wird.
Gastarbeiterkinder sind an Schweizer Schulen unter den Repetenten und unter den Sonderschülern stark übervertreten. Die vorliegenden Darstellung, welche Teilresultate aus der Längsschnittuntersuchung des Basler Schularztamtes veröffentlicht, möchte zeigen, "wo der Schuh drückt" – nämlich im sprachlichen Bereich, und zwar auch bei Kindern, welche in der Schweiz geboren worden sind und welche, wie wir nachweisen werden, in mancher Hinsicht unter günstigeren Bedingungen leben als Schweizerkinder ähnlicher Herkunft.
Unsere Untersuchung umfasst also eine Gruppe von Kindern zu mehreren Zeitpunkten in ihrer Entwicklung, das heisst im Längsschnitt. Längsschnittuntersuchungen sind mit besonderen Problemen verbunden und führen zu besonderen Einsichten. Das grösste Problem sind die Ausfälle: Familien ziehen weg, Eltern werden misstrauisch. Diese Verluste schränken die Aussagekraft einer Untersuchung ein. Oft wünscht man auch bei der zweiten oder dritten Untersuchung, man hätte bei der ersten anders oder mit andern Methoden untersucht, weil sich unerwartete neu Fragen stellen.
Die besonderen Resultate von Längsschnittuntersuchungen bestehen darin, dass sie Entwicklungen aufzeigen können. Wie wandelt sich bei Ausländerkindern die Fähigkeit zum Umgang mit der Hochsprache? Wie hängt die intelektuelle und sprachliche Entwicklung von Ausländerkindern mit ihrem Schulerfolg zusammen? Kann die Schule Unterschiede des Herkommens – die sich schon bei den Fünfjärigen bemerkbar machen – ausgleichen? Oder vertieft und zementiert sie vorbestehende Unterschiede? Gehen Knaben und Mädchen unterschiedliche Wege in ihrer Anpassung an die Schule? Welche Rolle spielt dabei die Nationalität, hier verstanden als das Aufwachsen im Kontext mit verschiedenen Sprachen?
Wir wissen, dass auch heute, trotz der vielen Bildungsangebote für Erwachsene, die Schule den grössten Einfluss auf die spätere Stellung eines Menschen in der Gesellschaft ausübt. Die Längsschnittstudie gibt Hinweise darauf, wie sie Einfluss nimmt, wo die Grenzen des Einflusses der Schule liegen und wie allenfalls, sofern der politische Wille dazu vorhanden ist, die Situation fremdsprachiger Gastarbeiterkinder verbessert werden kann.