Banken und Anlagegesellschaften kennen - mit den Kirchen beispielsweise - schon lange einen Kundenkreis, der Anlageentscheidungen nicht allein nach Rendite- und Risikogesichtspunkten trifft. Solche prinzipiengeleiteten Investitionen wurden bislang meist nach einfachen Ausschlussregeln getroffen, wie z.B.: "keine Waffenhersteller". Prinzipiengeleitet sind die Anlageentscheidungen insofern, als sie ausserökonomischen Prinzipien Vorrang geben. Somit wird nicht allein eine möglichst sichere Kapitalvermehrung angestrebt, sondern es spielen ethische, also an Verallgemeinerungsfähigkeit orientierte Argumente im Hinblick auf Gerechtigkeit oder das gute Leben eine ausdrückliche, nicht nur implizite Rolle. Inzwischen scheinen sich über jenen klassischen Anlegerkreis hinaus immer neue Kreise für Möglichkeiten zu interessieren, Kapitalanlagen ethikbewusst auswählen zu können. Neuerdings sind es in der Schweiz vor allem die Pensionskassen, die als institutionelle Anleger nach ethischen Geldanlagen fragen und damit gerade eine lebhafte Diskussion vor allem in den Unternehmensleitungen der Banken und Anlagegesellschaften entfacht haben - im IWE treffen plötzlich regelmässig Anfragen auf Mitgliedschaft in "ethischen Bewertungsgremien" ein. Diese Diskussion muss vor allem der Notwendigkeit einer umfassenden Bewertung Rechnung tragen: Einfache Ausschlusskriterien reichen nicht aus. Die Verantwortlichen im Finanzsektor, die nun die Auswahl von Investitionsobjekten nach prinzipiengeleiteten Gesichtspunkten begründen sollen, sehen sich damit vor ungewohnte Fragen gestellt. Welche Wertvorstellungen der Kunden sind überhaupt als legitim anzusehen und sollen mit in die Anlageentscheidungen einfliessen? Wenn schon in den Unternehmen, in die investiert werden kann, kaum Strukturen und Prozesse für die Bearbeitung ethischer Problemstellungen anzutreffen sind, wie sollen dann die Banken und Anlagegesellschaften als Aussenstehende prinzipiengeleitete Investitionen vornehmen können? Und überhaupt: was können denn solche Prinzipien sein, nach denen die Anlageentscheidungen zu treffen sind? Bislang wähnte man sich im Finanzsektor in der Regel in einem Bereich, in dem man "wertfreie", "reine" Finanztransaktionen organisierte - für normative Fragen hielt man die mittelverwendenden Unternehmen für zuständig, so dass man nun von der Nachfrage nach "ethischen Anlagen" gänzlich unvorbereitet getroffen wird. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, denn der Glaube an die Möglichkeit "wertfreier" wirtschaftlicher Betätigung herrscht nicht nur im Finanzsektor vor. Fragen einer neuen Qualität kommen auf alle Wirtschaftsakteure insofern zu, als die weltweit fast schrankenlose Mobilität des Kapitals nationale ordnungspolitische Mechanismen versagen lässt. Es bestehen für die Unternehmen kaum noch vernünftige Möglichkeiten, ethische Fragen allein an eine entsprechende Rahmenordnung zu verweisen und innerhalb dieser "rein wirtschaftliche" Entscheidungen zu treffen. Vielmehr ist der Primat der Politik vor dem Markt nun vermehrt innerhalb der Geschäftstätigkeit zu bedenken. Darin ist letztlich die Ursache für die vielerorts zu beobachtende Überforderung durch die Nachfrage nach "ethischen Anlagen" zu sehen. Mit einer vorschnell zusammengestellten "ethischen" Kriterienliste für den Anlageentscheid, die sich nach der empirisch erhebbaren, faktischen Akzeptanz in der Gesellschaft richtet, ist es nicht getan - auch wenn in der Praxis aus dem aktuellen Bedarf heraus ein solches Vorgehen verbreitet und verständlich ist. Derartige Kriterienkataloge müssen ohne die nötige