Nutzen niedrigschwelliger Drogenarbeit am Beispiel der Stadt Zürich

Ref. 1915

General description

Period

Grundsätzlich aktueller Zeitraum.

Geographical Area

-

Additional Geographical Information​

Stadt Zürich

Abstract

Seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurden in Zürich diverse Projekte niedrigschwelliger, nicht abstinenzorientierter Drogenhilfe durch private und öffentliche Trägerschaften eingerichtet. Das Angebot umfasst die Bereiche Wohnen, Arbeit, Gesundheit und Tagesstruktur. Zusätzlich - zum Teil in die Einrichtungen integriert -, existiert ein weitgefächertes Beratungsangebot. Das Projekt setzt sich zum Ziel, das heterogene Angebot aus der Perspektive der BenutzerInnen zu untersuchen. In diesem Sinn wird der Hauptakzent der Fragestellung auf die Dimension der Harm-Reduction (individuelle Ebene) gelegt. Es werden die folgenden Fragestellungen ausdifferenziert: Wer benutzt niedrigschwellige Angebote der Drogenarbeit? Wie unterscheidet sich dieser BenutzerInnenkreis von der Klientel stationärer Therapieeinrichtungen? Welche Rollen übernehmen die niedrigschwelligen Überlebens- und Lebenshilfeprojekte in der Lebenslaufentwicklung der KonsumentInnen? Welchen Auswirkungen hat die Benutzung der niedrigschwelligen Überlebens- bzw. Lebenshilfe auf die Entwicklung des Drogenkonsums? Welchen gesellschaftlichen Unterstützungen und Widerständen erfahren niedrigschwellige Projekte? Während der Dauer eines Betriebstages wurden die BenutzerInnen aller niedrigschwellig strukturierten Drogeneinrichtungen, -programme und -projekte auf dem Platz Zürich mit einem kurzen, standardisierten Frageblatt erhoben (standardisierte Querschnittbefragung/Vollerhebung). Neben der Beschreibung des BenutzerInnenprofils diente dies zur möglichst repräsentativen Rekrutierung eines Samples von BenutzerInnen, welches in einem zeitlichen Abstand von mindestens sechs Monaten zweimal interviewt wurde (standardisierte Längsschnittstudie/Panel). Die ausführliche Befragung deckte diverse Lebensbereiche (Wohnen, Arbeit/Tätigkeit, Finanzen, Freizeit/Tagesstruktur, soziale Vernetzung, Gesundheit, Legalverhalten), die Benutzung des niedrigschwelligen Angebotes sowie drogen- und konsumspezifische Daten ab. Parallel zu den standardisierten Interviews wurden mit kontrastiv ausgewählten Fällen halboffene, biographisch orientierte Interviews durchgeführt, die Einblick in die Lebenswelten von Personen gewähren, welche auf unterschiedliche Art und Weise auf die Bereitstellung professioneller Hilfe angewiesen sind. Die Auswahl der InterviewpartnerInnen erfolgte nach den Methoden des theoretical sampling unter Bezugnahme auf das Datenmaterial der Panelbefragung. Zusätzlich wurden zwei Fragestellungen in Form von Exkursen bearbeitet: a) Die Daten der ersten Panelwelle wurden mittels statistischer Verfahren mit solchen aus der Eintrittsbefragung von BenutzerInnen höherschwelliger Therapieeinrichtungen verglichen. Diese Kontrastierung dient der Überprüfung der Hypothese, wonach niedrigschwellige Drogenarbeit durch Differenzierung von Angebot und Zugang möglichst mit bisher unerreichten KonsumentInnen in Kontakt kommt und ergänzend zur höherschwelligen Drogenarbeit Bedürfnisse und Defizite abdeckt. b) Anhand einer Fallstudie wurde ein Perspektivenwechsel vollzogen: In der Rekonstruktion der Geschichte einer Kontakt- und Anlaufstelle stand die Sicht des gesellschaftlichen Umfelds im Zentrum. Es wurde analysiert, welche Konflikte rund um die Implementierung dieser Einrichtung entstanden sind, welche politischen und sozialen Zusammenhänge die Rahmung des Konfliktverlaufs bildeten, welche Lösungsstrategien erprobt wurden und welche spezifische Konstellation schliesslich die erfolgreiche Integration der Kontakt- und Anlaufstelle ins Quartier ermöglichte. Zu diesem Zweck wurden themenzentrierte Interviews mit politischen EntscheidungsträgerInnen, zuständigen Personen der Kontakt- und Anlaufstelle sowie Quartier- und GewerbevertreterInnen durchgeführt, welche inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Das Ziel der Fallstudie war es, das Typische an diesem Einzelfall herauszuarbeiten.

Results

BenutzerInnen des niedrigschwelligen Angebotes sind älter als die Klientel stationärer Therapieeinrichtungen und weisen eine signifikant längere Konsumkarriere und häufiger Erfahrungen mit Abgabeprogrammen (Methadonsubstitution, Heroinverschreibung) auf. Weibliche Klientinnen stationärer Therapieeinrichtungen weisen zudem eine höhere berufliche Qualifizierung auf. Im weitern ist die Klientel stationärer Therapieeinrichtungen in den Lebensbereichen Arbeit, Finanzen, Wohnen (nur Frauen) und soziale Vernetzung (nur Männer) signifikant schlechter integriert. Rund zwei Drittel der BenutzerInnen niedrigschwelliger Angebote weisen bereits Erfahrungen mit stationären Einrichtungen auf. Sowohl in den einzelnen Lebensbereichen (Wohnen, Arbeit, Finanzen, soziale Vernetzung) wie bezüglich drogen- und konsumspezifischer Merkmale sind hohe Veränderungsraten beobachtbar, wobei individuelle Veränderungen in mehreren Bereichen unterschiedlich gerichtet sein können. Veränderungen auf aggregierter Sampleebene korrelieren lediglich zwischen Finanzen und Konsumhäufigkeit signifikant. Aus der kontrastierenden Analyse emergierten vier Handlungs- und Benutzungstypen von BenutzerInnen niedrigschwelliger Angebote. Hiervon weisen drei Typen unterschiedlich strukturierte günstige Passungsverhältnisse zur niedrigschwelligen Drogenarbeit auf. Beim vierten Typus ist eine längere Benutzung des Angebotes kontraindiziert; der Nutzen des Angebotes ist hier auf die motivationsfördernde Triage zu alternativen Unterstützungshilfen reduziert. Der frühe Einbezug oppositioneller und skeptischer lokaler Machteliten erleichtert eine differenzierte Informationspolitik. Hierdurch lässt sich ein genügend breiter Rahmen definieren, um die komplexe und scheinbar widersprüchliche Thematik aktiv vorurteils- und angstreduzierend zu gestalten. Das niedrigschwellige Angebot bietet demzufolge nicht nur die Möglichkeit erster Unterstützungskontakte, sondern ist auch im weiteren Verlauf der wechselhaften Lebensphasen Drogenkonsumierender von vielfältiger Bedeutung, da es wichtige Ergänzungen zum etablierten Hilfsangebot wahrnimmt.