Dynamik des Wertewandels in der Schweiz: Ursachen und Konsequenzen

Ref. 10288

General description

Period

2007

Geographical Area

Additional Geographical Information​

Schweiz

Abstract

Das Projekt ist die Schweizer Teilstudie des World Values Survey (Weltwertestudie), die in mindestens 50 weiteren Ländern in den Jahren 2005-2007 durchgeführt wurde. Hierbei handelt es sich um eine Repräsentativerhebung der sozialen, ökonomischen und politischen Wertorientierungen der erwachsenen Wohnbevölkerung in der Schweiz. Die Erhebung setzt die 1989 und 1996 in der Schweiz durchgeführten früheren Wellen des World Values Survey fort. Drei Teilfragen stehen im Zentrum des Projektes: Trends des Wertewandels in der Schweiz, Spezifizität des Wertewandels in der Schweiz verglichen mit anderen Ländern und die politischen Konsequenzen des Wertewandels in der Schweiz.

Results

Es wurde der Wertewandel in der Schweiz über eine Periode von 20 Jahren und über die drei Schweizer Werte-Wellen hinweg behandelt. Eine Gruppe ausgewählter Schweizer Forscher konnte sich frei für die aus ihrer Sicht wichtigsten Themen des Wertewandels entscheiden. Im Buch von Simon Hug und Hanspeter Kriesi (2010) mit dem Titel "Value change in Switzerland", bei Lexington Press, kamen insgesamt elf Kapitel zu folgenden drei Hauptthemen zustande: Die Schweiz im Zeitalter der Säkularisierung und der Individualisierung, die Schweiz im Zeitalter der Globalisierung und die Schweiz im Zeitalter des Rückgangs von Sozialkapital. Das erste Kapitel von Marco R. Steenbergen und Philipp Leimgruber führt in die Kernkonzepte der persönlichen und politischen Werte, sowie des Wertewandels ein. Die Autoren zeigen, dass die Schweiz nicht, wie oft geglaubt, traditionell und konservativ ist, sondern unter den Staaten Westeuropas zu denen mit den höchsten postmaterialistischen Werteeinstellungen gehört. In Bezug auf Schwartz's Wertekonzept zeigen Steenbergen und Leimgruber, dass die Schweiz offen und weniger konservativ als andere Länder ist (in Bezug auf die Bedeutung von Sicherheit, Tradition und korrektes Verhalten). Das Kapitel zwei von Anke Tresch und Sarah Nicolet behandelt den Wertewandel in Glaubensfragen. Ihre Analyse bestätigt einerseits die Säkularisierungstheorie und zeigt einen Rückgang der institutionalisierten Religion, besonders was die Kirchganghäufigkeit betrifft. Anderseits bestätigen die Autorinnen die These der religiösen Individualisierung, indem sie zeigen, dass die traditionelle Form der Religion, welche in den Kirchen zentriert ist, durch eine private und individuelle Form des Glaubens ersetzt wurde. Kapitel drei von Sarah Bütikofer und Isabelle Engeli befasst sich mit den geschlechtlichen Unterschieden in den politischen Einstellungen. Die beiden Autorinnen zeigen, dass Frauen generell linker eingestellt sind als Männer. Die Diskrepanz zeigt sich besonders in Sachfragen zur Geschlechterrolle und der Verteidigung des Wohlfahrtsstaates. Sie kann jedoch nicht mit der gängigen Literatur erklärt werden. Die Kapitel vier und fünf befassen sich mit den Themen Ausländerfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit. Im Kapitel von Marc Helbling sieht man, dass in der Schweiz zwar die Ausländerfeindlichkeit abgenommen, gleichzeitig aber die Islamfeindlichkeit zugenommen hat. Marco Giugni und Miruna Morariu zeigen in ihrem Kapitel, dass zwar beide, Ausländer- als auch Islamfeindlichkeit, Teil einer generellen Intoleranz gegenüber Minoritäten sind, sich aber dennoch Unterschiede