Koedukation im Physikunterricht

Ref. 763

General description

Period

1994 - 1997

Geographical Area

-

Additional Geographical Information​

schwerpunktmässig Kanton Bern

Abstract

Obwohl sich das schweizerische Bildungswesen formal geöffnet hat, bleiben nach wie vor Barrieren, die die Teilnahme der Frauen am schulischen Unterricht erschweren. Besonders schwierig stellt sich die Situation im naturwissenschaftlichen Unterricht dar. Die Interessenunterschiede zwischen Knaben und Mädchen sind im Physikunterricht besonders stark ausgeprägt und nehmen mit dem Alter zu. Dem Projekt lag die Frage zugrunde, wie der Physikunterricht verbessert werden kann, um die Beteiligung von Mädchen zu erhöhen. Zu diesem Zweck wurden neuere fachdidaktische Konzepte zum Physikunterricht sowie aus der Frauen- und Geschlechterforschung bekannte Ansprüche an einen "mädchengerechten" Unterricht beigezogen und je eine Lehreinheit zur Geometrischen Optik und zur Kinematik erarbeitet. Nebst der Erprobung dieser beiden Lehreinheiten galt es auch der Frage nachzugehen, wie die Lehrpersonen für die Problematik der Koedukation im allgemeinen und des koedukativen Physikunterrichts im besonderen sensibilisiert werden können. Die Lehreinheiten sind in 22 Klassen durchgeführt worden, die in drei Experimentalgruppen eingeteilt worden sind. Die Zuordnung der Klassen zu den einzelnen Experimentalgruppen erfolgte nach dem Ausmass der Einbindung.

Results

Dem hier vorgestellten, im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 35 ("Frauen in Recht und Gesellschaft") durchgeführten Projekt lag die Frage zugrunde, wie der Physikunterricht in einer Art verbessert werden kann, die zugleich die Beteiligung der Mädchen steigen lässt. Es ging darum, neuere Konzepte einerseits aus der Fachdidaktik Physik, andererseits aus der Frauen- und Geschlechterforschung zusammenzubringen und auf dieser Basis Unterrichtseinheiten zu ausgewählten Inhalten der Physiklehrpläne für die Sekundarstufen I und II zu erarbeiten. Für das Projekt hat das Team der Universität Bern vorerst eine Reihe von Kriterien für einen mädchengerechten Unterricht definiert; nachfolgend eine kleine Auswahl: ein solcher Unterricht muss auf die Unterschiedlichkeit der - jedem Unterricht zugrunde zu legenden - Vorerfahrungen von Schülerinnen und Schülern in den Bereichen Physik und Technik Rücksicht nehmen; der Unterricht ist sprachlich so zu gestalten, dass keines der Geschlechter privilegiert wird; auf die mögliche Nutzanwendung der Unterrichtsinhalte ist zu achten, und sie ist auch explizit aufzuzeigen; der Tatsache, dass Mädchen tendenziell eher zu einem kooperativen als zu einem kompetitiven Lernstil neigen, ist Rechnung zu tragen; Lehrkräfte haben nicht nur allfälligen eigenen Vorurteilen hinsichtlich des Leistungsvermögens von Mädchen im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich entgegenzutreten, sondern auch Vorurteilen bei den Mädchen selbst, usw. Im Rahmen des Versuchs sind zwei Unterrichtsthemen à je 20 Lektionen mädchengerecht aufbereitet und in 26 Gymnasialklassen der Deutschschweiz erprobt worden. Die Ergebnisse machen deutlich, dass der gewählte Ansatz Effekte im gewünschten Sinn zeitigt: Nicht nur verbesserten die Mädchen in den Versuchsklassen ihre Leistungen in Physik, sondern auch ihr Interesse für das Fach konnte gesteigert werden. Was sich hingegen gleichblieb, war der Abstand zwischen den Geschlechtern: Interesse und Leistungen der Jungen verbesserten sich in einem vergleichbaren Mass. Dieser Sachverhalt kann allerdings auch in positiven Begriffen ausgedrückt werden: mädchengerechter Unterricht ist eo ipso auch guter Unterricht.