Lehrerinnen- und Lehrertraining "Persönlichkeitsfördernder Sportunterricht"

Ref. 12631

General description

Period

12/2015 - 12/2018

Geographical Area

Additional Geographical Information​

Deutschschweiz

Abstract

Die Förderung des Persönlichkeitsentwicklung stellt ein wichtiges Ziel des Sportunterrichts dar (z.B. EDK, 2005, S. 1). Dies widerspiegelt sich auch im Lehrplan 21, welcher für das Fach Be-wegung und Sport auf Volksschulstufe als Zielorientierung diverse Kompetenzen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und insbesondere des Selbstkonzepts beinhaltet (D-EDK, 2015). Dass es im Sportunterricht möglich ist, das Selbstkonzept von Schülerinnen und Schülern mittels spezifischer didaktisch-methodischer Inszenierungsformen zu fördern, wurde u.a. in der Berner Interventionsstudie Schulsport belegt (BISS; Conzelmann, Schmidt & Valkanover, 2011, S. 220). Allerdings zeigen die Ergebnisse aus BISS auch auf, dass eine zweimal halbtägige Instruktion im Rahmen von Workshops nicht ausreichte, um die Lehrpersonen zu einer langfristigen selbstkonzeptfördernden Sportunterrichtsinszenierung anzuleiten: Die Lehrpersonen haben nach der Intervention „die durch die Intervention vorgegebene Inszenierungs-form … nicht weiter verfolgt“ (Conzelmann et al., 2011, S. 216). Daraus lässt sich folgern, dass Lehrpersonen für eine nachhaltige Umsetzung einer selbstkonzeptfördernden Unterrichtsinszenierung über in vertiefter Auseinandersetzung mit der Thematik erworbene Handlungskompetenz verfügen müssen. Bis anhin existieren jedoch kaum Bestrebungen in der Lehrpersonenaus- und -weiterbildung, um den Erwerb von Handlungskompetenz im Sportunterricht hinsichtlich einer selbstkonzeptfördernden Unterrichtsinszenierung zu fördern. Diese Lücke können Lehrertrainings schliessen: Die Handlungskompetenz und das Verhalten von Lehrpersonen lassen sich mittels spezifischer Lehrertrainings erhöhen bzw. verändern (z. B. Hertel, Pickl & Schmitz, 2008). Vor diesem Hintergrund wird in der geplanten Studie ein Lehrertraining zu persönlichkeitsförderndem Sportunterricht auf der Volksschulstufe entwickelt und durchgeführt. Dieses besteht aus fünf Modulen à jeweils 3-4 Lektionen, welche verteilt über mehrere Wochen stattfinden. Im Training erlernen die Lehrpersonen die didaktisch-methodischen Kenntnisse und Fertigkeiten eines selbstkonzeptfördernden Sportunterrichts und werden an eine entsprechende nachhaltige Unterrichtsinszenierung herangeführt. Dabei wird mittels quasi-experimenteller Evaluation (längsschnittliche Versuchs- und Vergleichsgruppenanordnung) untersucht, ob das Lehrertraining zu einer nachhaltigen selbstkonzeptfördernden Inszenierung des Sportunterrichts durch die Lehrperson und zu entsprechenden Wirkungen auf das Selbstkonzept der Schülerinnen und Schülern führt.

