Schweizer Freiwilligen-Monitor 2010

Ref. 10265

General description

Period

2009

Geographical Area

Additional Geographical Information​

Schweiz, Schweizer Kantone

Abstract

Das Thema Freiwilligkeit hat seit geraumer Zeit Hochkonjunktur. Dies zeigt sich etwa an der Häufigkeit, mit der Freiwilligentätigkeit in den letzten Jahren in den Medien, in politischen Reden und öffentlichen Debatten zur Sprache kommt. Sie wird wahlweise gelobt, beschworen und gefördert oder aber als mangelnd und im Niedergang begriffen beklagt. Es wäre jedoch verfehlt, bei der hohen Aufmerksamkeit, welche dem Thema Freiwilligkeit gegenwärtig von öffentlicher, politischer und zunehmend auch wissenschaftlicher Seite entgegengebracht wird, lediglich von einer flüchtigen Modeerscheinung auszugehen. Vielmehr werden die herausragende soziale, kulturelle sowie politische Bedeutung der Freiwilligkeit und ihr Beitrag für das Funktionieren einer Gesellschaft bereits seit den Analysen von Alexis de Tocqueville diskutiert. Die in der Debatte verwendeten Bezeichnungen variieren zwar – so ist neben Freiwilligentätigkeit auch oft von Freiwilligenarbeit, Ehrenamt, bürgerschaftlichem bzw. zivilgesellschaftlichem Engagement oder bénévolat die Rede. Doch stets sind damit jene zahlreichen Tätigkeiten und Aktivitäten gemeint, in denen Bürgerinnen und Bürger von sich aus – d.h. aus freien Stücken und ohne unmittelbare monetäre Gegenleistung – Zeit und Energie investieren, um Dinge in Bewegung zu bringen, sich für andere Menschen und Organisationen einzusetzen und einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Vom Engagement in Sport-, Hobby- und Freizeitvereinen, unentgeltlicher Arbeit im sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Bereich, über die freiwillige Übernahme politischer Ämter bis hin zur gegenseitigen Hilfe unter Nachbarn – die Bandbreite möglicher Formen von Freiwilligentätigkeit ist äusserst gross. Vor diesem Hintergrund ist nicht erstaunlich, dass die Nachfrage nach verlässlichen und fundierten Informationen und Analysen zur Freiwilligkeit gross ist. So ist es für Politiker, Entscheidungsträger und andere öffentliche Akteure zweifellos wichtig zu erfahren, wie es um das Ausmass und den Bestand der Freiwilligkeit überhaupt bestellt ist. Daran anschliessend stellt sich auch die Frage, auf welche Ursachen und Beweggründe sich rege freiwillige Tätigkeit zurückführen lässt und wie sich Bürgerinnen und Bürger gegebenenfalls für die Übernahme freiwilliger Tätigkeiten motivieren und mobilisieren lassen. Gleichwohl stecken die Forschungsbemühungen noch in den Kinderschuhen, was nicht zuletzt auf die lange Zeit nur beschränkte Verfügbarkeit von einschlägigem Datenmaterial zurückzuführen ist. Mit dem Schweizer Freiwilligen-Monitor ist jüngst ein neues Umfrageprojekt ins Leben gerufen worden, welches genau diesem Bedürfnis nach zuverlässiger und umfassender Information zum freiwilligen Engagement in der Schweiz entgegenkommt. Durch den Schweizer Freiwilligen-Monitor, der von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) initiiert und in Zusammenarbeit mit dem Migros-Kulturprozent sowie in Partnerschaft mit dem Bundesamt für Statistik im Jahre 2006 zum ersten Mal durchgeführt worden ist, werden die wenigen bislang bestehenden Datenbestände entscheidend ergänzt und der Auseinandersetzung zum Thema Freiwilligkeit neue Impulse gegeben. Der Freiwilligen-Monitor des Jahres 2009 schliesst an die erste Erhebung an und wartet mit neuen Daten zur Situation der Freiwilligkeit in der Schweiz auf. Erneut ist die Bestandsaufnahme des freiwilligen Engagements in der Schweiz das vorrangige Ziel der Studie, die im Gegensatz zu früheren Untersuchungen neben dem Umfang und der Art auch die Motive und Mobilisierungspotentiale in Bezug auf freiwillige Tätigkeiten aufzeigt. Neben der Fortführung und Replikation wichtiger Indikatoren der ersten Welle wurde mit den Motiven informeller Freiwilligkeit ein neues Themengebiet aufgenommen.

