Das Zusammenspiel von prospektiver und retrospektiver Komponente bei prospektiven Gedächtnistests

Ref. 8954

Allgemeine Beschreibung

Periode

-

Geographischer Raum

-

Zusätzliche geographische Informationen

Stadt Bern

Kurzbeschreibung

Zusammenfassung des Forschungsplans Prospektives Gedächtnis bezeichnet die Fähigkeit, sich an eine zuvor gefasste Absicht zu erinnern, wenn ein angemessener Abrufhinweis vorhanden ist, welcher eine Zeit, eine Person, ein Ort oder ein anderer zuvor definierter Stimulus sein kann. Beim Auftauchen dieses Stimulus wird keine explizite Abrufinstruktion gegeben. Der Abruf muss selbst-initiiert erfolgen. Prospektives Gedächtnis kann unterschieden werden vom retrospektiven Gedächtnis, welches sich auf Erfahrungen bezieht, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Prospektives Gedächtnis besteht immer aus einer prospektiven Komponente, dem Erinnern, dass etwas getan werden muss und einer retrospektiven Komponente, dem Erinnern, was getan werden muss. Das spezifische Unterscheidungskriterium zwischen dem prospektiven und dem retrospektiven Gedächtnis liegt dabei in der prospektiven Komponente, dem selbstinitiierten Erinnern, dass etwas getan werden muss. Um eine möglichst reine Messung der prospektiven Komponente zu erzielen, wurde in der experimentellen prospektiven Gedächtnisforschung die retrospektive Komponente möglichst einfach gehalten (z.B. muss eine bestimmte Taste gedrückt werden, wenn der prospektive Hinweisreiz präsentiert wird). Dieses Vorgehen kann implizieren, dass die prospektive und die retrospektive Komponente voneinander unabhängig sind. In diesem Projekt wird die Frage nach dem Zusammenspiel der prospektiven und der retrospektiven Komponente beim prospektiven Gedächtnis systematisch untersucht, indem sowohl die Eigenschaften der prospektiven als auch diejenigen der retrospektiven Komponente separat manipuliert werden. Wenn die beiden Komponenten unabhängig voneinander sind, so sollte die separate Manipulation einer dieser Komponenten keinen Einfluss auf die andere Komponente haben. Insgesamt werden vier Experimente durchgeführt, welche die Frage nach dem Zusammenspiel der prospektiven und retrospektiven Komponente von prospektiven Gedächtnistests klären sollen. In den Experimenten 1 bis 2 wird der Einfluss einer Assoziation zwischen Abrufhinweis und Inhalt der Handlung untersucht. Durch die Einführung einer Assoziation zwischen Abrufhinweisreiz und intendierter Handlung (nachfolgend Reiz-Handlungs-Assoziation genannt) wird die retrospektive Komponente manipuliert und ein Verarbeitungstransfer erreicht. Zudem wird untersucht, inwiefern die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe mit dieser Manipulation interagiert. In den Experimenten 3 und 4 wird die Bedeutung von Umsetzungsabsichten bei prospektiven Gedächtnisaufgaben untersucht. Durch die Formulierung von Umsetzungsabsichten (engl. „Implementation Intentions“) entsteht ein Enkodierungsvorteil in der Planungsphase, was einer Manipulation der prospektiven Komponente entspricht. Zudem wird untersucht, inwiefern die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe mit dieser Manipulation interagiert. Schlüsselbegriffe: Prospektives Gedächtnis, prospektive und retrospektive Komponente, Verarbeitungstransfer, Umsetzungsabsichten