Grundlagenreflexion im "luftleeren" Raum stehen, weil keine verallgemeinerungsfähigen Argumente über ihre mehr oder weniger gegebene faktische Akzeptanz hinausweisen. Legitimitätsfragen können nicht auf strategische Akzeptanzsicherung verkürzt werden, bei der die kritische Öffentlichkeit nur als - mehr oder weniger lästiger - Einflussfaktor wahrgenommen wird. "Ethische Anlagen" sind denkbar nur mit einem Verständnis von Unternehmen als einer gesellschaftlichen Institution, welche sich vor einer kritischen Öffentlichkeit verantwortet und diese als den prinzipiellen Ort der argumentativen Klärung normativer Geltungsansprüche und der Legitimation unternehmerischen Handelns in einer modernen, freiheitlichen Gesellschaft versteht (vgl. Forschungspolitik BWA, Schwerpunkt "Management und Gesellschaft"). Angesichts der beobachtbaren Überforderung mit "ethischen Anlageentscheidungen" erscheint es dringend notwendig, auf Basis der wirtschaftsethischen Kompetenz des Instituts einen grundlegenden Orientierungsrahmen zu erarbeiten, der einen spezifisch wissenschaftlichen Beitrag zu einer aktuellen wirtschaftsethischen Fragestellung darstellt. Die durch das IWE jahrelang durchgeführte Grundlagenarbeit soll in diesem Projekt in praktischer Form Früchte tragen.
Forschungsziel: Angesichts der bereits zu verzeichnenden und in grösserem Umfang noch zu erwartenden Angebote auf dem Gebiet "prinzipiengeleiteter Anlagen" ist es das Ziel des Forschungsprojektes, mit einer wissenschaftlich erarbeiteten Konzeption auf der Basis einer modernen Wirtschaftsethik den Praktiker bei der Evaluation der Anlageobjekte zu unterstützen. Diese Zielsetzung ist eine doppelte:
- Systematische Analyse: Zum einen ist der Status quo im Bereich ethikbewusster Anlageformen zu erfassen. Diese systematische Analyse und kritische Beurteilung wird vor dem Hintergrund der Hypothese bearbeitet, dass der Ist-Zustand durch Kriterienkataloge mit unklarer Begründungsbasis geprägt ist.
- Entwicklung eines Orientierungsrahmens: Zum anderen soll durch eine kritische Reflexion auf die Grundlagen verantwortungsvollen Investierens ein handlungsleitender Orientierungsrahmen entwickelt werden, der sich auf die Basis eines postkonventionellen Ethikverständisses stützt und daher prozedurale statt konkretistische, gesamtkonzeptionsorientierte statt partikularistische sowie diskursive statt technokratische Momente beinhaltet.
Die systematische Analyse und Beurteilung des Status quo umfasst im einzelnen die Zusammenstellung der im Markt bestehenden ethischen Anlageformen, z.B. Investmentfonds, und der Institutionen, die sich diese Thematik zur Aufgabe gemacht haben. Desweiteren ist zu klären: Wie werden die Investitionsobjekte beurteilt? Welche Beurteilungsmethoden gibt es am Markt? Welche Konzeption von Ethik liegt dieser Beurteilung jeweils zugrunde? Sind die Konzepte aus wirtschaftsethischer Sicht tragfähig? Wo liegen die typischen konzeptionellen Defizite, die es aufzuzeigen und zu überwinden gilt?
Der Orientierungsrahmen, der Finanzexperten bei der Evaluation verantwortbarer Geldanlagen unterstützen soll, umfasst die Vermittlung von notwendigem theoretischen Wissen und klaren Begriffen, eine Systematisierung der Problemstellung, Methoden zur selbständigen Grundlagenreflexion und eine Berücksichtigung der pädagogischen Umsetzbarkeit. Was heute meistens ohne hinreichend reflektierte Fundierung formuliert wird, steht hier am Ende: Mit Hilfe des Orientierungsrahmens (und damit auch immer nur vorläufig: fortlaufender Diskurs) kann ein tragfähiger Kriterienkatalog für konkrete Anlageentscheidungen formuliert werden.