Benjamin Blooms Taxonomie der Lernziele mit ihren sechs Kategorien (Wissen, Verstehen, Anwendung, Analyse, Synthese und Evaluation) wurde 1956 publiziert und schaffte es zum Bestseller, der bis in unsere Tage fortwirkt. Die Taxonomie liefert ein Hilfsmittel, um Lernziele zu formulieren und zu klassieren und Testfragen abzugleichen. Sie verbreitet einen Ruch von Rationalität und Klarheit, ohne dass man so recht wüsste, wie sie sich legitimiert. Der vorliegende, aus einer Dissertation entstandene Band rekonstruiert die Entstehung der Taxonomie und ihre Rezeption im deutschsprachigen Raum mit Mitteln der hermeneutisch-phänomenologischen Tradition und zeigt, dass sie in vielfacher Hinsicht ein Produkt des gesunden Menschenverstandes ist, das an alte Grundsätze anknüpft und dank der Fokussierung auf Ziele und der Kompatibilität mit den wesentlichen Lerntheorien wenig Angriffsfläche bietet. Die Taxonomie erscheint als ein Teil des «Tyler Rationale», das 1949 im - ebenfalls zum Bestseller avancierten - Buch «Basic Principles of Curriculum and Instruction» von Ralph W. Tyler vorgestellt wurde, und sie wurzelt wie dieses im amerikanischen Pragmatismus. Beide wollen die soziale Effizienz steigern und Reformen befördern, indem sie Lernen und Lehren in einen Evolutionsprozess einbinden.
In modernen Bildungsstandards, die häufig die Form von Leistungsstandards annehmen, leben Zielprimat und Kategorien von Blooms Taxonomie wie auch die ihr zugrundeliegenden Annahmen weiter. Allerdings teilen die Lernziele der Taxonomie und die heutigen Bildungsstandards vor allem Inhalt und Form, weniger aber die Funktion. Moderne Bildungsstandards wollen Normen setzen und mit Kontrollen und Sanktionen Verbindlichkeit erzwingen, um dadurch das Bildungssystem zu einem leichter steuerbaren Leistungsbereich der Gesellschaft zu machen.