Results

Die Förderung des Selbstkonzepts stellt ein zentrales Ziel des Sportunterrichts dar (vgl. Lehrplan 21; D-EDK, 2015). Positive Effekte auf das Selbstkonzept lassen sich insbesondere durch individualisierten und reflexiven Sportunterricht sowie durch selbstkonzeptförderliches Feedback erreichen (vgl. Conzelmann et al., 2011; Ruploh et al., 2013). Um eine derartige Sportunterrichtsinszenierung umzusetzen, benötigen Lehrpersonen spezifische Einstellungen und Kompetenzen, welche sich in Lehrertrainings vermitteln und erwerben lassen (Hertel et al., 2008; Lander et al., 2017). Vor diesem Hintergrund wurde ein spezifisches Lehrertraining namens „Wie ich Kinder im Bewegungs- und Sportunterricht ,stark‘ mache“ konzipiert und mit verschiedenen Gruppen deutschsprachiger Lehrpersonen durchgeführt. Es wurde mittels eines quasi-experimentellen Studiendesigns und in Anlehnung an das Evaluationsmodell nach Kirkpatrick und Kirkpatrick (2006) untersucht, ob die am Training teilnehmenden Lehrpersonen die für selbstkonzeptfördernden Sportunterricht notwendigen Einstellungen erwerben, ob sie sich das dazu notwendige Wissen aneignen, ob sie vermehrt selbstkonzeptfördernd unterrichten und zentrale Prinzipien eines derartigen Unterrichts anwenden können, sowie abschliessend, ob der selbstkonzeptfördernde Sportunterricht einen positiven Einfluss auf die Selbstkonzeptentwicklung der Schülerinnen und Schüler hat. Unmittelbar nach dem Training zeigten sich auf Ebene der Einstellungen der Lehrpersonen in der Tendenz positive Effekte zu Gunsten der Versuchsgruppe, wobei lediglich der Effekt bei der Selbstwirksamkeit statistisch signifikant ausfällt. Drei Monate nach Beendigung des Trainings zeigte sich allerdings, dass die Lehrpersonen, welche das Training absolviert haben, die Zielsetzung der Persönlichkeitsförderung im Sportunterricht im Vergleich zur Kontrollgruppe wichtiger einschätzten. Bezüglich der zweiten Ebene des Evaluationsmodells von Kirkpatrick und Kirkpatrick (2006), der Ebene des Wissens, trat unmittelbar nach dem Training ein starker Effekt zu Gunsten der Versuchsgruppe auf. Dieser Effekt fällt drei Monate nach Beendigung des Trainings schwächer aus und bleibt lediglich deskriptiv in der Tendenz erhalten. Ob sich das Lehretraining positiv auf das Handeln der Lehrpersonen bzw. deren Unterrichtsinszenierung auswirkt, wurde anhand von Unterrichtsbeobachtungen sowie aus der selbsteingeschätzten Perspektive der Lehrpersonen und deren Schülerinnen und Schülern analysiert. Bei der reflexiven Unterrichtsinszenierung zeigte sich konsistent aus allen Perspektiven ein positiver Effekt des Trainings. Dieser Befund wird als starker Hinweis für einen positiven Effekt des Trainings auf die Umsetzung eines reflexiven Unterrichts interpretiert. Die Auswertungen der Unterrichtsbeobachtungen haben zudem ergeben, dass die Lehrpersonen der Versuchsgruppe ihren Unterricht vermehrt gemäss dem Prinzip der Individualisierung gestaltet haben. Aus der Perspektive der Lehrpersonen sowie deren Schülerinnen und Schüler kann dieser Befund jedoch nicht bestätigt werden, weshalb die empirische Evidenz im Hinblick auf die Wirksamkeit des Trainings auf dieses methodisch-didaktische Prinzip etwas weniger deutlich als beim Prinzip der reflexiven Unterrichtsinszenierung ausfällt. Beim selbstkonzeptförderlichen Feedbackverhalten zeigten sich hingegen gar keine Effekte. Es scheint, dass die didaktisch-methodischen Grundsätze der reflexiven und individualisierten Unterrichtsgestaltung verhältnismässig einfacher, d.h. mit konkreter Planung im Vorfeld des Unterrichts, umgesetzt werden können. Für die Formulierung spontaner selbstkonzeptförderlicher Rückmeldungen bedarf es vermutlich über das Training hinaus vertiefter Übung. Drei Monate nach Beendigung des Trainings bleibt lediglich der Effekt bei der schülerperzipierten Reflexion erhalten. Es gilt jedoch zu betonen, dass sich die Befundmuster bei den Unterrichtsbeobachtungen sowie bei der lehrperzipierten Reflexion auf deskriptiver Ebene drei Monate nach dem Training nicht grundsätzlich verändert haben. Aufgrund der Stichprobenausfälle vom zweiten zum dritten Messzeitpunkt sank die statistische Power insbesondere mit Blick auf die Lehrpersonenstichprobe jedoch zu drastisch ab, womit auch mittlere Effektstärken inferenzstatistisch nicht mehr abgesichert werden konnten. Geringe Auswirkungen hatte die Teilnahme an der Weiterbildung auf die Selbstkonzeptfacetten der Schülerinnen und Schüler. Während sich das sportbezogene Fähigkeitsselbstkonzept bei den Kindern und Jugendlichen von der 4. bis zur 9. Schulklasse bzw. die wahrgenommene Fähigkeit beim Etwas-Bewegen der Kinder von der Kindergartenstufe bis zur dritten Klasse positiver entwickelte als jenes der Vergleichsgruppe, liessen sich bei anderen Selbstkonzeptfacetten keine Unterschiede finden. Diese schwachen hypothesenkonformen Effekte sind durchaus bemerkenswert, da die Intervention bei der vorliegenden Untersuchung primär auf das Lehrerhandeln und nur indirekt auf das Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler abzielte. Indirekte Selbstkonzeptinterventionen weisen bekanntlich geringere Effekte als direkte Interventionen auf (O’Mara, Marsh, Craven & Debus, 2006). Während sich der unmittelbare Effekt beim sportbezogenen Fähigkeitsselbstkonzept mit früheren Befunden aus der Berner Interventionsstudie Schulsport (BISS, Conzelmann et al., 2011) deckt, lässt sich bei der vorliegenden Untersuchung im Unterschied zur BISS auch mehrere Monate nach dem Training ein positiver Effekt beim sportbezogenen Fähigkeitsselbstkonzept und darüber hinaus auch beim globalen Selbstwert feststellen. Da der Fokus bei der vorliegenden Untersuchung mit spezifischem Lehrertraining im Unterschied zur BISS auf der Förderung einer eigenständigen und nachhaltigen Umsetzung eines selbstkonzeptförderlichen Unterrichts lag, haben die Lehrpersonen im Gegensatz zur BISS vermutlich vermehrt über die eigentliche Intervention hinaus selbstkonzeptförderlich unterrichtet. Zudem dauerte die Interventionsphase bei der BISS lediglich 10 Wochen, während die Interventionsdauer beim vorliegenden Projekt 5 Monate umfasste. Dadurch konnten die Schülerinnen und Schüler bei der vorliegenden Studie über einen längeren Zeitraum hinweg positive selbstbezogene Erfahrungen sammeln, welche sich in ihrer Summe gemäss eines hierarchisch strukturierten Selbstkonzepts (Shavelson et al., 1976) und eines „bottom-up-Effekts“ (Sonstroem & Morgan, 1989) in einer positiven Selbstwertentwicklung zeigen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mittels eines fünfmonatigen, theoretisch fundierten und handlungsorientierten Trainings Einstellungen, Wissen und Handlungskompetenzen von Lehrpersonen, welche für eine selbstkonzeptfördernde Unterrichtsgestaltung im Sportunterricht benötigen werden, vermittelt werden konnten. Die Lehrpersonen sind nach dem Lehrertraining in der Lage, den Unterricht mehrheitlich so zu gestalten, dass die gemäss Lehrplan 21 angestrebte Förderung der Selbstkonzeptentwicklung der Schülerinnen und Schüler erreicht wird. Die Ergebnisse bestätigen die bereits in früheren Untersuchungen aufgezeigte Wirksamkeit von Lehrerinnen- und Lehrertrainings auf die Kompetenzerweiterung von Lehrpersonen, sofern diese Angebote strukturell und inhaltlich entsprechend gestaltet sind (z.B. Hertel et al., 2008, Lander et al., 2017). Für das durchgeführte Training scheinen insbesondere folgende Faktoren zu einer erfolgreichen Wirkung beigetragen zu haben: • Weiterbildung über einen längeren Zeitraum (5 Monate) • theoretische Fundierung der Inhalte • Theorie-Praxis-Verknüpfung • Arbeit mit eigenen und fremden Fallbeispielen • kleine Gruppen mit max. 12 Personen • Möglichkeit zur Übung und Anwendung • vertiefte Diskussion eigener Erfahrungen Für die Konzeption zukünftiger Lehrertrainings und –weiterbildungen können die gewonnenen Erkenntnisse als Richtlinien dienen. Bei der Interpretation der vorliegenden Befunde gilt es jedoch einige Limitationen zu bedenken. Das Vorliegen von Kompetenzen von Lehrpersonen bedeutet nicht zwingend, dass diese beim Unterrichten auch eingesetzt werden. So lässt sich an der vorliegenden Untersuchung kritisieren, dass aus untersuchungsökonomischen Gründen Kenntnis darüber fehlt, wie die Lehrpersonen während der Weiterbildung ihren Unterricht tatsächlich gestaltet haben. Über die teilweise ausbleibenden Effekte auf Seiten der schülerperzipierten Unterrichtsinszenierung und des Selbstkonzepts kann deshalb nur spekuliert werden. Bei den eingesetzten Instrumenten für die Erfassung der Einstellungen sowie des Wissens handelt es sich zudem um keine validierten Skalen, was eine weitere Limitation der vorliegenden Untersuchung darstellt. Zudem verhinderte die Ausschreibung des Trainings eine Randomisierung der Stichprobe, weshalb stellenweise unterschiedliche Voraussetzungen der Versuchs- und Vergleichsgruppe vorliegen. Bereits vor dem Training berichteten die Schülerinnen und Schüler der Versuchsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe höhere Mittelwerte bei der individuellen Bezugsnormorientierung und der Differenzierung. Dies deutet darauf hin, dass die Lehrpersonen der Versuchsgruppe ihren Sportunterricht bereits vor dem Training vermehrt individualisierten. Somit können die erzielten Effekte beim Selbstkonzept nicht eindeutig auf das Lehrertraining zurückgeführt werden. Es ist auch denkbar, dass die Lehrpersonen der Versuchsgruppe unabhängig vom Messzeitpunkt ihren Sportunterricht vermehrt individualisiert gestaltet haben, was die positiven Effekte beim Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler bewirkt haben könnte. Zukünftig sind Studien wünschenswert, die erstens die tägliche Umsetzung von selbstkonzeptfördernden Kompetenzen von Lehrpersonen im Unterricht untersuchen und in Zusammenhang mit dem Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler stellen, dabei zweitens auf allen Evaluationsebenen bewährte Instrumente einsetzen und drittens eine Randomisierung der Stichprobe vornehmen.