in der Erklärung der beiden Phänomene ergeben. So kann die Intoleranz gegenüber Gruppen, die eine von der Norm abweichendes Verhalten an den Tag legen (wie beispielsweise Drogenabhängigen und Alkoholabhängigen) einen Teil der Islamfeindlichkeit erklären, jedoch nicht der Ausländerfeindlichkeit. Die Kapitel sechs und sieben befassen sich mit der Beziehung der Schweizer gegenüber der Europäischen Union. Katayoun Safi zeigt in ihrem Kapitel, dass die Gründe für den Euroskeptizismus in der Schweiz primär kultureller Natur sind - die Schweizer befürchten im Falle eines Beitrittes nicht den Jobverlust, sondern den Verlust ihrer Identität. So zeigen sich denn auch grosse Unterschiede in der Verteilung der Wählerschaft der wichtigsten Schweizer Parteien in Bezug auf die kulturelle Angst, jedoch kaum in Bezug auf die wirtschaftliche Angst. In Kapitel sieben von Simon Bornschier wird klar, dass der Konflikt über den EU-Beitritt von einem zunehmend kohärenten Wertekonflikt zwischen libertär-universalistisch und traditionalist-kommunitaristischen Werten bestimmt wird. Der Autor vermutet, dass die Verschärfung dieses Konfliktes auf die Mobilisierungsbemühungen der politischen Partien zurückzuführen ist. Das Kapitel acht von Silja Häusermann und Stefanie Walter zeigt, dass in Bezug auf die Umverteilung und die Sozialversicherungen kein traditioneller, einkommensabhängiger Konflikt zwischen privilegierten und weniger privilegierten Klassen mehr besteht. Gemäss ihren Daten existiert besonders in der Frage der Umverteilung ein neuer Konflikt zwischen Arbeitsmarktmitgliedern und solchen, die nicht Teil des Arbeitsmarktes sind (Konflikt zwischen Insider und Outsider). Interessant ist zu sehen, dass besonders die Wähler rechts-populistischer Parteien gegen den Ausbau des Wohlfahrtsstaates sind, obwohl sich diese zunehmend aus Gruppen mit niedrigem Einkommen und geringer Bildung rekrutieren. Die Autorinnen erklären sich das damit, dass diese Gruppen die Hauptnutzniesser des Nachkriegswohlfahrtsstaates sind und keine Erweiterung der Leistungen auf neue Risikogruppen wünschen. Die letzten drei Kapitel befassen sich mit den Themen Sozialkapital und Vertrauen in der Schweiz. Das Kapitel neun von Eric Widmer und Ivan De Carlo zeigt, dass während Vertrauen in die staatlichen Institutionen in der Schweiz, wie in anderen Ländern gesunken ist, das zwischenmenschliche Vertrauen in der Schweiz, im Gegensatz zu anderen Ländern, gestiegen ist. Das Vertrauen wird dabei stark von kontextuellen Faktoren beeinflusst, was zeigt, dass nicht nur Generationseffekte eine Rolle spielen. Im Kapitel zehn von Ursula Häfliger wird danach gefragt, wie ein Anstieg in Freiwilligenarbeit trotz der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft möglich sein kann und kommt zum Schluss, dass Freiwilligenarbeit hauptsächlich durch persönliche Werte und nicht der Kultur beeinflusst wird. Im Kapitel elf von Marc Bühlmann, Laurent Bernhard und Lisa Müller wird schliesslich danach gefragt, ob der Rückgang des Vertrauens in die Schweizer Institutionen ein Problem für die Demokratie darstellt. Sie stellen die These auf, dass sinkendes Vertrauen keine Gefahr für den Staat bedeutet, solange die Unzufriedenen an der politischen Partizipation teilhaben und ihre Kritik vorbringen können. Die Autoren stellen fest, dass der Vertrauensverlust in der Schweiz erfreulicherweise mit einem Anstieg an kritischen Bürgern einhergeht und damit kein grundsätzliches Problem für die Schweizer Demokratie besteht.