Die Datenwissenschaften in der Schweizer Bildungs- und Forschungspolitik

Ref. 14090

General description

Period

1998 - 2020

Geographical Area

Additional Geographical Information​

Schweiz

Abstract

Dieses Teilprojekt meiner Dissertation untersucht mittels qualitativer Inhaltsanalysen von Strategien und Dokumenten bildungs- und forschungspolitischer AkteurInnen die Frage, welche Rolle gesellschaftliche Zukunftsentwürfe bei der Genese und Sinnkonstruktion der Datenwissenschaften als Wissensfeld spielen. Der bildungs- und forschungspolitische Diskurs der Schweiz ist in den letzten Jahren eminent durch die Digitalisierung geprägt. Universitäten, wissenschaftliche Akademien, Wirtschaftsverbände und staatliche Behörden formulieren «digitale Strategien» und Aktionspläne, um sich den «Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für Bildung und Forschung» (SBFI 2017) anzunehmen. Dabei geht der politische Diskurs zur Digitalisierung weit über den engeren Bereich der Datenwissenschaften hinaus, markiert diesen allerdings in verschiedener Hinsicht als einen «strategischen Forschungsbereich» (ETH-Rat 2016) oder eine grundlegende «Basistechnologie» (SBFI 2017). Die Diskussion über die Digitalisierung ist Teil soziotechnischer Imaginationen: Politische, ökonomische und wissenschaftliche AkteurInnen entwerfen Zukunftsvisionen, in denen soziale Relationen von und zu digitalen Technologien beschrieben und gerahmt werden (Jasanoff 2015; Jasanoff & Kim 2015; Meyer 2020). Das Formulieren von politischen Strategien und Zielen sowie das Beschliessen von Massnahmen umfasst dabei sowohl diskursive wie nicht-diskursive Praktiken: Indem die politischen AkteurInnen die zukünftige Entwicklung gesellschaftlicher Bereiche skizzieren, nehmen sie auch eine Wertung und Zuweisung von Aufmerksamkeit, finanziellen und weiteren Ressourcen vor (Beckert 2016; Jasanoff 2015). Die Beteiligten bemühen sich deshalb trotz möglicherweise divergierender Interessen darum, den Raum offen und anschlussfähig zu halten, ohne dass es zu einer Institutionalisierung, etwa durch politische Regulierung, kommt. Im Zentrum der Analyse stehen die kollektiven Stellungnahmen von AkteurInnen im Feld der Hochschul- und Forschungspolitik, die als Kompromissprodukte konkurrierender Positionen in den jeweiligen Organisationen (Bundesverwaltung, Wirtschaftsverbände, Akademien etc.) zu betrachten sind. Gleichzeitig sind die Stellungnahmen durch Vielstimmigkeit und Multiperspektivität gekennzeichnet und eröffnen Möglichkeiten zur Kooperation untereinander. Sowohl durch stärker konflikthafte als auch durch kooperative Praktiken tragen sie zur Konstitution und Permanenz der Datenwissenschaften als neues Wissensgebiet bei. Die im Rahmen des Digitalisierungsdiskurses entworfenen Zukunftsszenarien werden als Fallbeispiel eines kollektiven Gesellschaftsentwurfes, der sich auf Aussagen politischer, ökonomischer und wissenschaftlicher AkteurInnen stützt, analysiert. Folgende Fragestellungen leiten die Analyse an: - Wie operiert der politische Diskurs zur Digitalisierung? - Wie werden Bildung und Forschung in diesem Diskurs gerahmt? - Welche Zukünfte über Daten bzw. Datenwissenschaften entwerfen AkteurInnen in der Bildungs- und Forschungspolitik?

Results

Die inhaltsanalytische Auswertung der hochschul- und forschungspolitischen Dokumente identifiziert Praktiken der Begriffsarbeit als zentral: Die untersuchten Dokumente verwenden offene, mehrdeutige Begriffe zur Charakterisierung des Wissensgebiets und rahmen die Datenwissenschaften innerhalb existierender, soziotechnischer Diskurse und Zukunftsvisionen. Durch die Verknüpfung mit ambiguen Begriffen wie Digitalisierung, Kompetenzen oder Innovation stellen sie somit eine Vielstimmigkeit des Gegenstandes her. Zudem schaffen sie durch positive Rahmungen neue Möglichkeitshorizonte und stimulieren Hoffnungen auf gesellschaftliche Transformation durch die Förderung bestimmter «Zukunftstechnologien» wie Data Science, künstliche Intelligenz und Robotik. Die Einbindung zentraler Elemente der neuen «Datenpolitik» in das Narrativ des Standortwettbewerbs und die gelegentliche Gleichsetzung bildungs- und forschungspolitischer mit wirtschaftspolitischen Interessen verweist auf die historische Kontinuität technisch-ökonomistischer Rationalitäten der schweizerischen Bildungs- und Forschungspolitik seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insofern markiert der untersuchte Diskurs gerade in seiner Verwendung offener, mehrdeutiger Begrifflichkeiten sowie einer ubiquitären Transformationsrhetorik eine Orientierung an Stabilität und Kontinuität, die sich nur vermeintlich von früheren Narrativen absetzt.