Resultate

Experiment 1 Im ersten Experiment wurde untersucht, ob eine Assoziation zwischen dem prospektiven Hinweisreiz und dem Inhalt der prospektiven Gedächtnisaufgabe einen Verarbeitungstransfer hervorruft und damit zu besseren prospektiven Gedächtnisleistungen führt. Dabei wurde der Einfluss dieser Manipulation getrennt für die prospektive und die retrospektive Komponente des prospektiven Gedächtnisses analysiert. Des Weiteren wurde eine Manipulation der Schwierigkeit der laufenden Aufgabe eingeführt. Es sollte untersucht werden, inwiefern die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe mit dieser Manipulation des Verarbeitungstransfers interagiert. Resultate: Die prospektiven Gedächtnisleistungen wurden als Proportionen korrekter Antworten gemessen. Die Ergebnisse zeigten, dass die prospektive Gedächtnisleistung besser ausfiel, wenn eine Reiz-Handlungs-Assoziation gegeben war. In einem zweiten Schritt wurden die prospektive und die retrospektive Komponente getrennt analysiert. Die Leistungen auf der prospektiven Komponente wurden gemessen als Proportionen erkannter Abrufreize. Bei den Leistungen auf der retrospektiven Komponente handelte es sich um konditionalisierte Proportionen. Die Reiz-Handlungs-Assoziation beeinflusste nicht nur die Gesamtleistung, sondern auch die Leistungen auf der prospektiven und der retrospektiven Komponente. Die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe hatte keinen Effekt und auch die Interaktion war nicht signifikant. Des Weiteren wurde der Einfluss der unabhängigen Variablen auf die Kosten bei der laufenden Aufgabe untersucht. Die Kosten waren in allen Bedingungen vergleichbar um die 200 ms. Die Reiz-Handlungs-Assoziation und die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe hatten keinen Einfluss auf die Leistungen im nachfolgenden Rekognitionstest. Erkenntnisgewinn: Die prospektive Gedächtnisleistung war höher, wenn zwischen dem Abrufhinweisreiz und dem Inhalt der Absicht eine Assoziation vorlag, was einen Verarbeitungstransfer erlaubte. Separate Analysen für die prospektive Komponente und die retrospektive Komponente zeigten, dass das Resultat nicht nur dadurch zu Stande kam, dass in der Bedingung ohne Reiz-Handlungs-Assoziation die retrospektive Komponente (d.h. die korrekte Zahl) vergessen wurde. Vielmehr verwiesen die Resultate darauf, dass eine Abhängigkeit existiert zwischen der prospektiven und der retrospektiven Komponente. Exakt identische prospektive Abrufhinweisreize waren in Abhängigkeit von ihrer Assoziation mit der intendierten Handlung mehr oder weniger effektiv darin, die Erinnerung an die Intention auszulösen. Da die Manipulation der Aufgabenschwierigkeit keinen Effekt auf die Leistung bei der prospektiven Gedächtnisaufgabe hatte und sich auch weder auf die Kosten noch die Leistungen im Rekognitionstest auswirkte, schlossen wir, dass die Schwierigkeitsmanipulation der laufenden Aufgabe nicht stark genug war. Experiment 2 Das Ziel des zweiten Experimentes war es, den Effekt der Reiz-Handlungs-Assoziation auf das prospektive Gedächtnis und seine Komponenten zu replizieren. Zudem wurde die Bedeutung der Schwierigkeit der laufenden Aufgabe mit einer neuen Manipulation adressiert. Resultate: Bezüglich der Gesamtleistung zeigte sich erneut ein Effekt der Assoziation zwischen Abrufreiz und Handlung. Zusätzlich beeinflusste auch die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe die Gesamtleistung. Die Interaktion war hingegen nicht signifikant. Bei der prospektiven Komponente zeigte sich ein Haupteffekt der Schwierigkeit, die Assoziation war nicht signifikant. Ein gerichteter t-Test zeigte jedoch, dass sich die Leistungen bei niedriger Schwierigkeit der laufenden Aufgabe unterschieden. Es zeigte sich eine bessere Leistung in der Bedingung mit Assoziation zwischen Hinweisreiz und Handlung. Bei der retrospektiven Komponente zeigte sich ein Effekt der Assoziation. Die Schwierigkeit beeinflusste die Leistungen auf der retrospektiven Komponente nicht signifikant, und interagierte nicht mit der Assoziation. Bezüglich der Kosten auf die laufende Aufgabe zeigte sich ein Effekt der Schwierigkeit. Die Assoziation beeinflusste die Kosten nicht. Die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe hatte einen signifikanten Einfluss auf die Leistungen im nachfolgenden Rekognitionstest. In der Bedingung mit schwieriger laufender Aufgabe wurden die Bilder weniger gut wieder erkannt. Keine weiteren Effekte wurden signifikant. Erkenntnisgewinn: Der Effekt der Reiz-Handlungs-Assoziation auf die prospektive Gedächtnisleistung, der in Experiment 1 gefunden wurde, konnte repliziert werden. Für die prospektive Komponente bewirkte die Assoziation zwischen Abrufreiz und Handlung insbesondere in der Bedingung ohne Belastung durch eine zweite laufende Aufgabe einen Verarbeitungstransfer. Diese Ergebnisse stützen die Annahme aus Experiment 1, dass die beiden Komponenten nicht