Results

Wie schon in der ersten Erhebung im Rahmen des Schweizer Freiwilligen-Monitors aus dem Jahr 2006 werden konzeptuell weiterhin drei Formen der Freiwilligkeit unterschieden. Es handelt sich (1) um freiwillige Tätigkeiten, die innerhalb von Vereins- oder Organisationsstrukturen ausgeübt werden (formelle Freiwilligkeit), (2) um freiwillige Arbeiten wie Nachbarschaftshilfe oder das Hüten fremder Kinder, die ausserhalb solcher Organisationstrukturen stattfinden (informelle Freiwilligkeit), sowie (3) um das Spenden von Geld oder Naturalien. Die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich dieser drei Freiwilligenformen können wie folgt zusammengefasst werden: - FORMELLE FREIWILLIGKEIT Rund ein Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren ist im Jahr 2009 innerhalb von Vereins- und Organisationsstrukturen freiwillig engagiert. Knapp die Hälfte der Freiwilligen hat ausserdem ein Ehrenamt inne. Das heisst, diese Personen wurden in ein Amt gewählt, so dass ihr Engagement typischerweise durch einen höheren Verpflichtungsgrad gekennzeichnet ist. Die Übernahme freiwilliger Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen wird durch einen hohen sozialen Status grundsätzlich gefördert. Demgegenüber engagieren sich gerade Bevölkerungsgruppen, die im Prinzip über zeitliche Ressourcen verfügen, um sich in Vereinen und Organisationen freiwillig zu betätigen (wie etwa Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose oder Teilzeiterwerbstätige), nicht so stark wie erwartet. - INFORMELLE FREIWILLIGKEIT Knapp 30 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren sind im Jahr 2009 informell, also ausserhalb von Vereinen und Organisationen, freiwillig tätig. Wie vor drei Jahren umfasst diese Art des freiwilligen Engagements überwiegend persönliche Hilfeleistungen für Freunde und Bekannte. Dieses stark prosoziale Element dürfte begründen, warum Frauen im informellen Bereich der Freiwilligkeit tendenziell übervertreten sind. Damit zeigt sich ein im Vergleich zur formellen Freiwilligkeit umgekehrtes Geschlechterverhältnis. Trotzdem darf auch bei der informellen Freiwilligkeit die Bedeutung des sozialen Status und der gesellschaftlichen Einbindung nicht unterschätzt werden. - SPENDEN Rund drei von vier Personen der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren geben an, Geld oder Naturalien zu spenden. Wichtigste Voraussetzung ist eine finanziell gesicherte Situation, die es erlaubt, zumindest einen kleinen Betrag des Einkommens ohne Gegenleistung abzugeben. Während das freiwillige Engagement in oder ausserhalb von Organisationen und Vereinen im hohen Alter oft aufgegeben wird, stellt die Spendentätigkeit eine Form der Freiwilligkeit dar, die gerade Rentnerinnen und Rentner auf hohem Niveau beibehalten. Schliesslich liegt einer Spendentätigkeit die Überzeugung von der Wichtigkeit der finanziellen Unterstützung bestimmter Bereiche zu Grunde. MOTIVE FORMELLER UND INFORMELLER FREIWILLIGKEIT Das freiwillige Engagement der Schweizerinnen und Schweizer geht über ein rein altruistisches Verhalten hinaus. Dies spiegelt sich in den wichtigsten Motiven der Ausübung freiwilliger Arbeiten wider. Während uneigennützige und wohltätige Aspekte zwar eine zentrale Rolle für die Übernahme von freiwilligen und ehrenamtlichen Aufgaben spielen, sind stärker selbstbezogene Argumente wie das Zusammensein mit Freunden oder der Spass an der Tätigkeit für viele der Hauptgrund ihres freiwilligen Engagements. STABILITÄT UND WANDEL Insgesamt verharrt das Ausmass des freiwilligen Engagements in der Schweiz im Vergleich mit der ersten Erhebung aus dem Jahre 2006 auf dem gleichen Niveau. Ausserdem kann von einer ausgeprägten Kontinuität der Vielfalt gesprochen werden. Sowohl Individuen als auch Regionen unterscheiden sich deutlich in Bezug auf die Häufigkeit freiwilliger Aktivitäten, die Betätigungsfelder des Engagements, aber auch hinsichtlich der Art und Weise, wie verschiedene Formen freiwilligen Engagements kombiniert werden. Die auffälligste Veränderung in der Freiwilligkeit betrifft den markanten Rückgang der informell ausgerichteten Arbeiten. Während vor drei Jahren gut 37 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung über 15 Jahren ein freiwilliges Engagement ausserhalb von Vereinen und Organisationen ausübten, sind es im Jahr 2009 noch 29 Prozent. SPRACHREGIONALE UNTERSCHIEDE DER FREIWILLIGKEIT Während Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer besonders oft freiwillige Tätigkeiten übernehmen, ist die Freiwilligkeit in der Romandie und im Tessin deutlich weniger ausgeprägt. Die sprachregionalen Disparitäten im freiwilligen Engagement lassen sich auf unterschiedliche Mechanismen kultureller Sozialisation einerseits und örtlicher Gebundenheit und Erfahrung andererseits zurückführen. Die Analysen zeigen, dass je nach Art des freiwilligen Engagements eine Kombination dieser beiden Mechanismen von Bedeutung ist. DAS FREIWILLIGE ENGAGEMENT VON AUSLÄNDERINNEN UND AUSLÄNDERN Ausländerinnen und Ausländer sind im Vergleich zu den Schweizerinnen und Schweizern deutlich weniger freiwillig tätig. Das höchste Engagement zeigen die fremden Nationalitäten dabei im Bereich der informell freiwilligen Arbeit. Immerhin ein Viertel der in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer widmet sich dieser Form der freiwilligen Arbeit. Freiwilliges Engagement in Vereinen und Organisationen leisten hingegen lediglich 13 Prozent der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. SCHWEIZER VEREINE UND ORGANISATIONEN UND IHRE FREIWILLIGEN Verschiedene Vereinstypen gehen mit unterschiedlichen sozialintegrativen Potentialen und unterschiedlichen Rollen für den sozialen Zusammenhalt in der Schweiz einher. Insbesondere in Sportklubs, Hobby-, Freizeit- und Kulturvereinen sowie in kirchlichen Organisationen ist das freiwillige Engagement am weitesten in der Bevölkerung verbreitet. Der Verbreitungsgrad der Vereinstypen steht dabei in direktem Zusammenhang mit der sozialen Zusammensetzung der Freiwilligen. Kulturvereine und kirchliche Organisationen, aber auch die Freizeit- und Sportvereine sind insgesamt am heterogensten zusammengesetzt und tragen deshalb am ehesten dazu bei, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammentreffen. Umgekehrt sind politische Ämter und Parteien eher homogen hinsichtlich ihrer Freiwilligenstruktur.