unabhängig sind. Des Weiteren lassen die Ergebnisse vermuten, dass Verarbeitungsressourcen für das Zustandekommen des Assoziationseffektes notwendig sind, zumal sich die Assoziation im zweiten Experiment nur in der einfacheren Bedingung auf die prospektive Komponente auswirkte. Die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe führte insgesamt zu einer schlechteren prospektiven Gedächtnisleistung, wobei primär das Erkennen des Abrufreizes (d.h., die prospektive Komponente) beeinträchtigt war. Mit der verwendeten Schwierigkeitsmanipulation konnten in der Testphase Aufmerksamkeitsressourcen erfolgreich manipuliert werden. Die Schwierigkeit reduzierte die Kosten auf die laufende Aufgabe und zudem zeigte sich ein Schwierigkeitseffekt auf die Leistungen in der nachfolgenden Rekognitionsaufgabe. Experiment 3 In Experiment 3 wurde der Einfluss von Umsetzungsabsichten (engl. implementation intentions) und der Schwierigkeit der laufenden Aufgabe auf das prospektives Gedächtnis und seine Komponenten untersucht. Es zeigte sich ein signifikanter Hauteffekt der Schwierigkeitsmanipulation auf die prospektive Gedächtnisleistung. Die separaten Analysen für die Leistungen auf der prospektiven und der retrospektive Komponente zeigten einen Einfluss der Schwierigkeit der laufenden Aufgabe auf die prospektive Komponente aber nicht auf die retrospektive Komponente. Die Umsetzungsabsichten zeigten keinen Einfluss auf die prospektive Gedächtnisleistung. Auch in den separaten Analysen für die beiden Komponenten zeigte sich, dass die Umsetzungsabsichten keinen Einfluss auf die Leistungen hatten. Die Schwierigkeit der laufenden Aufgabe und die Umsetzungsabsichten interagierten in keiner der genannten Analysen. Erkenntnisgewinn: In Übereinstimmung mit den Ergebnissen des zweiten Experimentes zeigte sich eine Leistungsabnahme bei einer erhöhten Schwierigkeit der laufenden Aufgabe. Dabei beeinträchtigte die Einschränkung der Aufmerksamkeitsressourcen die Leistung auf der prospektiven Komponente. Der Abrufreiz wurde in seiner eigentlichen Funktion nicht erkannt. Umsetzungsabsichten beeinflussten weder die prospektive Gedächtnisleistung noch ihre Komponenten. Auch zeigte sich keine Interaktion mit der Aufgabenschwierigkeit. Die Kontrollgruppe zeigte mindestens so gute, wenn nicht sogar numerisch bessere Leistungen. Die Ergebnisse können dahingehend interpretiert werden, dass durch Umsetzungsabsichten kein zusätzlicher Enkodierungsvorteil gegenüber der im Rahmen dieser Studie verwendeten Standardinstruktion entstanden ist. Experiment 4 McDaniel, Howard und Butler (2008) postulieren, dass sich Umsetzungsabsichten aus drei Komponenten zusammensetzen müssen, um bei jungen Erwachsenen einen Leistungsvorteil in Laboraufgaben zu erzeugen: Standardinstruktion, Vorstellung des Abrufreizes und der Handlung und Verbalisation der Intention mittels einer „wenn Situation X, dann Y“ Struktur. In Experiment 4 wurde der Einfluss von Umsetzungsabsichten, die alle drei Komponenten realisieren, untersucht. Resultate: Die Schwierigkeitsmanipulation wirkte sich auf die prospektive Gedächtnisleistung und auf die prospektive Komponente aus, mit besseren Leistungen in der prospektiven Gedächtnisaufgabe, wenn diese in die einfache laufende Aufgabe eingebettet war. Keinen Einfluss zeigte die Schwierigkeitsmanipulation auf die retrospektive Komponente. Die Umsetzungsabsichten wirkten sich nicht auf die prospektive Gedächtnisleistung aus. Auch in den separaten Analysen für die beiden Komponenten zeigten die Umsetzungsabsichten wiederum keinen Effekt auf die Leistungen. Erkenntnisgewinn: Das Hauptergebnis des sechsten Experimentes war die Bestätigung des Nulleffektes der Umsetzungsabsichten auf die prospektive Gedächtnisleistung und ihre Komponenten. Auch das Hinzufügen der Vorstellungskomponente konnte keinen Leistungsvorteil gegenüber der Standardinstruktion erbringen. Es zeigten sich sogar numerisch bessere Leistungen in der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse legen nahe, dass durch die Standardinstruktion, wie sie im vorliegenden Experiment verwendet wurde, bereits eine sehr gute Enkodierung induziert wird, die durch die Formulierung von Umsetzungsabsichten nicht bedeutsam verbessert werden kann. Umsetzungsabsichten scheinen nur dann Vorteile zu erbringen, wenn in der Standardinstruktion Planungsdefizite vorliegen, wie z.B. eine ungenügende Spezifizierung des Abrufreizes oder eine ungenügende Verknüpfung zwischen Abrufreiz und Handlung. Einen Effekt der Umsetzungsabsichten zu induzieren, indem die Kontrollgruppe weniger gut instruiert wird, ist nicht sinnvoll. Die Möglichkeiten durch Umsetzungsabsichten einen Enkodierunsgvorteil zu erzielen muss als begrenzt erachtet werden. Obwohl die Ergebnisse in den Experimenten 3 und 4 statistisch nicht signifikant sind, sind sie daher dennoch bedeutsam für das Anwendungsfeld von Umsetzungsabsichten bei prospektiven Gedächtnisaufgaben.